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Mit der Kooperation dreier französischer Künstler beschließt der Kunstverein sein Jahresprojekt "Ich-Maschine". Dominique Gonzalez-Foerster, Philippe Parreno und Pierre Huyghe greifen in ihrer Ausstellung formale, ästhetische und theoretische Aspekte des Kinos und der bildenden Kunst auf. Damit thematisieren sie erneut und gewissermaßen zusammenfassend die in den vorherigen Ausstellungen (Morgan Fisher, Fiona Tan, Screen Climbing) aufgeworfenen Fragestellungen - etwa nach der ideologischen Wirkungsweise des filmischen Apparats, nach dessen Einfluss auf die Konstruktion von Identitäten und nach dem Verhältnis von Kino und Museum als Stätten der Produktion von Subjekten.

Anders ausgedrückt: Welchen Beitrag leisten Bilder, speziell Filmbilder, für unsere Vorstellung von uns selbst und von unserer Umwelt und - was für eine Wirklichkeit ist das überhaupt, die da entsteht? In komplexen Inszenierungen stoßen Realität und Fiktion aufeinander. Die Hälfte der Ausstellungshalle nimmt eine Installation um die computeranimierte Manga-Comicfigur ANNLEE ein. Die Rekonstruktion des gemein-samen Beitrags zur Biennale von Venedig 1999, eine dreiräumige Schrift- und Video-installation, bestimmt ein weiteres Drittel. Dazwischen liegt, quasi als Abgesang an das Museum, ein verlassener Korridor. Nur ein digitaler Bildschirm verliert sich darin, ein Erzähler berichtet von einer vergangenen Ausstellung: die erste Station der dreiteiligen Zusammenarbeit der drei Franzosen im Musée d'art moderne de la Ville de Paris 1998. Projektionen und Bildschirme weisen dem Betrachter den Weg. Wenn konkrete Objekte erscheinen, sind sie doch nur wieder Anfangsbilder für einen Film im Kopf des Betrachters.

ANNLEE ist eine Figur, wie sie in Japan von Agenturen fließbandartig für die Comic-industrie entworfen werden. Der Preis richtet sich nach der Komplexität der Charaktere. Sie funktionieren als Elemente der nach Baukastenmanier entworfenen Geschichten. Individualität wird zu einer Frage des Geldbeutels. Parreno sicherte sich die Rechte an der "jungen Frau", Anlee, deren Identität entsprechend ihrer vorgesehenen kurzen Einsatzdauer eher simpel gestrickt war. In drei Animationen (der Film von Dominique Gonzalez-Foerster hat in Hamburg Premiere!) entwickeln die Künstler durch ihre Zugaben die Komplexität dieser Figur und verlängern auf diese Weise ihr "Leben". Parrenos eigener Einsatz und das Weiterreichen von Annlee an seine Kollegen erscheint zunächst wie ein liebevoller Witz zum Thema Humanität in Zeiten der Digitalisierung. Bei näherem Hinsehen lassen sich jedoch Gedanken ableiten, die von der Wechselwirkung von Realem und Fiktiven bis zum Durchbrechen ökonomischer Logik mittels künstler-scher Strategien reichen.

Wie Vorspann, Hauptfilm und Nachspann sind die drei Räume der Venedig-Installation hintereinander geschaltet. Informationen in Form von geplotteten, an den Wänden befindlichen Schrift-Bildern - gestaltet vom Pariser Grafikbüro M&M - rahmen das Geschehen im großen mittleren Saal ein. Hier läuft eine Projektion mit Filmen der drei Künstler: Für L'Ellipse (1998) montierte Pierre Huyghe zwischen zwei entscheidende Einstellungen aus Wenders' "Der amerikanische Freund" (1977) eine eigene Kamerafahrt. Der damalige Hauptdarsteller Bruno Ganz geht die im Original ausgelassene Strecke ab. Nachträglich wird seiner Figur Platz für die Entwicklung eines Verhältnisses zu den Ereignissen gegeben. Die Arbeit an der formalen Struktur filmischer Narration verweist auf den Anteil der Zuschauer an der Konstruktion der Geschichte. Philippe Parreno drehte mit Dave Stewart von den Eurythmics einen Film zwischen Werbung und Musikclip. In Picorette (1998) singt Stewart "J'aime les filles'" zu Originalmaterial der Picorette-Schokoladen-Werbung, dem Aufnahmen von den Kindern des Musikers beigemischt wurden. Werbung als identitäts-stiftender Faktor einer Generation trifft auf die Übertragung von Identität auf die nächste. Dominique Gonzalez-Foersters Film Riyo (1999) besteht nur aus einer Kamerafahrt entlang eines Flussufers in einer japanischen Stadt. Dem Gespräch eines Telefondates zweier Teenager lauschend, entwirft der Film eine Athmosphäre leicht varierender Nuancen eines anonymen Ortes, an dem sich Jugendliche in Folge solch kommerzieller Telefonanbahnungen treffen. Die drei Beiträge wurden im Vorführraum in Venedig abgefilmt, Wochen vor der Biennale. Zusehen ist folglich eine lange Kameraeinstellung, die erst nach einem Gang aus dem Gebäude in den verwilderten Park vor dem Italienischen Pavillion endet. Dokumentar- und Spielfilmebene treten auf mehreren Ebenen in einen Dialog. Die Gleichzeitigkeit von Anwesenheit und Abwesenheit, der Austausch an der Trennlinie von konkreter Lebenswelt und (nur scheinbar) fiktionalem Raum hinter der Leinwand steht im Mittelpunkt ihrer Installation.

1998 entwarfen Gonzalez-Foerster, Parreno und Huyghe in Paris ein ,Museum der Zukunft', in dem das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit thematisiert wurde. Die Präsentation ihrer eigenen, meist situativ entstandenen früheren arbeiten entwarf das Museum als einen Ort, an dem die Objekte lediglich Verweise auf Geschichten sind, ohne einen innewohnenden Wert. Zur Ausarbeitung müssen die Besucher stets ihren eigenen Beitrag leisten. Wenn davon in Hamburg nur ein Bildschirm übrigbleibt, drängt sich der Schluss auf, dass das Museum als Ort der Antworten und hinreichenden Erfahrung mit dem Objekt ausgedient hat. Die Ausstellung im Kunstverein thematisiert mit dem Aufgreifen der früheren Stationen erneut die Kunstinstitution als Ort der Produktion (nicht nur der Präsentation) von (Erinnerungs-) Bildern.

Dominique Gonzalez-Foerster geb. 1965, lebt in Paris Philippe Parreno geb. 1964 in Oran, Algerien, lebt in Paris Pierre Huyghe geb. 1962 in Paris, lebt in Paris

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Ich-Maschine
Dominique Gonzales-Foerster, Philippe Parreno, Pierre Huyghe