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Beim Anblick des Ehrfurcht gebietenden großväterlichen Schreibtischs beschlich Itty Neuhaus schon immer ein mulmiges Gefühl. Das wuchtige Möbelstück, entworfen von dem bedeutenden Laupheimer Jugendstil-Künstler Friedrich Adler, ist ein Relikt aus dem deutschen Leben des Ulmer Kinderarztes Dr. Hugo Neuhaus, der 1936 nach Amerika emigrierte. Trotz massiver Drohungen hatte der Jude Neuhaus nicht aufgehört, in Ulm auch „deutsche“ Kinder zu behandeln, bis die Zeitschrift „Flammenzeichen“ im September 1935 die Namen aller Bediensteten des Ulmer Rathauses veröffentlichte, die mit ihren Kindern weiterhin zu Dr. Neuhaus gingen. Während sich Neuhaus rechtzeitig zur Auswanderung entschloss, blieb sein jüdischer Freund Friedrich Adler in Deutschland. Er wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Adlers schwarzer Schreibtisch beherrscht heute das New Yorker Arbeitszimmer von Hugo Neuhaus’ inzwischen selbst schon 80-jährigem Sohn. Dessen 1961 geborene Tochter Itty, eine international renommierte Land Art-Künstlerin und Kunstdozentin an der State University of New York at New Paltz, widmet nun erstmals ihren deutschen Wurzeln eine Ausstellung und bezieht sich dabei auf Gegenstände aus dem „deutschen Leben“ ihrer Familie. In der Ausstellung „Home for Haus“ im Ulmer Stadthaus schafft Itty Neuhaus mit Mitteln der zeitgenössischen Kunst einen Zugang zu den Themen Herkunft, Heimat, Migration, Erinnerung und Verantwortung und zeichnet ein über das eigene Familienschicksal hinausweisendes Bild vom Schicksal jüdischer Familien im „Dritten Reich“.

Ein weiteres von der Familie Neuhaus nach Amerika hinübergerettetes Erinnerungsstück wird dem heutigen, im Deutschland der 1950er bis 1980er Jahre aufgewachsenen Betrachter sehr bekannt vorkommen: die ausklappbare, mit vielen anatomischen Details ausgestattete Pappdame aus der Brockhaus Enzyklopädie des Wissens. Mit deren Hilfe wurden zwei Generationen von Neuhaus-Kindern in Amerika aufgeklärt. In anderen Teilen der Ausstellung verknüpft Itty Neuhaus in Installationen und Videoprojektionen das Schicksal der eigenen Familie mit dem der Familie Friedrich Adlers: Weiße, durchscheinende Wachspapierskulpturen, die den Schreibtisch des Großvaters oder einen von Friedrich Adler gestalteten Grabstein darstellen, bilden im Raum schwebende, geisterhafte Silhouetten und sind Projektionsfläche für Videosequenzen, Klang- und Bildcollagen, in die die Besucher eintauchen. Die Verflechtung von Objekten und Lebensbildern versteht Itty Neuhaus als Tribut an die vielschichtigen Gefühle, die ausgewanderte Juden ihrem deutschen Erbe gegenüber empfinden.

Mit Unterstützung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Ulmer Bürger Stiftung, von Kaufmann Lichtwerbung und WMF.