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Florian Waldvogel in Zusammenarbeit mit Alain Bieber

IM ZWEIFEL FÜR DEN ZWEIFEL: DIE GROSSE WELTVERSCHWÖRUNG
Internationale Gruppenausstellung im NRW-Forum Düsseldorf
21.09.2018 - 18.11.2018
Eröffnung: 20.09.2018 19:00 Uhr

Verschwörungstheorien, Fake News und alternative Fakten haben Konjunktur in Zeiten des Umbruchs, denn Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten. Das NRW-Forum Düsseldorf präsentiert vom 21. September bis 18. November 2018 mit „Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung“ eine internationale Gruppenausstellung, die die Macht konspirativer Erzählungen sichtbar macht und zu kritischem Zweifeln anregt.

Um die Anschläge vom 11. September 2001 in New York oder die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963 kreisen die bis heute wohl prominentesten Verschwörungstheorien. Den Kampf um die Wahrheit(en) gibt es nicht erst seit dem „postfaktischen Zeitalter“ und Donald Trumps „alternativen Fakten“. In Zeiten zunehmender Digitalisierung und Virtualisierung scheinen die Unsicherheit und die Bereitschaft, konspirativen Ideen zu glauben, jedoch so groß wie nie zuvor. Wem kann man noch glauben? Lügen die Bilder und die Medien? Der Zweifel wird größer, genährt durch das Internet, in dem Verschwörungstheoretiker aller Art im Halbdunkel wirken.

Die internationale Gruppenausstellung „Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung“ untersucht mit den Mitteln der Kunst die Macht von Verschwörungstheorien und setzt ihnen die Sichtbarkeit des Zweifels sowie die Möglichkeit zu kritischem Zweifeln entgegen. Ein falscher Stern, Überwachungstechnologien, Fotofälschungen und forensische Recherchen – in der Ausstellung treffen die Besucher auf verstörende Situationen und nicht-eindeutige Zustände, in denen sie sich selbst orientieren müssen. Mit Arbeiten von Julius von Bismarck, Disnovation.org, Ólafur Elíasson, Forensic Architecture, Juliane Herrmann, iocose, Felix Kubin, Olaf Metzel, Tony Oursler, Trevor Paglen, Michael Schirner, Andreas Slominski, Suzanne Treister und Holger Wüst.

Was ist wahr und was ist fake? Wie der französische Philosoph Michel Foucault in den 1970er Jahren geschrieben hat, hat jede Gesellschaft ihre eigenen Techniken, um festzulegen, was in ihr als wahr und als unwahr gilt. Diese Techniken sind nicht für immer festgeschrieben, sondern wandelbar, und erfordern kritische Überprüfung. Verschwörungstheorien, Fake News und Alternative Fakten blühen immer dann auf, wenn Unsicherheit, Ängste und Zweifel an etablierten Systemen wachsen und traditionelle Deutungsmuster nicht mehr greifen. Kriege, politische, wirtschaftliche oder ideologische Umwälzungen oder humanitäre Katastrophen sind der Boden, auf dem sie wachsen. Der Rückzug auf einfache Welterklärungen, wie Verschwörungstheorien sie anbieten, ist eine Strategie der Gegenwehr gegen eine zunehmend unübersichtliche Realität. Heute fordern Digitalisierung und Virtualisierung unsere Urteilskraft und Orientierungsfähigkeit in einer bisher nicht gekannten Weise. Die „alten Medien“ konkurrieren um die Deutungshoheit mit den sozialen Medien. Wo hört kritisches Zweifeln auf und wo fängt Paranoia an? Wo beginnt und endet das Recht auf freie Meinungsäußerung? Sicher ist, dass man sich bei der Überprüfung der Plausibilität einer Theorie vor allem fragen muss, wer einen Nutzen davon hat. Zweifel werden von denen geschürt, die davon profitieren. Diffuse alltägliche Angstauslöser, Falschmeldungen, Desinformation, Tarngeschichten und Vertuschungen erhalten eine Bedeutung, so verschwommen sie auch sein mögen. Der Zweifel wirkt oft im Verborgenen und gerade dort, wo die Zusammenhänge undurchschaubar erscheinen, ist es notwendig sich mit ihnen auseinanderzusetzen um eine kritische Haltung zu bewahren, auch gegenüber den eigenen Gefühlen von Angst und Zweifel.

Die Ausstellung macht die mehr oder weniger verborgenen Zweifel sichtbar, die bei jeder Verschwörungstheorie am Werk sind, und legt gesellschaftlich Unbewusstes offen. Die Künstler spannen ein Netz aus Ängsten, Träumen, Widersprüchen, Zweifeln und Unsinn und zeigen, wie sich Gefühle des Unbehagens herstellen lassen, aber auch Möglichkeiten, sie zu durchschauen. Die Besucher gehen auf eine assoziative Reise durch Einbauten, Miniaturlebenswelten, Installationen, Fotomontagen, Skulpturen und digitale Architekturen mit historischen und aktuellen Bezügen, voller diffuser Stimmungen und differenzierter Auseinandersetzungen. Zweifel und Ängste werden aufgezeigt, um sich mit ihnen auseinandersetzen zu können. Das Ziel ist kritisches Zweifeln, auch am Zweifel selbst.

