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Unser Gehirn erscheint als ein unberechenbarer, unendlich vielfältiger und komplizierter Apparat, der von einem selbständig funktionierenden Netzwerk verschiedenster Verbindungen und Bezüge gebildet ist. Seine so gestaltete Architektur ist von einem jeweils individuellen Grundmuster bestimmt, von dem vorgegebenen Rahmen des Ichs, so dass wir die Welt und uns selbst nicht im eigentlichen Sinne wahrnehmen, sondern inszenieren, d.h. dass alles, was uns bewusst wird, unsere eigene Inszenierung davon ist.

Die Ausstellungsreihe BACKSTAGE thematisiert diese cerebrale Form der Inszenierung und Imagination, sowie die Schaulust und Täuschung.

Die erste Ausstellung MEMORY LOST von Hendrik de Wit bewegt sich im Grenzbereich wahrer wie erfundener Geschichten, zwischen Realität, Bühne und Phantasie. Seine Objekte sind bühnenhafte Modelle von einer medienvermittelten und fiktiven Realität, in deren Mikrokosmos wir voyeuristisch blicken, wobei wir hinter die Kulissen politisch-gesellschaftlicher Inszenierung zu sehen glauben. Hendrik de Wit spielt mit der Illusion des Theaters, mit dem Spektakulären wie Spekulativen und reizt dabei unsere Wahrnehmung und irritiert unsere Erwartungshaltung und Vorstellungen.

Mit seinen Arbeiten inszeniert er Realitätsverschiebungen, bei denen wir zwischen wieder erkannten, erinnerten und erfundenen Bildern nicht mehr klar unterscheiden können. So werden wir auf die Struktur unseres Bewusstseins (der Wahrnehmung und dem Erinnerungs- und Erfindungsvermögens) gelenkt, das uns täuscht und sich selbst eine passende Realität erzählt. Die eigentlichen Bilder und die daraus weitergedachten Geschichten entstehen damit allein im Kopf des Betrachters.

Hendrik de Wit stellt den Betrachter zunächst in ein vollständiges Dunkel, um ihn dann für den Blick auf spärlich beleuchtete nächtliche Landschaften und Räume zu sensibilisieren. Anfangs orientierungslos erkennt er bald Schemen und Silhouetten, schließlich dreidimensionale Szenerien. Erst allmählich - wenn sich das Auge eingestellt hat - werden Situationen erkennbar: von gejagten Grenzgängern, die sich in Gebüschen verstecken, Zäune zu überklettern versuchen und dabei der Brutalität ihrer uniformierten Verfolger wehrlos ausgesetzt sind.

Diese oder ähnliche Bilder hat man zuvor vielleicht schon gesehen, doch Hendrik de Wit lässt uns nicht einfach auf sie draufschauen, er nimmt uns mit in sie hinein, wir bewegen uns in ihnen - unsicher und immer wieder hilflos bei unserem Versuch, Konturen auszumachen, Figuren zu identifizieren. Wir erschrecken, wenn wir gerade einen Überblick zu haben glauben und dann das aggressive Zentrum der Situation, ihr bedrohliches Potential doch noch erst entdecken.

Hendrik de Wit, der hier teilweise nach Pressephotos arbeitet, führt uns in den unheimlichen Raum von Heimatlosen sowie an die Orte imperialer Macht, die er uns ebenso nächtlich verlassen zeigt oder nur von Schattenmenschen ohne Gesicht bevölkert sind. Er gibt Hinweise, aber keine Erklärungen, stößt dazu an, sich in seine Räume hineinzuversetzen, eine Geschichte mitzudenken, sich selbst etwas zu erzählen. Die Voraussetzung dafür ist, dass er unsere Wahrnehmung thematisiert, indem er sie zunächst verunsichert. Schnellfertigkeit wird ausgebremst, rasterhaft selektierendes Sehen verhindert. Eine gesteigerte Beteiligung, ein entscheidendes Mehr an Empathie für die politischen Themen, die Hendrik de Wit beschäftigen, ist das Ergebnis. (Stefan Karthaus)

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BACKSTAGE I
Hendrik de Wit
Memory Lost