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JÖRG SCHLICK Über die Fuge und ihr Stolpern innerhalb der Malerei

In der Diplomarbeit von Stefan Fauland, einem Studenten von Jörg Schlick, geht dieser „synästhetischen Konzepten in der bildenden Kunst und im Experimentalfilm nach und widmet sich im Besonderen den Einflüssen, die die Musik von Johann Sebastian Bach auf diese Werke ausgeübt hat.“ (2005)

„Synästhesie“ stammt aus dem Griechischen, bedeutet Mitempfindung und bezeichnet die Miterregung eines Sinnesorgans durch einen nichtspezifischen Reiz, wie z.B. das subjektive Wahrnehmen optischer Erscheinungen bei akustischer und mechanischer Reizeinwirkung. Die Auseinandersetzung synästhetischer Verbindung von Farbe und Klang begann mit der intensiven Beschäftigung mit Farbtheorie im Barock. Gleichzeitig brachte Bach die Fuge, eine mehrstimmige kontrapunktische Komposition, zu ihrer Vollendung. Kontrapunktik stellt eine polyphone musikalische Satztechnik dar, in der gleichberechtigte Stimmen geführt werden.

Seit Beginn des 20. Jhdts. beschäftigt sich eine ganze Reihe von Künstlern mit dem Verhältnis von Klang und Farbe, beginnend mit Kandinsky, Schönberg, Klee, Itten oder Moholy-Nagy. Die Erweiterung in das Medium Film, eingeleitet durch das „Opus 1“ von Walther Ruttmann im Jahr 1919 schließlich veranlasste Bernhard Diebold, den Begriff der „Augenmusik“ einzuführen.

Ausgehend von der Idee, aus einer Fuge von Bach ein Video zu produzieren hat Fauland mit seinem Projekt „Video Polyphonie“ den Versuch unternommen, eine musikalische Form in einem visuellen Medium zu „emulieren“, d.h. ein System durch ein anderes abzubilden. Das visuelle Ausgangsmaterial bildet die 66teilige Serie Jörg Schlicks.

Dieses Werk schuf Schlick in Form einer mehrschichtigen Kollaborationsarbeit. In sukzessiver Zusammenarbeit lagern sich unterschiedliche formale Strukturen übereinander, wobei er Studentenarbeiten, die am Ende des Semesters liegen geblieben waren, mit Streifen überarbeitet. Diese ließ er von seinem Assistenten Daniel Hafner auftragen, die Farben von ihm bestimmen. Mit fünf horizontal geschichteten Streifen produziert Schlick nun eine Partitur, die sowohl optisch wahrgenommen als auch akustisch vorstellbar erscheint.

Aneinandergereiht werden die einzelnen Sequenzen zu variablen Modulen, die gleich einem Alphabet, der Tonleiter oder einer Farbuntersuchung lesbar scheinen. Hatte Schlick in den 1990er Jahren ein Flaggenalphabet entwickelt, um verbale Botschaften verschlüsselt weiterzugeben, so entwirft er nun eine farbmusikalische Struktur, die unter Einbeziehung des Zufalls keine lineare Lesbarkeit mehr zulässt, sondern Brüche offen legt. Als gestisches Zeichen legt er Graffiti über diese konzeptuelle Arbeit, stört das strukturierte System damit ein weiteres Mal und rezipiert die Intention des anonymen Undergroundsprayers, der sein „Original“ der Öffentlichkeit als message hinterlässt.

Auch in der zweiten 18teiligen Serie wendet sich Schlick an die Öffentlichkeit, indem er Sätze über das Thema Zeit von Martin Heidegger in weißen Großbuchstaben auf farblich unterschiedlich bearbeitete Leinwände sprayt. Die verschlierte Farbigkeit erinnert an Ausschnitte von Hauswänden, die nun mobil an jeder Fläche angebracht werden können.

Heidegger, der das Dasein als Vollzugsgeschehen verstanden hat und im Hinblick auf konkrete geistige Phänomene philosophierte, schuf 1927 sein Hauptwerk „Sein und Zeit“, aus dem unter anderem hier zitiert wird. Die Frage nach dem Sinn des Seins fokussiert sich im „In-der-Welt-sein“ des Menschen, was Heidegger als eine Grundverfassung des Daseins herausarbeitet. Er nennt so grundlegende Merkmale des menschlichen Daseins „Existentialien“, wendet sich damit gegen die geometrische Weltauffassung Descartes und bezieht Mitmenschlichkeit in sein Denken ein. Gleichzeitig bezieht er den Tod als in das Dasein bereits hereinragende Größe mit ein.

Jörg Schlick, der sich intensiv mit der Existenzphilosophie befasst hat, greift mit diesen Zitaten einerseits den Tod als eines der noch immer größten Tabus auf, andererseits wird die Zeitlichkeit in ihrer Endlichkeit thematisiert, die als Grund für die Geschichtlichkeit des Daseins gilt. Die letztendliche Unmöglichkeit, einen zentralen Punkt oder aber auch ein Ganzes fassen zu können bzw. das Auseinanderdriften einander überschneidender Bezugssysteme wird hier noch einmal trotz der Verbalisierung, der menschlichen Übereinkunft für Verständigung, subtil bestätigt.

Elisabeth Fiedler

Pressetext

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