KÜNSTLER
Julius von Bismarck mit Richard Wilhelmer & Benjamin Maus, Disnovation.org, Ólafur Elíasson, Forensic Architecture, Juliane Herrmann, iocose, Felix Kubin, Olaf Metzel, Tony Oursler, Trevor Paglen, Michael Schirner, Andreas Slominski, Suzanne Treister, Holger Wüst

Mit Betreten des NRW-Forums verfolgen Suchscheinwerfer die Besucher auf Schritt und Tritt. „Highlighter“ ist eine Arbeit des dänisch/-isländische Konzeptkünstlers Ólafur Elíasson, der sich vornehmlich mit physikalischen Phänomenen in der Natur beschäftigt, und für seine spektakulären Installationen weltweit berühmt ist. Die Arbeit verbindet die verschiedenen Ausstellungsbereiche und erzeugt ein diffuses Gefühl von Paranoia.

Der Musiker, Komponist und Hörspielmacher Felix Kubin versieht die Ausstellung mit verstörenden Klangelementen, die ausgelöst werden, sobald man bestimmte Bereiche betritt. Die Arbeit kreiert eine verstörende Stimmung und stellt eine Erwartungshaltung her, die, wie Psychologie und Kognitionswissenschaft zeigen, maßgeblich daran beteiligt ist, was und wie wir wahrnehmen.

Der amerikanischen Künstler Tony Oursler kreiert verwirrende Situationen und verwickelt die Betrachter in kleine Psychodramen. Mit seinen Videoprojektionen und multimedialen Installationen erforscht er die Auswirkungen der Technologie auf den menschlichen Geist und befragt Massenmedien in Beziehung zu psychologischen und sozialen Störungen. Oursler beschäftigt sich in seiner Arbeit immer wieder mit dem Okkulten und der Zauberei und sagt von sich selbst, dass seine Sammlung von Geisterfotografien zu den besten weltweit gehöre.

Julius von Bismarck, gefeiert für seine raumgreifenden Installationen und Aktionen im Freien, lässt gemeinsam mit Richard Wilhelmer und Benjamin Maus einen Fake Star über dem NRW-Forum aufsteigen. Das neue Projekt untersucht auf poetische Weise die Auswirkungen des postfaktischen Zeitalters und unsere kollektive Wahrnehmung der Wahrheit. Der bisher unentdeckte neue Stern, der eigentlich ein Drache ist, wirft die Frage auf, ob die Behauptung eines Fake Stars automatisch die Wahrheit aller bisher als echt geltenden Sterne in Frage stellt. Die Lichtinstallation besteht aus einem Drachen, der je nach Windstärke vollautomatisch von einer computergesteuerten Bodenstation aus startet und landet. Er erhebt sich etwa 100 Meter hoch und trägt eine LED-Leuchte, deren Strom von einem kleinen Propellergenerator gespeist wird - einem "Sternenkraftwerk", das mit erneuerbaren Energien betrieben wird.

Disnovation.org ist ein Kollektiv aus Paris, bestehend aus Programmieren und Künstlern, gegründet von der Künstlerin und Designerin Maria Roszkowska zusammen mit dem Künstler Nicolas Maigret. Das Kollektiv zwischen Kunst, Forschung und Hacking hat es sich zur Aufgabe gemacht, Situationen zu erschaffen, die die herrschenden Diskurse über technologischen Fortschritt hinterfragen. Eigens für die Ausstellung programmieren sie einen Bot, der basierend auf aktuellen Diskussionen im Netz neue Verschwörungstheorien erfindet.

Die Künstlergruppe iocose nutzt Crowdsourcing (Auslagerung von Aufgaben an eine Gruppe von Internetnutzern), um Verschwörungstheorien zu entwickeln. Für die Serie „A crowded Apocalypse“ hat die Gruppe weltweit Menschen beauftragt, sich mit Plakaten und Pappschildern zu fotografieren, auf denen konspirative Thesen zu lesen sind, von denen jede nahezu bedeutungslos ist. Anders als bei Verschwörungstheorien eigentlich der Fall, entsteht die konspirative Narration beim Crowdsourcing nicht nur durch das eine Big Picture, sondern die Masse an Bildern. Die internationalen Künstler Matteo Cremonesi (IT), Filippo Cuttica (UK), Davide Prati (DE) and Paolo Ruffino (UK) arbeiten seit 2006 als iocose mit verschiedenen Medien, vor allem mit Websites, Videos und sozialen Netzwerken.

