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Mit der Ausstellung von Zeichnungen, Videos und Dokumentationen verschiedener Aktionen des jungen dänischen Künstlers Jakob S. Boeskov (geb.1973 in Elsinore) setzt die Kunstsammlung Gera jene Präsentationsreihe fort, die internationale Positionen der Gegenwartskunst im Dialog mit den spezifischen Exponaten der eigenen Dix-Sammlung vorstellt.

Als erstes deutsches Museum zeigt die Kunstsammlung Gera im Otto Dix-Haus die medial überaus vielseitigen Arbeiten von Boeskov, darunter eine Auswahl aus dessen offener Serie von Zeichnungen The Chrome Monster Drawings/The War years (seit 2005). Diese Werkgruppe lässt nicht nur dem Titel (und entfernter auch der Technik) nach Vergleiche mit dem berühmten Radierzyklus Der Krieg (1924) von Otto Dix zu, von welchem sich ein vollständiges Exemplar in der Geraer Sammlung befindet.

Waren Radierungen; waren auch ganz einfache Kaltnadelradierungen dabei. […] Ja, nachdem man draußen alle diese Dinge ganz genau, brutal realistisch gesehen, als Zeichner und Mensch registriert hatte, nicht als „Literatur“ hingeschrieben, sondern erlebt, mit den Augen aufgenommen, mit der Nase gerochen, mit allen Sinnen erlitten hatte, dann sah man eben auch, wenn man zurückkam, seine ganze Umgebung in diesem Sinne.

Während Dix also seine persönlichen Erlebnisse in den Materialschlachten des I. Weltkriegs mittels zahlreicher Zeichnungen und eben der späteren Grafikfolge zu verarbeiten suchte, ist Boeskov kein unmittelbarer Kriegsteilnehmer. In seinen großformatigen, dem Comic verbundenen Blättern zeigt er, wie Formen und Sprache des realen, hochtechnologisierten Krieges - etwa über das „Design“ der Soldatenhelme oder konkrete Redewendungen und Befehle - die Computerspiele der Firma Sony infiltrieren bzw. von diesem Unternehmen für seine Spielzeugprodukte übernommen worden sind und somit auch die breite Zivilbevölkerung erreichen.

Letztendlich lassen sich alle Arbeiten Boeskovs, die in Gera zu sehen sein werden, auf einen konkreten, nicht historischen Krieg beziehen – nämlich den, den die USA seit 2003 im Irak führen. Mehr noch geht es dem jungen Künstler aber um jenen „Krieg in den Köpfen“, welche ideologisierte Gesellschaftssysteme und speziell Parteien über Massenmedien und -artikel propagieren und auslösen. Deren Strategien und Mechanismen, Machtpositionen und -ansprüche versucht Boeskov sichtbar zu machen und ist hierin mehr als über einzelne Themen oder künstlerische Techniken dem gnadenlosen Realisten Dix verbunden, der seinerzeit nicht nur die Kriegsgewinnler sarkastisch zu entlarven wusste. In diesem Zusammenhang sei nur an seine berühmten Meisterwerke Skatspieler und Kriegskrüppel (beide 1920) erinnert. Boeskov nutzt künstlerisch jedoch gern die quasi umgekehrte Methode und arbeitet oft „getarnt“. So eignete er sich für seine (später im öffentlich-rechtlichen dänischen Fernsehen gezeigte!) Aktion Danes for Bush die äußeren wie inneren „Ansichten“ konservativer, rechtsgerichteter Politiker an und besuchte - professionell von der Kamera begleitet - 2004 in den USA republikanische Wahlveranstaltungen mit der Vorgabe, vom „großen Bruder“ lernen zu wollen. Unter dem Slogan „Bitte schützt uns vor dem alten Europa“ reiste Boeskov gemeinsam mit einem dänischen Journalisten in einem Truck, der in den US-amerikanischen Nationalfarben lackiert war, von Los Angeles nach New York. Die Begegnungen mit den dortigen, „echten“ Buschanhängern, ob nun Partei- oder Sektenmitglieder, sind so unglaublich, so situationskomisch wie beängstigend zugleich, das der Betrachter des aufgezeichneten Videofilms mitunter nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu unterscheiden vermag. Die europäischen Zuschauer werden aber spätestens jetzt die Genese der daily soap opera aus dem amerikanischen Alltagsleben mühelos verstehen und nachvollziehen können, wenn auch teilweise sicher mit Erstaunen und mit Grauen.

Als „souveräner Prolet“ hat Dix – ohne dezidiert politischer Künstler zu sein – die gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit geschildert. Auch hat er mit der Druckgrafik bzw. den Druckplatten nicht nur ein damals zeitgemäßes, sondern im speziellen Kontext besonders adäquates, weil reproduzierbares Medium gewählt, und somit ein breites Publikum erreicht. Doch auch viele seiner malerischen Werke, darunter der berühmte Schützengraben (1923, verschollen) und das Triptychon Der Krieg (1929-32) oder die späten Arbeiten wie Masken in Trümmern (1946) oder Schweißtuch der Veronika (1948, beide Kunstsammlung Gera) kreisen um die Thematik verheerender Kriegsfolgen, welche Dix zum wiederholten Male schildern und erleiden musste.

Auch Boeskov bedient sich geschickt der Medien seiner Zeit (und seiner Gegner) und nutzt nicht nur den Comic, um auf persiflierende, konterkarierende Weise zahlreiche Leser bzw. Betrachter zu erreichen. Sein Videoloop The war wizzard (2005) weist ihn auch in diesem künstlerischen Bereich versiert und als brillanten Erzähler aus. Unter www.danesforbush.org kann man ferner problemlos Parteimitglied werden, während sich bezeichnenderweise unter www.backfire.dk der perfekt inszenierte Internetauftritt Boeskovs verbirgt. Hier lassen sich weitere Informationen zum bereits beträchtlichen Werk dieses jungen und vielseitigen Künstlers abrufen, der bislang auf zahlreichen internationalen Ausstellungen – besonders in Amerika – vertreten war.

MONSTER MIRROR - Die Geraer Ausstellung

DIX: Ich habe den Krieg genau studiert. Man muß ihn realistisch darstellen, damit er auch verstanden wird. BOESKOV: Man muss dem Monster den Spiegel vors Gesicht halten.

Eigens für die Ausstellung „MONSTER MIRROR“ im Otto Dix-Haus soll die ständige Geraer Dix-Präsentation zeitweilig umdisponiert und um einige sonst der Öffentlichkeit nicht zugängliche Werke – darunter Feldpostkarten und das erwähnte Mappenwerk Der Krieg - des großen deutschen Meisters ergänzt werden. So wird der Dialog zweier Künstler über ihre nicht nur medial verschiedenen Positionen sichtbar. Otto Dix und Jakob S. Boeskov eint jedoch ein gemeinsames Hauptanliegen über die Zeiten hinweg: Dinge zu zeigen, die „kein Mensch sehen will“.

Silke Opitz, Kuratorin

Jakob S. Boeskov ist u.a. Herausgeber des Untergrund-Fanzines Flax Letters. Boeskov „gründete“ diese Jungpartei, deren gesamtes Erscheinungsbild - vom Sticker über den Luftballon bis zum überdimensioniert aufgeblasenen Schweinemaskottchen - er entworfen hat.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in dt./engl. Sprache. (revolver-Verlag, Frankfurt/M.)

Pressetext

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Jakob S. Boeskov: Monster Mirror
Arbeiten des dänischen Künstlers im Kontext der Geraer Dix-Sammlung
Kunstsammlung Gera, Otto-Dix-Haus
Kuratorin: Silke Opitz