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«‹Ich weiß sehr wohl›, sagte er einmal mit einem Seufzer des Entzückens, nachdem er das Bild eine Stunde lang wie gebannt betrachtet hatte, ‹dass in meiner Lage neun Zehntel aller Menschen hier zufrieden bleiben würden. Dies Panorama ist wirklich wundervoll, und ich würde mich in Frieden an ihm erfreuen, wenn es nicht eben so übermäßig herrlich wäre. Alle Architekten, die ich kenne, hatten die Neigung, um der ‚Aussicht‘ willen ihre Gebäude auf der Spitze eines Hügels oder Berges zu errichten. […] Es kann nichts Besseres geben für eine gelegentlich gesehene Landschaft – für eine, die man immer vor Augen haben muss, gibt es nichts Schlimmeres. Die für den beständigen Anblick unangenehmste Größe ist die der Ausdehnung und die schlimmste Ausdehnung der Raum. Sie steht in Widerspruch mit dem Gefühl und dem Bedürfnis nach Abgeschlossenheit, das wir zu befriedigen wünschen, wenn wir uns ‚aufs Land zurückziehen‘. Wenn wir von dem Gipfel eines Berges ausschauen, können wir der Empfindung nicht wehren, ‚draußen‘ in der Welt zu sein. Der Seelenkranke meidet weite Aussichten wie die Pest.›» Diese und andere Gedanken zur Naturbetrachtung wie auch zum Verhältnis zwischen Natur und Landschaftsmalerei lässt Edgar Allan Poe den Dichter Young Ellison in seiner 1847 verfassten Erzählung Das Gut zu Arnheim formulieren – in einer Zeit also des Übergangs von der Spätromantik in die „Moderne“. Seither sollte sich speziell die Malerei der „Sichtbarmachung des Unsichtbaren“ (Paul Klee) widmen, das heiß auch, die emotionalen Schichten des Menschen, seine Psyche sowie die Stimme der Natur insgesamt zum Klingen bringen. Abstraktion, Surrealismus, Magischer Realismus, Informel … sind nur einige Wege von vielen, die in diese Richtung seither beschritten wurden.

Ingrid Pröller bedient sich einer im Detail „gegenständlichen“ Malerei, um einen Zugang zur Sprache der Natur zu finden und diese zu vermitteln – und zugleich einer „nahsichtigen Anschauung“ etwa im Sinne einer Aussage Paul Cézannes, nach welcher er die Notwendigkeit betonte, z.B. nicht mehr das Weizenfeld (das er malt) selbst zu sehen, sondern diesem so nahe zu sein, dass er sich darin verliere – ohne Rückhalt. So zeigen auch Ingrid Pröllers „Naturstücke“ weniger Panoramen (in der von Poe kritisch betrachteten Weise), sondern der Blick bleibt dicht am „Dickicht“ ihrer Wälder, Baum- und Schilfdarstellungen … , ungeachtet des Formats, das sie ihren Bildern gibt: auch über ihre bisweilen cinemascope-breitformatigen Leinwände lädt die Künstlerin ihre BetrachterInnen zum Einstieg in das Sujet –in die „Natur“ – ein.

Entgegen der westlich-zivilisatorischen Geschichte der Entfremdung des Menschen von der Natur, die «traditionell dasjenige ist, was wir nicht selbst sind» (Gernot Böhme), beruft sich die Malerin auf ostasiatische Kulturkontexte, wo «seit jeher ein kontemplatives Hinübergleiten des künstlerischen Subjekts (des Malers) in die Welt des Darstellungsobjektes (des Landschaftsbildes) von Bedeutung ist. Transgression und Animation ermöglichen den Schritt ins Bild und somit die Überwindung der Grenze zwischen Vorstellung (Imagination) und Darstellung (der Dinge). Der Einstieg ins Bild wird sogar als ‚Schritt in die Wirklichkeit‘ wahrgenommen; das Bild ist ein offener Raum, ein Lebensraum, ein (Bild-)Körper, der empfängt und gibt und somit immer in Bewegung ist».

(Ingrid Pröller)

Ihre „Naturstücke“ sind dabei Resultate stets mehrerer Schritte: die Künstlerin geht in die Natur, nimmt sie sinnlich wie auch betrachtend wahr und entscheidet sich für einen Aspekt, einen Ausschnitt, der sie aus ihrer je eigenen Sicht und Empfindung anspricht. Solchermaßen selektierte Details hält sie fotografisch fest. Die Fotografien unterliegen im Atelier weiteren Selektionsprozessen, bevor einige davon als Gedächtnisstützen verwendet und schließlich frei in die Malerei übertragen werden. Indem ihre Fotografien nicht anonymes „found footage“-Material sind, transportieren sie Aspekte des von der Künstlerin vor Ort nicht allein optisch Wahrgenommenen, sondern auch des von ihr Empfundenen bzw. potenziell Imaginierten. Somit begegnen sich beim Malprozess innere und äußere Bilder von der realräumlich mittlerweile distanzierten und zugleich wieder präsent werdenden Natur – fließen im Bild gleichsam zusammen.

Über die mehrstufige (Vor-)Geschichte dieser Naturstücke erfährt der ursprünglich emotionale Aspekt direkten Naturerlebens zugleich auch jene künstlerischen Umformungen, die Pröllers Malerei von jeder Art naturalistischer bis romantisierender Bildsprache besondert. Rainer Fuchs bewertet dies folgendermaßen: «Gerade in der kreativen Anverwandlung medialer Bildvorlagen zeigt sich das Potenzial der Malerei, romantische Unmittelbarkeitskonzepte zu entzaubern und damit die Legitimität der Kunst als reflexives Interpretationsmedium zu bewahren.»

(Lucas Gehrmann)

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Ingrid Pröller
In den Wald hinein