Das Kunst- und Rechercheinstitut Forensic Architecture ist dafür bekannt, mit architektonisch-forensischen Mitteln Kunst zu machen. Durch seine detaillierten und kritischen Untersuchungen zeigt Forensic Architecture, wie öffentliche Wahrheit produziert wird - technologisch, architektonisch und ästhetisch - und wie man damit kritisch, investigativ umgehen kann. Für die Arbeit „77qm_9:26“ haben sie zum NSU-Mord in Kassel recherchiert. Die Gruppe hat das komplette Internetcafé nachgebildet und Ungereimtheiten dokumentiert. Die Arbeit wird seit der Documenta vergangenen Jahres erstmals wieder in Deutschland gezeigt. Forensic Architecture hat ihren Sitz an der Goldsmiths University of London. 2010 von Prof. Eyal Weizman gegründet, besteht die Gruppe heute aus Architekten, Künstlern, Filmemachern, Journalisten, Softwareentwicklern, Wissenschaftlern, Juristen und einem ausgedehnten Netzwerk von Mitarbeitern aus den verschiedensten Bereichen und Disziplinen.

Die britische Künstlerin Suzanne Treister gilt seit Anfang der 90er Jahre als Pionierin im Bereich der digitalen Kunst. Mit verschiedenen Web-basierten Medien und interaktiven Technologien, aber auch mit Zeichnung, Fotografie und Aquarell untersucht sie die Beziehung von Macht, Identität und Wissen, von neuen Technologien, Gesellschaft und alternativen Glaubenssystemen. Das Projekt HEXEN 2.0 beschäftigt sich mit der Entstehung der Kybernetik, dem Aufstieg des Web 2.0 und deren Ursprung im Zweiten Weltkrieg. Zeichnungen, Diagramme, eine Filmmontage und Tarot-Karten, die unter anderem die Teilnehmer der Macy-Konferenzen darstellen, untersuchen Zusammenhänge zwischen technologischem Fortschritt, Medien und Militär.

Michael Schirner präsentiert sogenannte Digigraphien. Er manipuliert Bilder aus Archiven und verändert damit Momente der Weltgeschichte und des kollektiven Gedächtnisses, die bis heute von Verschwörungstheorien umweht sind. Entscheidende Personen retuschiert er komplett aus den Bildern, wie beispielsweise Uwe Barschel aus der Badewanne im Hotel in Genf. Dadurch zwingt er den Betrachter, das Abwesende zu imaginieren, und je imaginärer etwas ist, desto intensiver ist die Imagination.

Die Dokumentarfotografin und Filmemacherin Juliane Herrmann öffnet für die Serie “Man among Men” die Türen in eine Welt, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleibt: die der Freimaurer. Fünf Jahre lang hat sie Freimaurer weltweit dokumentiert und dabei den Fokus auf die Frage gerichtet, was Menschen heute zu der geschlossenen Gesellschaft hinzieht. Ihre Antwort: die Suche nach einem Gefühl von Identität und Zugehörigkeit. Neben Interieurs der Logenräume porträtiert sie Mitglieder, rituelle Stillleben sowie die alltäglichen Kulissen des Lebens in den Logen.

Holger Wüst beschäftigt sich in seinen Werken mit politischen und gesellschaftlichen Themen, die er in großformatigen Collagen aus Fotos dokumentiert. Oft setzt er sich mit geschichtsphilosophischen Fragen und Utopien der Revolution auseinander. Seine neue Arbeit „Ideologiekritische Studien“ ist eine Fotomontage, die Hörsaalgebäude mit diversen Diskussions- und Austauschgruppen aus den sozialen Netzwerken verbindet.

Der Bildhauer und Objektkünstler Olaf Metzel gilt mit seinen performativen Skulpturen als streitbar, provokant und immer politisch. Eine große Installation in Form einer Blechskulptur reflektiert das Deutungsmonopol der Medien und deren Bilderwelten.

Trevor Paglen ist ein US-amerikanischer Künstler, dessen Arbeiten sich hauptsächlich mit Militär und Geheimdiensten der USA beschäftigen. Trevor Paglen widmet sich hochbrisanten aktuellen Themen und erregt damit große Aufmerksamkeit in den Medien. Im NRW-Forum präsentiert er eine Arbeit in Form einer Liste mit den Namen militärischer Organisationen von 2001 bis heute, die als „Top Secret“ klassifiziert sind.

Die Ausstellung wird kuratiert von Florian Waldvogel in Zusammenarbeit mit Alain Bieber. Florian Waldvogel (*1969) war zuletzt Direktor des Kunstvereins Hamburg (2009-2013), wo er unter anderem Ausstellungen von John Bock oder Tobias Zielony kuratierte. Zuvor (2006 bis 2008) war er unter Nicolas Schafhausen als Kurator am Witte de With – Center for Contemporary Art in Rotterdam tätig. 2015 wurde er an der Hochschule für bildende Künste Hamburg zur Ausstellungspraxis von Kasper König promoviert, dessen Meisterschüler und Assistent er Ende der 90er Jahre an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule war.

Es erscheint ein Katalog im Kettler Verlag mit interdisziplinären Beiträgen unter anderem von Florian Waldvogel, Dr. Margarete Jäger, Günther Jacob, Birte Mühlhoff, Karl Hepfer, Tom Kummer, Bernard Williams und Textauszügen von Michel Foucault, Umberto Eco und Hannah Arendt. Der Reader belgeitet die Ausstellung mit philosophischen, künstlerischen, sprachwissenschaftlichen, psychologischen und soziologischen Betrachtungen zum Thema (ca. 300 Seiten).