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Eröffnung Freitag, 23.03. um 19 Uhr

Der Kunstverein Freiburg zeigt vom 23.03. bis 06.05.2012 in der Gruppenausstellung „Ich ist ein anderer“ Werke von sechs internationalen Künstlerinnen und Künstlern. In der weiterführenden Serie der jährlich stattfindenden Gruppenausstellungen, die eine gegenwärtige Tendenz aufgreift und zusammenfasst, wurde für den Titel „Ich ist ein anderer“ die berühmte Formulierung „Je est un autre“ des französischen Dichters Arthur Rimbaud aus dem 19. Jahrhundert gewählt. Schon im Original ist die grammatikalische Verzerrung ein unmittelbarer Ausdruck der Verlegenheit, das künstlerische Selbst zu fiktionalisieren und zu objektivieren. Das Sich-selbst-Bewusstwerden oder, aktiver ausgedrückt, das Sich-selbst-Untersuchende, entwickelte sich zur wesentlichen künstlerischen und literarischen Form. In der Bildenden Kunst ist das ichbezogene Innere – die eingeschränkte, aber verbindliche Sicherheit der auf das Selbst beschränkten Sicht der Welt – ein ebenso grundsätzliches Thema wie das ausdrücklich Objektivierende des künstlerischen Selbst. Mehr noch, das Selbst ist für eine Künstlerin oder einen Künstler schwer von dem Bild in der Öffentlichkeit zu trennen, dem Marken-Image des Selbst, das ihr oder sein Werk kultiviert. Auf diese Art und Weise kann die Selbstidentität, wie sie sich in einem zeitgenössischen Kunstwerk manifestiert, wie ein Blick in ein Spiegelkabinett aufgefasst werden, in der Niemand der ist, den oder die wir sehen.

In der ersten Ära der Postmodernen Kunst, in den 1970er und 1980er Jahren, wurde die modernistische Präsentation des ganzheitlichen, autonomen künstlerischen Selbst von der Idee der Subjektivität ersetzt, die nicht länger allein auf sich selbst bezogen, sondern den Wirren der exponentiell expandierenden Welt der Vermittlung unterlegen ist. Die bahnbrechende Serie „Lieber Maler, male mir“ der Gemälde von Martin Kippenberger aus den frühen 1980er Jahren zeigt eine Zusammenstellung von Bildern, mit denen der Künstler sich selbst präsentierte, symbolisierte, oder sein Bild von sich als „Kunst-Berühmtheit“ entwarf. Bezeichnenderweise beauftragte Kippenberger für die Ausführung der Werke professionelle Plakatmaler.

Die Farbfotografien von Stephen Shore aus dem Beginn der 1970er Jahre stellen die Prämisse in Frage, dass das künstlerische Foto die Wahrnehmung des Fotografen, der es aufgenommen hat, repräsentiere. Seine Serie „Uncommon Places“ (1973) besteht aus fast standardisierten Ansichten der Nordamerikanischen sozialen Landschaft von Vorstädten und Stadtzentren in der Provinz. Es scheint, dass das Ich des Fotografen als Ausdruck eines Jedermann-Reisenden festgehalten ist. Die Blätter seines „Road Trip Journal“ (1973) zeigen in den unterschiedlichen Ausschnitten, die er während seiner Reisen aufbewahrt hat, ein alternatives persönliches Bild des Künstler-Autors: Quittungen und kommerzielle Postkarten. Shore ist dabei lediglich der Name auf einer Kreditkarte, die Quelle der Datenflut.

In den Fotografien des georgischen Künstlers David Meskhi werden die Vorstellungen der Grenzen der fotografischen Gattung enttäuscht. Sind dies persönliche, tagebuchartige Fotografien, oder sollten sie eher von einer objektiven, journalistischen Warte aus betrachtet werden? Die Bilder einer Gruppe von jugendlichen Skatern legen nahe, dass der Fotograf Teil der „Gang“ ist, um überhaupt einen solch vertraulichen Zugang zu ihnen erhalten zu können. Jedoch werden diese Fotografien direkt neben schwarz/weiss Aufnahmen von Athleten installiert. Meskhi variiert die Präsentation der Fotografien von Farb- zu schwarz/weiss Aufnahmen, von gerahmten zu ungerahmten, wie das Selbst, das unterschiedliche Kleidung anprobiert.

