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Monika Sprüth und Philomene Magers freuen sich, eine neue Werkserie von John Baldessari in Berlin präsentieren zu können. Der in Los Angeles lebende Künstler zeigt eine Auswahl seiner in diesem Jahr entstandenen, großformatigen Storyboard-Leinwände.

Baldessari zählt seit fast fünf Jahrzehnten zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart. Sein tabu-und hemmschwellfreier Blick auf die Kunst, auf die Welt, in der sie entsteht, und seine ambivalente Haltung zu Malerei, Konzeptkunst und Appropriation Art haben mehrere Generationen bildender Künstler nachhaltig beeinflusst – von David Salle und Jack Goldstein bis zu Cindy Sherman und Barbara Kruger.

Die hier gezeigten, bis zu 2,60 Meter hohen gefirnissten Storyboard-Leinwände wurden im Inkjet-Verfahren bedruckt und vom Künstler stellenweise mit Acrylfarbe übermalt. Die Storyboards bestehen aus jeweils zwei aus Zeitungen oder Zeitschriften ausgerissenen Fotos, einer Texttafel, die eine Szene im Kopf des Betrachters zu entwerfen vermag, und einem Farbchart, der die Kolorierung der einzelnen Bildelemente aufnimmt. Die so entstehenden Bilder zitieren nicht nur das filmische Produktionsmittel des Storyboards, das von Regisseuren für den Entwurf eines narrativen Bogens genutzt wird, sondern verweisen auch auf frühere Arbeiten von Baldessari: auf seine mit Farbkreisen und -flächen versehenen Collagen gefundener Filmstills, auf die philosophischen Leinwandwitze seines Frühwerks, in denen ein Text über das Bild das Motiv ersetzt, oder auf seine serielle Dekonstruktion von Motiven zu einfachen Pantone-Farben. Die Arbeiten können amüsieren, beunruhigen und dafür sorgen, dass der Betrachter sein Bewusstsein für die ineinandergreifenden Prozesse des Kunst-Machens, des Kunst-Sehens und des Kunst-Verstehens schärft. Die Storyboards haben einen fast schon melancholischen Glamour. Obwohl scheinbar ohne großen Willen zum Stil geschaffen – an einigen Stellen ist noch der Tesafilm zu sehen, mit dem die Zeitungsbilder auf die Vorlage geklebt wurden – macht sie ihre kühle Hintergründigkeit sofort als Baldessari-Werke erkennbar. Wenn es einen roten Faden in Baldessaris Œuvre gibt, dann ist es das geduldige Angehen gegen Klischees, gegen die verklärenden Geschichten die wir uns oftmals unhinterfragt selbst erzählen. Nicht nur unsere heute weitgehend mediengesteuerte Wahrnehmung der Welt gehört zu diesen Klischees, sondern auch bestimmte Ausprägungen der zeitgenössischen Kunst. Baldessaris Absage an das malerische Bild ist inzwischen legendär. Sein Cremation Project von 1970, für das er die Bilder welche er zwischen 1953 und 1966 gemalt hatte einäschern ließ, gehört zu den Gründungswerken der Konzeptkunst. Doch mit Ironie und dem stetigen Insistieren auf der Frage, was Kunst heute noch sein kann, befreite sich Baldessari auch von den zu Klischees gewordenen Aspekten des Konzeptuellen. Die Storyboards sind das Resultat einer langen Entwicklung, welche den Künstler in gewisser Hinsicht wieder zum malerischen Bildraum zurückgebracht hat – auf eine Art und Weise jedoch, die diesen Bildraum nahezu implodieren lässt. Es sind Bilder und zugleich sind es keine.

Baldessari hat mehr als andere Künstler verstanden, dass Bilder vor allem in den Köpfen der Betrachter entstehen. Die Storyboards spielen mit den Wünschen und Erwartungen des Betrachters, seiner Vorstellungskraft und seinen Erinnerungen. Die Leinwände benutzen unsere nicht zuletzt durch Filme geschulte Tendenz in jedes Bild Geschichten hineinzulesen. Sie finden Eingang in die Psyche und bringen ihn an einen Punkt, an dem er etwas nicht versteht, es aber unbedingt verstehen will. Two Hands Holding Cell Phone hat nichts mit dem Schwarzweißfoto eines Meetings zu tun, auf dem ein hautfarben übermalter Kopf auf einen erhobenen Zeigefinger schaut, noch weniger mit dem halb in der Mitte durchgerissenen Foto eines Blumenstraußes darüber. Genauso wenig lässt sich das gesichtslose Zeremonienfoto von Papst Benedikt XVI mit der Szenenanweisung Woman Speaking into Ear of Man (Gesturing with Hand) in Verbindung bringen oder der mit einer gelben Sonnenbrille versehene Modeschauschnappschuss von Two Men Lowering Coffin into Grave (Large Floral Arrangement in Foreground) mit dem Protestfoto eines einsamen Südamerikaners hinter Stacheldraht. Doch ist es genau diese Kombination von Bildern, die das Begehren nach konventioneller Narration auf enigmatische Weise scheitern lässt. Die Storyboards sorgen für das Zusammenbrechen medialer Repräsentationszusammenhänge jener Geschichten die wir uns erzählen. Sie setzen unseren längst automatisierten Medienblick auf die Welt um uns herum aus. Ihre Auslassungen können den Betrachter dazu bringen zu einer eigenen Geschichte zu finden.

Baldessari hat oft gesagt, dass er nicht Andy Warhol oder Jasper Johns für den wichtigsten bildenden Künstler der 1960er Jahre halte, sondern den französischen Nouvelle-Vague-Filmemacher Jean-Luc Godard. Vielleicht können die Arbeiten dieser Ausstellung auch als die Outlines eines imaginären Films gelesen werden, den Godard sehr geschätzt hätte: Er hätte die ehrfurchtslose intellektuelle Gravitas der Storyboards, ihre Montage-Ästhetik und auch ihre konträre Setzung von Text und Bild hoch geachtet. Und nicht zuletzt die ihnen zugrunde liegende Poetik der Freiheit, die uns alte Glaubenssätze hinterfragen lässt. Wenn alles an Bedeutung vorgefertigt ist, scheinen diese Bilder zu sagen, müssen wir auch alles beiseite schieben, um etwas neu zu denken.

John Baldessari (*1931 in National City, Kalifornien) lebt und arbeitet in Santa Monica, Kalifornien. Seine Werke waren Teil der 47. (1997) und 53. (2009) Biennale von Venedig, der Carnegie International (1985-86), der Whitney Biennale (1983) sowie der documenta V (1972) und VII (1982). 2005 wurde dem Künstler eine umfangreiche zweiteilige Retrospektive im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien und im Kunsthaus Graz gewidmet. Im Juni 2009 erhielt John Baldessari den Goldenen Löwen der 53. Biennale von Venedig und 2012 den Kaiserring der Stadt Goslar für sein Lebenswerk. Seine große Retrospektive Pure Beauty eröffnete 2009 in der Tate Modern in London, und war anschließend im MACBA, Barcelona (2010), dem LACMA, Los Angeles (2010) und dem Metropolitan Museum of Art, New York (2010/11) zu sehen. Jüngst präsentierte der Künstler seine Arbeiten in Einzelausstellungen in der Fondazione Prada, Mailand (2010), und im Stedelijk Museum, Amsterdam (2011). Im Herbst 2013 zeigt das Garage Center for Contemporary Culture in Moskau unter dem Titel 1+1=1 eine erstmalige selektive Präsentation seiner jüngsten Double – Serie.

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John Baldessari
Storyboard (in 4 parts)