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JOHNNY ABRAHAMS 'Making Flowers Alive'

28.02.2020 - 26.04.2020
Eröffnung: Freitag 28.02.2020 19:00 Uhr

Eine Musikalität umgibt Johnny Abrahams Werke. Sie haben einen speziellen Rhythmus oder vielleicht eine Phrasierung oder eine besondere Kadenz, aber die Werke sind zweifelsohne melodisch. Sie zeigen eine geschickte Fingerfertigkeit auf, die dem Betrachter ein Thema vorgibt und dann eine Variation, beide beruhigend, aber irgendwie auch unstimmig, vertraut und doch gänzlich unerwartet. Diese Gemälde haben eine geheimnisvolle Kraft, die schwer zu verorten ist, aber ich würde behaupten, dass sich die Quelle irgendwo in den Variationen von dem ableitet, was uns, den Betrachtern, mit Erwartungen vorgegeben wurde.

Ich kann meine Gedanken über dieses Werk am besten mit einer Reihe von Analogien zu verschiedenen Modi musikalischer Kompositionen ordnen. Überraschend viele reduktive Künstler haben ein tiefes Verständnis von musikalischer Struktur und studierten irgendwann einmal, in irgendeiner Weise, Musikkomposition. Etwas über die Ordnung und die Grenzen, die bewusste und absichtliche Variation / Abweichung dieser Grenzen, bietet einen passenden Rahmen für bestimmte Arten von Abstraktion. Dabei kommt mir Charles W. Haxthausens Publikation „The Well-Tempered Grid: On Sol Lewitt and Music“ in den Sinn. Nach der Untersuchung von LeWitts Verwendung des Gitters als leitende Struktur, unter Berücksichtigung seines Interesses für Bachs Werk, fasst Haxthausen in seiner Abhandlung schließlich zusammen:

„In dem Sinne könnte LeWitts Gitter als ‚wohltemperiert‘ bezeichnet werden. Der Begriff bezieht sich auf Andreas Werckmeisters Aufteilung der Oktave in zwölf gleichmäßige Halbtöne aus dem Jahr 1681. Auf diesem Tonsystem basiert auch Bachs Sammlung verschiedener Präludien und Fugen. Und als LeWitt vom seriellen Zeichnungszyklus zu anderen Ideen überging, behielt er das Gitter als Organisationsstruktur für seine Kunst serieller Variation bei. Es war sein Mittel, das unausgeformte Chaos der Wirklichkeit zu ordnen.“

Der Gedanke, dass Kunst als Ordnungsprinzip für die Wirklichkeit auf fundamentalen Strukturen (eine vorbestimmte Reihe von Intervallen oder eine Ebene kreuz und quer verlaufender Linien) beruht, ist eine verlockende Vorstellung. Als ich meine Gedanken über Johnny Abrahams neues Werk ordnete, war ich beeindruckt davon, wie die Gemälde, buchstäblich und im übertragenen Sinne, sich auf diese Strukturen beziehen und zugleich vermeiden.

Abrahams präsentiert ein einmaliges Lexikon an täuschend einfachen Formen, die willkürliche Textur einer Spachtel, wenig Farbe, jedoch sehr ausgeprägt, und den NegativRaum der rauen Leinwand. Das sind die einzigen Elemente, aber es wäre ein Fehler, sie einzeln zu betrachten; man sollte sie stattdessen in Beziehung zueinander sehen. Also anstatt die einzelnen Töne zu hören, ist es lohnenswerter, die Intervallsprünge zwischen den Tönen zu vernehmen. Der Gedanke an Töne, entweder deren Bezeichnung, Symbol oder Klang, ist ein besonderes intellektuelles Streben. Die G-Durtonleiter weist ein Kreuz auf und es ist immer das F, das mit dem Kreuz versehen ist. Intervalle verhalten sich anders. Eine Dur-Tonart besteht aus einem ganzen Schritt, einem ganzen Schritt, einem halben Schritt, einem ganzen Schritt, einem ganzen Schritt, einem ganzen Schritt, einem halben Schritt. Die Beziehung zwischen ihnen ist immer relativ. Anstatt die Welt auf eine bestimmte Ordnung festzulegen, haben wir hier eine Struktur nach dem Motto „Ganz gleich, wo man beginnt, diese Beziehungen hängen nicht voneinander ab.“

