20.21 Galerie

20.21 Galerie Edition Kunsthandel GmbH
45133 Essen

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Der Zustand der Begierde unterhalb des Knies im Angesicht einer ausgefeilten Mnemotechnik. (Wie erinnere ich mich eigentlich?) Das leidenschaftslose Aushandeln von Experteninteressen ist zunehmend eine der wenigen verbindlichen und verbindenden Eigenschaften jener Disziplin geworden, die sich heute noch dem unscharfen Begriff von Wissenschaft als science zuordnen lassen. Daß der State of the Art, der letzte Stand der Forschung, gestern noch als Hypothese und morgen bereits als überholt gelten darf, ist tagtägliches Schicksal der >jungen< Forschergenerationen. So entsteht unvermittelt Raum für unkonventionelle Modelle, praktische Einsichten und eine Menge an Diskussionsmaterial für die potentielle Darstellung des Undarstellbaren. Platz für Jeanette Schulz. Eine junge, in Wien lebende und vielfach ausgezeichnete Künstlerin wirft sich mit dem Glauben an interdisziplinäre Verknüpfungen beherzt in die Schlacht am Seziertisch kognitiver Fraktionen. Entgegen der verbreiteten Meinung »Laß' mein Knie, Joe« lockert sie mit Verve und unbekümmerter Frische, und dies stets im wachen Austausch ... mit ausgewiesenen Kapazitäten der Zunft die Synapsen der Rezeption (?) z.B. mit einem Kniemodell, das jeden Patellar-Sehnenreflex (die Nummer mit dem Hämmerchen) freudig zum Auswippen bringt. Sie kommentiert die seriöse >Emotionsforschung< mit einem Spieltisch und gilt als ungestüme Anwenderin einer ausgefeilten Mnemotechnik, einer >Hilfsbildmethode< unter Verwendung von in vollendeter Manier »selbst-gebastelter« Objekte der ganz besonderen Art. Komisch, grotesk, hip und voller Überraschungen bewegen sich ihre Anatomischen Studien als Comic-Fortsetzungsserie State of the Art seit 1994 in täglicher Übung, dem Lachen, dem Erinnern und der Einbildungskraft auf der Spur zu bleiben. Das Paradoxienparlament (ein Gipsfigurenensemble von ca. 70 cm Höhe), bevölkert mit drei skurrilen Halb-Tier-Halb-Mensch-Figuren auf zwei Solitärzeichen, die sich bei Nahsicht als die in Europa üblichen ins Dreidimensionale gewandelten Formen des Fragezeichens entpuppen, Sockel als Fragezeichen, die sich bis zur Selbstaufgabe in Frage zu stellen bereit sind? Bei 20.21 in Essen sind nun nicht nur die extrem kryptisch gestalteten Einrichtungsgegenstände der Werkgruppe des >offenen Labors< zu bestaunen, sondern auch neue, ja allerneueste Forschungen aus dem Hinterzimmer der kognitiven Abenteuer ... Ob mentale Arbeit wirklich Früchte trägt, oder ob in den an Internationalen >Klassikern< geschulten Comics Bild und Schrift herzhaft witzig und ideenhalber (weil die Idee ebenso nah war!) verknüpft werden, den Betrachter soll keinesfalls das Gefühl der Langeweile überfallen. Ein konventionelles Tafelbild ist eben zuerst konventionell und dann ein Tafelbild: Das Tafelbild wäre bei Jeanette Schulz eine anatomische Wandtafel, bunt und angewandt, in einem Seziersaal, und konventionell wäre eben konventionell.So kann sich auch der nur peripher interessierte Betrachter leicht wiederfinden zwischen den fünf Basisemotionen von Jeanette Schulz: Interesse, Freude, Wut, Angst und Trauer. Ihre theoretischen Objekte und Zeichnungen, die 20.21 als eine Art Best of zum State of the Art zeigt - ganz sicher so, als ob Kunst heute wirklich so aussieht, - Pardon - die Auflösung liegt in der Indizienschachtel.

Wolfgang Schoppmann

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Jeanette Schulz
Das Denken ist schlichtweg nass