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Das Frauenfilmfestival präsentiert in Dortmund ein großes Programm zu den brennenden Fragen der Zeit. Das Motto WAS TUN ist Frage und Antwort zugleich. Denn dass was getan werden muss angesichts weltweiter ökologischer, politischer und ideologischer Krisen, steht außer Frage. Wenn es aber an den großen Utopien und Programmen für sämtliche gesellschaftliche Bereiche fehlt, wie können entsprechende Gegenentwürfe dann aussehen?

Die Sektion umfasst rund 50 aktuelle und historische Filme von Filmemacherinnen aus aller Welt, die sich mit der Ratlosigkeit gegenüber den globalen Problemen, aber auch mit Interventionen und konstruktivem Widerstand auseinandersetzen. Vom Videoclip bis zum langen Spielfilm sind alle Genres vertreten, darunter preisgekrönte Arbeiten wie „There Once Was an Island“, „Between Two Fires“, „Waste Land“, oder „Age of Stupid“.

So vielfältig der medial-künstlerische Blick auf das Feld der Krise ausfällt, so sehr eint die unterschiedlichen Perspektiven die Überzeugung, dass es so nicht weitergehen kann! Es gilt, sich zu verhalten, Haltung einzunehmen, Position zu beziehen – WAS TUN also.

Der mit 5.000€ dotierte Preis für die beste Bildgestaltung geht zu gleichen Teilen an Eva Maschke für den Film „Frauenzimmer“ und an Hanne Klaas für den Film „Ole“.

Der Dokumentarfilm „Frauenzimmer“ gibt Einblicke in die außergewöhnlichen Lebensgeschichten und den teilweise überraschend bürgerlichen Alltag dreier Berliner Prostituierte. Für die Jurorinnen trägt die beeindruckende Bildgestaltung von Eva Maschke dazu bei, die Würde und Schönheit der Protagonistinnen stets zu wahren. Die Kamera agiere selbstbewusst, ohne voyeuristisch oder wertend zu sein. Mit „Ole“ wird ein sehr persönlicher und berührender Film ausgezeichnet. Hanne Klaas erzählt vom Suizid ihres Bruders Ole im Jahr 1991 und von den Auswirkungen dieses Freitods auf das Leben der Familie. Sie entwickelt eine konsequente und anspruchsvolle Bildgestaltung, die im Zusammenspiel mit der Tonebene eine emotionale Kraft entwickelt und Raum für eigene Gedanken lässt.

Eine lobende Erwähnung erhält die gebürtige Dortmunderin Maria Goinda für den Film „Cartonera“. Mit der Handkamera begleitet sie Kinder, die auf den Straßen von Buenos Aires Altpapier sammeln. Es gelingt ihr, eine Nähe zu den Kinder zerzustellen und uns einen Einblick in deren Überlebensstrategien zu verschaffen.

Der mit 25.000 Euro dotierte Preis für den besten Spielfilm ging an die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari. Sie erhielt den Preis für ihren Film ATTENBERG, eine Geschichte über Freundschaft, Lebenslust und Verlust, die mit distanziertem Minimalismus und großen Bildern erzählt wird. Wie ATTENBERG war auch der argentinische Beitrag LA MOSCA EN LA CENIZA von Gabriela David, der mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichnet wurde, als deutsche Erstaufführung zu sehen.

Die Jury war in diesem Jahr mit der Schauspielerin Maren Kroymann, der US-amerikanischen Bloggerin Melissa Silverstein und der Niederländerin Claudia Landsberger, Leiterin von EYE International, besetzt.

Sie begründete ihre Entscheidung wie folgt: „Tsangari kreiert mit der 23-jährigen Marina eine originelle, etwas einzelgängerische Frauenfigur, die sich den Herausforderungen des Erwachsen-Werdens mit Neugier und unbestechlichem Wahrheitsdrang stellt. Lebenshilfe bekommt sie von ihrer einzigen Freundin und durch die Tier-Dokumentationen von Sir David Attenborough. Marina entdeckt ihre Sexualität, während sie ihren krebskanken Vater in den Tod begleitet.

Tsangari unterläuft konventionelle Erzählformen, indem sie Stilelemente aus anderen Kunstformen: Tanz – von Ferne grüßt Pina Bausch –, Performance, Tier-Improvisationen und Popmusik spielerisch, aber nie beliebig ineinanderfließen lässt. Die Vorstellung von Normalität wird in entwaffnender, oft sehr komischer Weise dekonstruiert – in der erzählten Geschichte ebenso wie in der Machart des Films. Die Jury ist begeistert von dieser kühnen Frauenfigur, hinreißend verkörpert von Ariane Labed -, die ihr Anderssein selbstverständlich auslebt, ohne ihre Unsicherheit zu überspielen.“

Die Jury vergab eine lobende Erwähnung an den Film LA MOSCA EN LA CENIZA von Gabriela David, dessen unbequemes Thema der Prostitution von Minderjährigen hier einmal in einem Spielfilm behandelt wird. Die kürzlich verstorbene Regisseurin zeigt die Aktualität dieses Themas auf, und dass diese massive Verletzung der Menschenrechte uns alle angeht – in allen Ländern, in allen gesellschaftlichen Schichten und mit der Konsequenz, dass sich die Politik dem Thema endlich auf höchster Ebene annehmen muss.

Der mit 1.000 Euro dotierte trailer-Publikumspreis geht an Ariane Astrid Atodji aus Kamerun für ihren Dokumentarfilm KOUNDI ET LE JEUDI NATIONAL. In ihrer vierten Regiearbeit zeichnet sie in ruhigen Bildern ein charmantes Dorfporträt, dass gängige Afrika-Klischees hinter sich läßt. Am Wettbewerb um den Publikumspreis nahmen alle aktuellen Filme des diesjährigen Festivals mit einer Länge von mindestens 60 Minuten teil. Der Preis wird von der Zeitschrift trailer Ruhr des Berndt-Media-Verlags gestiftet.

Die Berliner Filmemacherin Helga Reidemeister wurde am Abend mit dem ersten Dortmunder Dokumentarfilmpreis – gestiftet von der Sparkasse Dortmund – für ihr Lebenswerk als Dokumentarfilmregisseurin ausgezeichnet.

Resümee zum Festival 2011

Insgesamt war das Festival, das mit dem Thema WAS TUN – Filme zur Situation angetreten war, künstlerische Auseinandersetzungen zu den wichtigen Fragen der Zeit zu präsentieren, ein großer Erfolg. Das Festival hat sich bei diesem Thema in seiner Konzeption besonders weit geöffnet und mit zahlreichen Vorträgen, Konzerten, Workshops und einem mobilen Festivallabor versucht, für das Publikum neben filmischen Bestandsaufnahmen auch tatsächlich Handlungsimpulse zu setzen. Lokale Gruppen, die ‚was tun’ wurden als Film-Paten eingebunden. Das Festival war eine Plattform für Stimmen, die oft nicht gehört wurden – etwa in der Diskussion zu dem Film HOTEL RAI, bei dem anlässlich der Debatte um die Dortmunder Nordstadt Vertreterinnen von KOBER (Kommunikations- und Beratungsstelle für Prostituierte) und dem Planerladen Gelegenheit hatten, jenseits festgefahrener Debatten ihre Perspektive zu erläutern.

Preisträgerinnen: Eva Maschke, Hanne Klaas, Helga Reidemeister, Athina Rachel Tsangari, Ariane Astrid Atodji