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Im Rahmen der Ausstellung "Both Sides Now" zeigen wir Fotoarbeiten des Grenzgängers zwischen Malerei und Fotografie – Helle Jetzig. Der Künstler hat über die Jahre eine aussergewöhnliche Technik, eine Kombination aus Fotografie, Siebdruck und Lackmalerei entwickelt. So entstehen Variationen collageartiger Versatzstücke, die das Erscheinungsbild der bekannten Metropolen facettenreich widerspiegeln und gleichzeitig verfremden.

Bei seinen jüngsten Arbeiten setzt er neben der bekannten Technik auch ein weiteres, neues Trägermaterial ein: die Zinkplatte // Both Sides Now

BOTH SIDES NOW (aus der Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung)

Dies ist eine Ausstellung mit Arbeiten, die ganz unverkennbar nur von Helle Jetzig sein können. Er ist ein künstlerischer Einzelgänger, der seine ganz eigene spezielle Arbeitsweise entwickelt hat, so dass seine Bilder mit ihren glänzenden lackierten Oberflächen, durch die wir in leuchtende, farbige, beinahe surreale Welten und Szenerien schauen können, einmalig sind.

Die Ausstellung zeigt neue Arbeiten in mehrfachem Sinne: ganz "frische" Arbeiten, Bilder, in denen gerade neues Fotomaterial Verwendung findet, sowie neue Arbeiten auf Metall in einer Technik, deren Entwicklung sich der Künstler gerade in letzter Zeit besonders gewidmet hat.

Eine spezielle Arbeitsweise wie bei ihm, die geradezu zum Markenzeichen geworden ist, ist natürlich nicht vorgewusst und ausgedacht, ist nicht erfunden. Sie ist vielleicht ge-funden. Durch die ständige Auseinandersetzung mit und Arbeit an den Dingen, die ihn umtreiben. Bestimmte Materialien, Arbeitsweisen, Zufälle, Vorlieben, Erfahrungen. Er ist, was man "driven" nennt, ein Getriebener, der ständig in und mit seiner Kunst und durch seine Kunst lebt. Sie entsteht "bei der Arbeit", ist immer das Ergebnis der derzeitigen Auseinandersetzung mit ihr, der Kunst. So ist seine Kunst eine stetige Erneuerung, quasi aus sich selbst heraus, die aber für den Betrachter so möglicherweise nicht auf Anhieb nachzuvollziehen ist.

In dieser Ausstellung aber eben doch! Both Sides Now - Schon der Ausstellungstitel deutet es an. Now, both sides.

Neben den "Classics", ich möchte Helle Jetzigs hochglänzende Malereien auf Schwarzweißfotografie einmal so nennen, sehen sie neue Arbeiten auf Metall, auf Titanzink, um genau zu sein. Diese auf den ersten Blick so unterschiedlichen Arbeiten - die einen bestechen durch ihre leuchtende Farbigkeit und die glatten, hermetischen Oberflächen, während die anderen farblich deutlich zurückgenommener sind und Material und Bearbeitungsspuren deutlicher hervortreten - sind aber doch nach den gleichen Prinzipien entstanden. Diese verbindenden Merkmale und Prinzipien sind

Einsatz bestimmter Materialeigenschaften Vielschichtigkeit Einsatz unterschiedlichster Techniken Verbindung von Fotografie und reiner Malerei * Verbindung von Abbildung und Abstraktion

Tatsächlich sind beide Arten von Bildern für den Künstler nicht mehr und nicht weniger als die beiden Seiten derselben Medaille. Lassen sie mich das genauer ausführen.

Helle Jetzig hat sich immer schon in seiner Kunst mit bestimmeten Materialeigenschaften auseinandergesetzt, er kommt sozusagen vom Materialbild. In den Arbeiten auf Zink wird dieser Rückgriff offensichtlich. Aber auch die Classics beziehen ja ihre besondere Strahlkraft nicht zuletzt aus bestimmten Materialeigenschaften, die bewusst eingesetzt werden. Hier sind es vor allem die vielen Lackschichten, die immer wieder zwischengeschliffen werden. Für den Künstler sind sie das dickflüssige, gelbliche Material, das er mit dem Pinsel verarbeitet, nur für den Betrachter erscheinen sie lediglich als glatte Oberfläche, während er die Lackschichten auf dem Metall ganz deutlich als das Material Lack erkennen kann. Der Lack ist bucklig, rissig, verläuft in Nasen. Und unter ihm ist das eigentliche Trägermaterial, der Titanzink, auch als solcher ganz deutlich zu erkennen. Die Entsprechung zum Zink sind die Schwarzweißfotografien der Classics, so dass auch in diesem Falle für den Künstler das Ausgangsmaterial von der Anmutung gar nicht so unterschiedlich erscheint. Es ist die gleiche Liebe zum Material und letztlich sogar die gleiche Herangehensweise, nur sind auf der einen Seite die Materialeigenschaften, dadurch das die Materialien übereinander liegen, zusammengewachsen, während beim anderen die Einzelkomponenten stärker hervortreten.