Abrahams Lexikon an Formen verhält sich ähnlich. Hinweis auf ein nie umgesetztes Muster. Die Formen, zum Beispiel, erscheinen zunächst gestapelt, meist horizontal in einer Weise, die einem das Gefühl gibt, die Schwerkraft hätte sich um 90 Grad verschoben. Ähnliche Elemente wiederholen sich, aber nicht in einem erkennbaren Muster, nur in verschiedenen Kombinationen. Das wahrhaft Interessante kommt im Moment der Verbindung, dann wenn sich die Formen berühren; ein weiterer Hinweis auf ein nicht umgesetztes Muster, da keine Struktur oder Logik der Kontaktpunkte sofort augenscheinlich ist.

Vergleiche von reduktiver Kunst mit minimalistischer Musik scheint ein Klischee, aber ich riskiere die Banalität und schlage eine Parallele zu Steve Reichs Phasentechnik. Es ist, als ob das Werk eine Art Momentaufnahme aus der Mitte einer phasierten Melodie wäre, wobei der Zuhörer nicht sicher ist, ob sich die beiden Teile wiederholen, weit auseinander bewegt haben, um sich gegenseitig zu verdoppeln, in chaotisches Geläute abgesunken sind, oder fast zur Einstimmigkeit zurückkehren. Der Aufbau eines jeden Bildes scheint ein Ausschnitt eines Musters zu sein, zu dem der Betrachter, und wahrscheinlich auch der Künstler selbst, kein Zugang hat.

Ebenso wie der Vergleich mit dem Minimalismus in der Musik ist es eine weitere Stolperfalle, diese Art von Kunst als „subtil“ zu bezeichnen. Ich benutze das Wort hier, aber ich versuche, mich ganz gewiss möglichst präzise auszudrücken. Ich möchte behaupten, dass Abrahams Variationen auf ähnliche Weise wahrgenommen werden, wie die Kleinintervalle der Zwölftonleiter, wenn man diese als angenehm empfindet. Diese Formen scheinen vertraut, sind jedoch leicht schräg und etwas näher, als wir sie verortet hätten. Aber genau in dieser besonderen Subtilität liegt die Spannung und Dramatik in Abrahams Gemälden.

Die beengte kompositionelle Spannung wird durch die neuste Verwendung von Farbe erweitert. Die jüngsten Gemälde weisen leicht unterschiedliche Farbnuancen nebeneinander auf, sodass die Nutzung von Farbe und Form die Subtilität des jeweils anderen widerspiegelt und verstärkt, d. h. die Farben sind genauso nah beieinander auf dem Farbspektrum wie die Formen im Bild. Abrahams hat also eine Tonleiter mit eigenen Intervallen erstellt, mit denen er „komponiert“.

Im Gegensatz zu LeWitt handelt es sich bei seinem Werk weniger um eine Methode, die Wirklichkeit zu ordnen; er möchte eher, dass wir die Aufmerksamkeit darauf richten. Dies führt uns zu einem weiteren viel verwendeten Schlagwort in der Beschreibung von Kunst: meditativ. LeWitt ist ein Künstler, der uns dazu einlädt, sich mit der Welt der Ideen auseinanderzusetzen. Diese Art des Schaffens und Denkens benötigt eine konkrete Struktur, um darauf aufzubauen. Es braucht ein Gitter. Abrahams Werk sollte vielmehr erfahren als diskutiert werden. Daher ist es schwierig, darüber zu schreiben, und dies ist auch der Grund, warum ich so sehr auf Analogien zurückgreife. Das Werk lädt zur Meditation ein, aber nicht zur passiven Meditation mit dem Ziel, den Betrachter zu besänftigen und ruhig zu stimmen, sondern zur aktiven Meditation, die den Betrachter dazu herausfordert, die gesellschaftliche Konstruktion von Kategorien und Grenzen zu hinterfragen. Es reißt die Gitter auseinander.

- Stephen Somple