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Heejung Kang (*1979, Jejudo/Südkorea) schafft in ihren Installationen rätselhafte Beziehungen zwischen Objekten und Formen, die in einem Schwebezustand zwischen der Repräsentation einer subjektiven und facettenreichen Realität und einer künstlerisch poetischen Abstraktion verharren. So werden Spannungsmomente erzeugt, die zunächst verstören und beunruhigen und mehr Fragen aufwerfen, als Antworten liefern. Im Zentrum ihrer ersten Einzelausstellung steht die Familie, ein intimes Thema, zu welchem sich nahezu jeder in ein Verhältnis setzen kann, da es dabei vornehmlich um Verhältnisse geht. Mit ihrer Wandarbeit Wärme halten vermauert die Künstlerin zunächst die Fensterfront der Galerieräume mit selbstgefertigten, semitransparenten Blöcken aus Montageschaum und schafft somit eine heimelig, unheimliche Atmosphäre. In den Räumen entfaltet sich dann ein wucherndes, beziehungsreiches Skulpturenensemble aus vornehmlich fragilen Materialien und Fundstücken, welches die geistige Auseinandersetzung mit Fragen nach der Bedeutung von Familie, Identität, Fremdheit und Erinnerung ins Zentrum des kulturellen Diskurses rückt. Statt klar geformter Ergebnisse zeigt sie den Weg der Bildproduktion mit seinen Fehlern, Umwegen und Überschüssen. Sie bewegt sich bei der Formbildung zwischen persönlichem Alltag und Kunstwelt, um die Wechselbedingungen und -wirkungen zwischen Privatem und Allgemeinem nachzuzeichnen. Das Ensemble entwickelt sich nicht linear, sondern in verzweigten und untereinander vernetzten Episoden, es wächst in Zeit und Raum und folgt somit keiner klaren Chronologie. Kang begreift die Welt, die menschlichen Beziehungen, damit vielleicht eine Seelenverwandtschaft mit der Kunst einer Anna Oppermann bekundend, als "Ensembles“, als veränderliche Konstellationen von Wahrnehmung und Reflexion, von Normen, Geschichten, Emotionen und Theorien. Auf den ersten Blick handelt es sich um rätselhafte Gebilde mit unklarer Formenstruktur. Auf den zweiten Blick erkennt - oder vorsichtiger formuliert, erahnt - man ein komplexes System von bildimmanenten Relationen auf verschiedenen Ebenen. So ist die Form der Ensembles zwar offen und mehrdeutig, doch nach einem bestimmten Ordnungs- und Verweissystem organisiert. Ihr prozesshaftes Arbeiten, das Reproduzieren, Anbauen und Wiedereinbauen bringt es mit sich, dass die Komplexität ihrer Arbeiten kein fester, einmal erreichter Zustand ist, sondern sich ständig verändert. Es geht um Be- und Entgrenzung, der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, um die Notwendigkeit einer Grenzziehung, um die Entgrenzung traditioneller Zeichensetzung. Ein fragiles 'Ich', in krakeliger Schrift auf dem Boden montiert, versucht sich im verwobenen Familiengeflecht mühsam zu behaupten und einen Ort für sich zu reklamieren. Das ähnlich rudimentär ausgeschnittene und zwischen zwei Holzbretter eingehängte Wort 'Alkohol' verweist im Gegenzug auf die Entgrenzungsmöglichkeiten eben dieses Ichs. Alles, selbst noch der Umgang mit der Sprache, ist primär Rohstoff für die Erforschung der Form als Transformation physischer und geistiger Existenz. Daher kennzeichnet die künstlerische Welterfahrung von Kang stets das Einbeziehen von Handlungen und Aktionen. Kunst verändert und transformiert und ist daher als Machen, Tat und Arbeit zu verstehen. Dem Anteil der Hand sowie dem Einsatz körperlicher Energien kommt hierbei eine nicht gering zu achtende Bedeutung zu. Durch ihre Einbindung in einen raumspezifischen, installativen Kontext lassen sich die zahlreichen Zeichnungen von Heejung Kang als eine ehrlich gemeinte Aufforderung zur Kommunikation und zum persönlichen Austausch ohne zynische Distanz lesen. Mit ihrer Aufwertung des Daseins wirbt Kang für eine intensivierte visuelle Wahrnehmung der Welt, um damit die Grenzen der menschlichen Bedingtheit weiter hinauszuschieben und den Raum der menschlichen Freiheit zu erweitern.

Mit ihrer Visualisierungsstrategie, die bewusst auch fehlerhaftes und unvorhersehbares mit einschließt, verweist die Künstlerin auf die Arbeitsweise des menschlichen Bewusstseins, sein ständiges Schwanken und Driften zwischen Verengung und Erweiterung, sein Murmeln von Texten und Subtexten. Die installativen Improvisationen von Heejung Kang sind gleichsam organische und belebte Skulpturen, die von den Möglichkeitsformen des Lebens selbst erzählen. Gelebte Zeit, Erinnerungen an ferne und nahe Orte sowie beiläufige Augenblicke finden Einzug in diesen pulsierenden Raumkörper. Er steht bereit zum osmotischen Austausch mit denjenigen, die sich auf das spannende Wagnis der Ich-Erkundung einlassen und bietet seine versteckten Geheimnisse jedem, der im Gegenzug seine Phantasie einbringt. Es sind nicht die finalen Setzungen, die die Künstlerin vordringlich interessieren. Daher erinnern ihre Arbeit auch viel eher an Baustellen und Architekturen auf Zeit. Es handelt sich hierbei um lesbare Orte, Orte, die Relationen aufzeigen, Energien und Utopien verhandeln. Heejung Kang hat Übersetzungen dieser Orte und Räume im Übergang entwickelt. In ihren konkret auf den jeweiligen Ausstellungsraum bezogenen Installationen gelingt es der Künstlerin, hinter der vermeintlich vertrauten, vorgefundenen Realität eine andere, zweite Wirklichkeit aufscheinen zu lassen. Mit ihren poetisch-kreativen skulpturalen Raumbesetzungen nähert sich Heejung Kang dem eigentlich relevanten Raum an, dem Beziehungs- und Resonanzraum zwischen den Menschen, für welchen die Familie als Urszene fungieren mag.

Harald Uhr

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Heejung Kang: Familie