Die menschliche Handlung, die eine Identität annimmt, kann als Material verwendet werden, um Kunst zu schaffen. In ihrem Film „Untitled (The Artist as Torquato Tasso)” (2009) nimmt die Künstlerin Susanne M. Winterling theatralisch die Rolle eines anderen Künstlers ein – in ihrem Fall die des italienischen Dichters Torquato Tasso aus dem 16. Jahrhundert, der geisteskrank wurde. Die Künstlerin wird zum projizierten Künstler, und wie dies in ihrem Werk in Erscheinung tritt wird sie zu einem Symbol für die Andersartigkeit eines Künstlerselbst sowie des eigenen Geschlechts.

Die fotografischen Collagen und formalistischen Skulpturen von Becky Beasley lassen oftmals visuelle Charakteristika modernistischer Kunst vermuten – die geometrische Linienführung und die Anmutung der eingeschlossenen Subjektivität. Jedoch sind diese Grundformen nicht selbstbezogene Abstraktionen, sondern Ziffern, die als Ersatz für unterschiedliche literarische und sogar autobiografische Erzählungen dienen. Auf diese Weise erweist sich eine Form von Subjektivität, die sich mit modernistischer Kunst assoziieren lässt, als ein Schauplatz für eine postmoderne Erfindung des Selbst.

Die Videos der englischen Künstlerin Lindsay Seers werden in speziell konstruierten Räumen gezeigt. Sie reflektieren metaphorisch die Haut der selbstbezogenen Eingeschlossenheit, in denen sich die Protagonisten ihrer Filme befinden, beschützt und gleichzeitig eingesperrt. Seers Werk geht üblicherweise vom Monolog für die autobiografische Form aus, jedoch sind die imaginären Charaktere, die sich in ihren Kunstwerken befinden, offensichtlich erfunden.

Ebenso verwenden die beiden Filme von Laura Horelli „Haukka-Pala“ (2009) und „The Terrace“ (2011) die Mittel des Monologs. In ihnen ist die Mutter der Künstlerin der Gesprächsgegenstand. Dennoch ist die Person, die Horelli in diesen Filmen projiziert unleugbar künstlich. Private Offenbarung ist untrennbar vom öffentlichen Auftritt. Dokumentation fällt in fiktionale Dramatisierung. Horelli ist eventuell mit authentischen Geschehnissen ihrer Erinnerung beschäftigt, gleichzeitig spielt sie aber auch eine Rolle darin, ihre Vergangenheit in künstlerischer Form zu präsentieren. Sie ist, um Bezug auf den Titel der Ausstellung zu nehmen, beides: sie selbst und eine andere, die ihre Kunst aus ihr macht.

Die Ausstellung wird am Freitag, den 23.03.2012 um 19 Uhr eröffnet. Um 19:30 Uhr wird die Direktorin Caroline Käding in die Ausstellung einführen. Die Vorbesichtigung für die Pressekonferenz findet am Freitag, den 23.03.2012 um 10 Uhr statt. Es werden einige Künstler der Ausstellung anwesend sein.

Rahmenprogramm Samstag, 24.03. um 19 Uhr | Kunstsalon mit der Künstlerin Lindsay Seers Sonntag, 25.03. um 14 Uhr | KKK-Familienworkshop Mittwoch, 28.03. um 19 Uhr | Öffentliche Führung Mittwoch, 18.04. um 19 Uhr | Öffentliche Führung

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Ich ist ein anderer

Künstler: Becky Beasley, Laura Horelli, Martin Kippenberger, David Meskhi, Lindsay Seers, Stephen Shore, Susanne Winterling