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Das fünfköpfige Malerkollektiv Irwin gehört heute zu einer der bedeutendsten Positionen in der zeitgenössischen Kunst Osteuropas. Die Gruppe Irwin, deren Kunst eine streitbare Auseinandersetzung mit historischer Erfahrung und den gängigen Narrativen der Kunstgeschichte darstellt, kann mittlerweile auf ein 20-jähriges Oeuvre zurückblicken. Zusammen mit der Musikgruppe Laibach (1980), dem Theater der Schwestern Scipio Nasicas (1983, heute: Kosmokinetisches Kabinett Noordung) und der Designabteilung Novi Kolektivizem ist sie eine der Hauptgruppen des Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK). Die NSK gründete sich 1984 in der slowenischen Teilrepublik der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Beeinflusst von der Theorie der slowenischen Lacan-Schule, die sich in den achtziger Jahren um den Philosophen Slavoj •i•ek formierte, wurde die NSK zu einem wichtigen Teil der subkulturellen Szene Ljubljanas.

Wie auch die anderen Gruppen der NSK ist Irwin dem sogenannten „Retroprinzip“ verpflichtet. Dieses Retroprinzip ist „kein Stil oder ein Kunsttrend, sondern vielmehr ein Denkprinzip, eine bestimmte Verhaltens- und Handlungsweise” (Irwin). Konkret heißt das, dass die in den 1980er Jahren entwickelte Bildsprache des Malerkollektivs ausnahmslos aus Zitaten der west- und osteuropäischen Kunst des 19. und des 20. Jahrhunderts besteht. Irwin benutzt Motive des Sozialistischen Realismus und der Kunst des „Dritten Reiches“, der verschiedenen europäischen, explizit politisch engagierten Avantgardebewegungen (deutscher Dadaismus - hier insbesondere John Heartfield -, italienischer Futurismus, sowjetrussischer Konstruktivismus) sowie religiöser Kunst und slowenischer Kunst des 19. Jahrhunderts. All dies wird kombiniert mit den Laibachschen Leitmotiven Adler, Hirsch, Sämann, kleiner Trommler und dem Schwarzen Kreuz bzw. Quadrat des russischen Suprematisten Kasimir Malewitsch. Diese Zitate unterschiedlichster Provenienz fügt die Gruppe in ihren mit schweren Rahmen versehenen Ölgemälden zu komplexen und vielschichtigen Montagen zusammen. Immer wieder setzt sich Irwin dabei mit der Kunstgeschichte Osteuropas auseinander, speziell mit dem ambivalenten Erbe der historischen (russischen, aber auch südslawischen) Avantgarde und ihren totalitären Nachfolgern, also mit der Dialektik von Avantgarde und Totalitarismus. Nach der Erarbeitung einer eigenen Bildsprache in ihren Appropriations-Projekten der 1980er Jahre konzentriert sich die Gruppe seit Beginn der 1990er Jahre auf die kritische Hinterfragung der Kunstgeschichte des xwestlichen Modernismus’. Diesem stellen sie mit der „Retroavantgarde“ einen fiktiven xöstlichen Modernismus’ gegenüber, der durch seine eigene offensichtliche Konstruiertheit auf die Konstruiertheit westlicher Schemata der Kunstgeschichte verweist, von denen zeitgenössische Kunst aus Osteuropa nach wie vor ausgeschlossen bleibt.

Irwin: Retroprincip 1983-2003 markiert das 20-jährige Bestehen der Gruppe Irwin und ist gleichzeitig die erste große Einzelausstellung der Gruppe in Berlin, 15 Jahre nach ihrer ersten von Jürgen Harten kuratierten Ausstellung in Deutschland in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf Anfang 1989. Seit dieser Ausstellung sind 15 Jahre vergangen, in denen die Gruppe Irwin – nicht zuletzt angeregt durch die politischen Veränderungen und Verwerfungen seit 1989 – ihre Konzepte der 1980er Jahre (xRetrogarde’, xÜberidentifizierung’) überarbeitet und wichtige Projekte und neue Konzepte für die 1990er und 2000er Jahre entwickelt hat.

Die Ausstellung Irwin: Retroprincip 1983-2003 versammelt die wichtigsten Werkkomplexe der Gruppe Irwin und ermöglicht so – gerade in ihrer Zusammenschau von Projekten der 1980er, 1990er und 2000er Jahre – die umfassende Darstellung eines wandlungsreichen und thematisch hochkomplexen Gesamtwerkes. Sie ist damit nicht nur für Berlin, sondern deutschland- und europaweit eine Premiere. Gefördert durch die kulturstiftung des bundes Pressetext