Neben dem Material ist auch die Vielschichtigkeit ein Merkmal, das beide Arten von Bildern verbindet. Sie kennen das schon von den Classics: auf Schwarzweißfotografie wird in vielen Schichten mit lasierenden Farben gemalt, anschließend mit vielen Lackschichten überarbeitet, zwischen denen wiederum farbige Siebdrucke zu schwimmen scheinen. So entsteht eine beinahe greifbare räumliche Tiefe in den Bildern. Fotografische Motive, Malspuren, verschiedenfarbige Lackspuren, Siebdrucke sind auch auf den Zinkplatten so über- und nebeneinander gelegt, dass manchmal ein reliefartiger und damit räumlicher Eindruck entsteht.

Bei der Verwendung verschiedenster Techniken ist besonders ist die Verbindung von Fotografie und reiner Malerei typisch für Jetzigs Arbeiten. In den Classics entsteht durch die Überblendung verschiedener Fotomotive eine schwarzweiße Vorlage. Die Malerei darauf wiederum richtet sich nicht nach den Motiven. Sie greift Strukturen auf, aber ansonsten entwickelt sie sich frei und rein intuitiv. Sie stellt nichts dar, sie ist reine Malerei. Als zusätzliche Technik fungiert der Siebdruck, eine farbige grafische Gestaltung, die gleichzeitig die Fotografie in abstrakterer Form wieder aufgreift. Der Siebdruck ermöglicht es auch, Fotomotive auf Zinkplatten zu übertragen. Auf die Zinkplatten wird gedruckt und anschließend mit Säure gearbeitet. Helle Jetzig überblendet nicht, sondern druckt mehrere Fotomotive, übermalt sie mit Säure. Man kann diese freie Technik als gesteuerten Zufall bezeichnen, reine Malerei mit anderen Mitteln. Mit Säure, mit farbigen Lacken und farbigen Siebdrucken entsteht eine ähnliche Magie wie bei den Classics.

Diese verschiedenen Techniken bedeuten auf einer zweiten Ebene die Auseinandersetzung mit Abbildung einerseits und Abstraktion andererseits, das Ausloten unterschiedlicher Bildrealitäten. Indem beide Seiten hier auftauchen, stellen sie sich gegenseitig in Frage und ergänzen sich gleichzeitig zu einem neuen Ganzen. Das ist es ja, was die Arbeiten von Helle Jetzig so spannend macht, die einen wie die anderen. Sie spielen mit Bildwelten, sind immer auch, aber niemals nur: Fotografie, Abbildung, Malerei, abstraktes Bild, Materialbild, Städteportrait, ...Und eigentlich sind sie das alles auch nicht, sondern etwas ganz Eigenes, mit eigener Ausstrahlung und Aussage. Typisch einmalige Jetzigs eben.

In dieser Ausstellung hat Helle Jetzig zum größten Teil völlig neues Fotomaterial verwendet. Bereits im letzten Jahr hat mit einer Reise nach Haarlem (NL) seine Arbeit an einem großen Zyklus "Die Alte Welt" begonnen, die sich in diesem Jahr mit Reisen nach Madrid, Mailand und Paris fortgesetzt hat und auch noch weiter fortgesetzt werden soll. Es ist ein Projekt, das über Jahre angelegt ist. Außerdem war der Künstler in diesem Jahr auch wieder In New York, das ihm ja, wie sie wissen, seit Jahren immer wieder Fotomaterial liefert. Die hier ausgestellten Arbeiten beweisen, dass auch in diesem Sinne durchaus von zwei Seiten gesprochen werden kann. Je nach Fotomaterial entfalten die Bilder, trotz gleicher Arbeitsweise, ihre eigene Dynamik, sind die "europäischen" anders als die Arbeiten mit New-York-Fotografie.

Dies liegt natürlich am Fotografen Helle Jetzig. Es ist kein gemütlicher Ausflug, wenn er reist. Manisch werden die Städte zu Fuß durchlaufen, bestimmte Orte zu verschiedenen Tageszeiten und Lichtverhältnissen wieder aufgesucht, immer auf der Suche nach Motiven. Schon die Kamera des Fotografen sucht die zwei Seiten, die Spannungen. Das können bestimmte Strukturen sein bis hin zu Spannungen gesellschaftlicher Realität, die sich in bestimmten Motiven widerspiegeln. Ich denke zum Beispiel an den Times Square, diese gigantische schreckliche "schöne neue Welt" aus übereinandergeschachtelten Werbetafeln, Leuchtreklamen, Laufbändern, Gebäuden, die in den Arbeiten "Full House" auftauchen. Es sind aber auch die kleinen Dinge am Rande. In den Bildern werden diese Spannungen durch unterschiedliche Kombinationen wieder aufgegriffen.

In diesem Zusammenhang interessiert Helle Jetzig in letzter Zeit besonders ein neues Phänomen, das ihm zum ersten Mal im letzten Jahr in Haarlem begegnet ist, mittlerweile aber wohl in allen Städten Europas zu finden ist, die sogenannten Stencils, Schablonendrucke, bzw. werden mit Hilfe von Schablonen bestimmte Motive an Wände und Häuser gesprüht. Auf der einen Seite ein Ausdrucksmittel jugendlicher Gegenkultur, ist die Schablone natürlich ein allgemein gebräuchliches Gestaltungsmittel, bis hin zum Markenzeichen von Trussardi (wie in den Bildern "Both Sides Now") - und Helle Jetzigs Siebdrucke sind ja letztlich auch nichts anderes.

Regina Böker, November 2005

Pressetext

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Helle Jetzig: Both Sides Now
Malerei und Siebdruck auf Schwarzweiß-Fotografie und neue Arbeiten auf Metall