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Das gesamte graphische Werk von Henri de Toulouse-Lautrec entstand am Ende eines ebenso kurzen wie intensiven Lebens. Innerhalb von nur einem Jahrzehnt schuf der aus dem französischen Hochadel stammende Künstler, fasziniert von den Möglichkeiten einer damals neuen Technik, über 300 meist farbige Steindrucke. Seine von japanischen Holzschnitten inspirierten Farblithographien wurden mit ihren starken Kontrasten und der Verbindung von Schrift und Bild stilistisch zum Ausgangspunkt der modernen Druckgraphik.

Der seit einem Unfall kleinwüchsige Aristokrat verbrachte seine Zeit vorwiegend in den Cafés, Cabarets, Bars und Bordellen rund um den Montmartre und schilderte diese Umgebung ohne Überheblichkeit und ohne falsches Mitleid. Mit seinen ungeschminkten Szenen des mondänen Pariser Nachtlebens prägte Lautrec ganz entschieden das Bild einer legendären Zeit, der so genannten »Belle Epoque«.

Toulouse-Lautrec war ein großer Darsteller des einfachen Menschen. Mit unbestechlicher Genauigkeit zeigte er ihn nicht in einer anonymen Gruppe, sondern als Persönlichkeit, als Individuum, dem er sich innerlich zutiefst verbunden fühlte. Mit scharfem Auge erfasste er die Schönheit und die Hässlichkeit, die Fehler und die Schwächen des Einzelnen, ohne ihn bloßzustellen. Er war kein Karikaturist, sondern ein scharfer Beobachter seiner Umwelt, der die dekadenten Emporkömmlinge und eitlen Bürger verachtete, aber voller Mitgefühl den Alltag, die Würde und das Elend der "kleinen Leute", der Straßenmenschen, der Klein-künstler und Prostituierten erzählte.

Immer wahrte Lautrec zugleich größten Respekt und unsenti-mentale Distanz gegenüber den Dargestellten, mit denen er die Realität weder romantisch verklärte, noch sozialkritisch unter-legte, sondern unverfälscht und nackt zu zeigen vermochte. Anderseits nahm Toulouse-Lautrec selbst aktiv am Leben in der Halb- und Scheinwelt des Montmartre teil, um sein Schicksal, das er ohne Bitterkeit sah, zu vergessen, und dem Leben ein Maximum an Intensität, Rausch und Extase abzuringen.

Selbstzerstörerische Maßlosigkeit, Alkoholismus und Syphilis beschleunigten seien körperlichen und geistigen Verfall in einem Maße, dass er 1901 im Alter von nur 36 Jahren starb.

Die Ausstellung im Ernst Barlach Museum Wedel vereint die berühmtesten Plakate, Einzelblätter und Folgen von Henri de Toulouse-Lautrec, der mit seinem künstlerischen Werk zu einem Wegbereiter der Kunst des 20. Jahrhunderts wurde.

Wie schon im japanischen Holzschnitt verwendete auch Toulouse-Lautrec eine unglaubliche Raffinesse, um Bildthema und Komposition durch kühne Verkürzungen und Überschnei-dungen eng an die Bildfläche zu binden. Steile Diagonalen lassen das Nahe und das Ferne unmittelbar aufeinander stoßen und heben unsere Erfahrung des gewohnten perspektivischen Raumes vollständig auf. Bei der Verwendung der Farbe erreichte Toulouse-Lautrec eine überragende Virtuosität im Umgang mit dem Lithostein, die von fein ausgewogenen Abstufungen und Übergängen bis hin zu plakativen und drastischen Kontrasten der Farbflächen reicht.

Die Bandbreite der farbigen Graphik um 1890 wird jeden Besucher der Ausstellung in Erstaunen versetzen. Nachdem sie lange als rein kommerziell verpönt gewesen war, drang sie plötzlich in alle Bereiche der Kunst vor. Nie zuvor und nie wieder danach spielte dieses Genre eine künstlerisch so bedeutende Rolle wie in den Jahren nach 1900. Sammler und Publikum waren gleichermaßen fasziniert, aber auch schockiert von diesem neuen Medium, dessen Anziehungskraft bis heute ungemindert ist.

In seiner Produktivität und Kreativität war Toulouse-Lautrec unvergleichlich, dies wird vor allem neben Werken seiner berühmten Zeitgenossen wie Jules Chéret, Alfons Mucha, Théophile-Alexandre Steinlen oder Pierre Bonnard deutlich. Sie alle haben mit Plakaten, aber auch auf graphischen Einzelblättern für Zeitschriften und in Mappenwerken um die Wiedergabe der Stars vom Montmartre, einer Loïe Fuller, Jane Avril, Yvette Guilbert, Marcelle Lender und eines Aristide Bruant gewetteifert.

Die Ausstellung bietet dem Betrachter die Gelegenheit, einer Vielfalt dieser künstlerischen Ausdrucksformen nachzuspüren, diese miteinander zu vergleichen um festzustellen, dass das graphische Werk einer Käthe Kollwitz, eines Heinrich Zille oder eines Ernst Barlach ohne den zeitgenössichen Einfluß aus Paris niemals diesen Weg genommen hätte.

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