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Wenn James Lee Byars seine filigrane minimalistische Papiercollage Ende der 70er Jahre mit I still love the 20th century betitelt, kann das als Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit dem Prinzip des Flüchtigen beziehungsweise der Koexistenz des Flüchtigen mit dem Ewigen gelesen werden. Sorgsam gefaltetes schwarzes Seidenpapier, auf dem er mit zartem Silberstift Spuren eigener Vergänglichkeit hinterlässt, erinnern an seine eigene schwer greifbare Existenz. Trotz ihrer Zerbrechlichkeit setzt die Arbeit einen „Ewigkeitsanspruch“ voraus, indem er auf einen noch nicht abgeschlossenen Zeitabschnitt zurückblickt: Ich liebe noch immer das 20. Jahrhundert.

Die gleichnamige Gruppenausstellung kann und will keinen Überblick der wichtigsten kunsthistorischen Strömungen des 20. Jahrhunderts geben, da man an zahllosen gegenwärtigen Ausstellungsversuchen beobachten kann, dass sie meist an ihrer Oberflächlichkeit scheitern. Sie stellt keine wehmütige Reminiszenz an eine vergangene Epoche dar, die aus der zeitlichen Distanz durch Mechanismen des Erinnerns und Vergessens verklärt wird. Sie ist vielmehr kritischer Kommentar zum gegenwärtigen Kunstbetrieb, der oft nicht mehr die Frage nach dem Werk an sich und seine Hintergründe stellt, sondern sich nur noch am kommerziellen Erfolg misst. Kunst wird zum nüchternen Investment, wobei oft keine persönliche Bindung mehr besteht, jedoch das Kunstwerk den Charakter eines dekorativen Statussymbols haben kann. Gekauft werden Marken, deren Wert künstlich in die Höhe getrieben wird. Die Gründe des derzeit herrschenden Kunstmarktbooms reichen ins vergangene Jahrhundert zurück. Bereits in den 1990er Jahren wurden im Rahmen der kontroversiell geführten Diskussion um die „Information Highways“ die Vision und die Auswirkungen der Informationsgesellschaft thematisiert. Informationen werden für einen Großteil der Bevölkerung immer schneller zugänglich jedoch auch immer leichter austausch- und manipulierbar. Die zunehmende weltweite Vernetzung der Gesellschaften und die Vereinfachung des Marktzugangs auf Grund des technischen Fortschritts in den Bereichen Information, Kommunikation, Transport und Kapital haben auch zur Globalisierung des Kunstmarktes geführt. Der Trend geht immer noch zu Großausstellungen, wie die zahlreichen Biennalen, Triennalen und Kunstmessen beweisen, die den Besucher mit einer schier unüberblickbaren Anzahl an „Newcomern“ und „Stars“ der Kunstszene überfordern und ihn mit dem unangenehmen Gefühl zurücklassen, etwas nicht gesehen, einen Trend nicht mitgemacht oder gar versäumt zu haben.

Innerhalb eines beschleunigten Ausstellungs- und Messewesens stellt sich die Gruppenschau I still love the 20th century die Aufgabe, dieses System kritisch zu hinterfragen. Selbst wenn sich die Galerie als rein privat geführtes Unternehmen den marktökonomischen Gesetzmäßigkeiten nie vollkommen verschließen kann, sieht sie es als ihre primäre Aufgabe, über permanenten Dialog mit den KünstlerInnen an deren Entwicklung und Förderung Anteil zu nehmen, als auch an der Schaffung eines öffentlichen Kulturbewusstseins, wissenschaftlicher Vermittlung und kunsthistorischer Verankerung. Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Werken, die als Studien oder Modelle den Entwicklungsprozess künstlerischer Ausdrucksformen und Kontexte verdeutlichen und somit wichtiges kunsthistorisches Zeugnis sind. So ist Gerhard Richters Arbeit Untitled 1979 eine von lediglich drei Studien zu seinem Monumentalwerk 451 (Strich - gelb auf blau) und gilt neben seiner maßstabsgetreuen Skizze Strich als frühes Schlüsselwerk seines Weges zur Abstraktion.

Die exakte Komposition der beiden „shaped canvases“ von Gerhard Merz aus dem Jahr 1978 erschließt dem Betrachter erst in Kombination mit der zart auf Millimeterpapier ausgeführten Wasserfarbenskizze, wie sehr sein Konzept von Malerei von architekturbezogenem Denken bestimmt ist.

Begünstigt durch die spezifische räumliche Situation der Galerie, die sich auf drei Ebenen erstreckt, entstehen Zonen, die durch die bewusste Inszenierung vor allem für eine Entschleunigung der Wahrnehmung sorgen und durch ästhetische Bezugspunkte Impulse für neue Verknüpfungen und Assoziationen gegeben werden können. Mit seinen Spiegelinstallationen und Bauten, die Architektur und Skulptur verbinden, setzt sich Dan Graham mit der Beziehung von Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden auseinander. Alle drei in der Ausstellung gezeigten Modelle seiner Pavillons wurden zum Teil erst Jahre später ausgeführt und thematisieren mit ihren wechselnd verspiegelten und transparenten Paneelen die prozessuale Wahrnehmung des Betrachters, seine Beziehung zur Umwelt und sein Bewusstsein von Körperlichkeit.

Auch das im letzten Raum der Ausstellung gezeigte Video von Herwig Turk und Guenter Stöger, das 2005 in der vegetationslosen Salzwüste von Utah gedreht wurde, stellt Fragen nach der Wertigkeit des Individuums im Kontext zu seiner räumlichen und sozialen Umgebung. Die Bewegung des Bildes und der Figuren im Video generieren ein Fliessen, das innerhalb von 28 Minuten immer wieder neue Landschaften und Horizonte erzeugt, wobei es für den Betrachter – auf einem salzbedeckten Boden liegend – oft nicht mehr möglich ist die verschiedenen Ebenen des Raumes und der Wahrnehmung zu entflechten.

Pressetext

only in german

I Still Love the 20th Century

mit Richard Artschwager, Daniel Buren, James Lee Byars, Peter Fend, Poul Gernes, Dan Graham, Jon Kessler, Stanislav Kolibal, Willi Kopf, Arthur Köpcke, Thomas Locher, Gerhard Merz, Rune Mields, Matt Mullican, Paul Outerbridge, Blinky Palermo, Arnulf Rainer, Ad Reinhardt, Gerhard Richter, Wilhelm Sasnal, Leon Polk Smith, Robert Smithson, Doug & Mike Starn, Günter Stöger, Herwig Turk, Cerith Wyn Evans ...