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Julia Bünnagel verspannt im wörtlichen Sinn die Ausstellung in der Galerie Sebastian Brandl durch zwei Begriffe: 'Meta' und 'Noumena'. Der Titel der aktuellen Schau ist nicht nur metaphorischer Anklang eines poetischen Überbaus. Vielmehr ist es eine ortsspezifische Arbeit, die von der Künstlerin für das Schaufenster entwickelt wurde. Von außen sieht der Betrachter eine schwarze, reflektierende Fläche, durchzogen von einem Netz aus Linien unterschiedlicher Direktion, die den Blick in den Ausstellungsraum gerade noch zulässt. Doch durch die strukturierenden horizontalen, vertikalen und diagonalen Geraden erzeugt das Linienmuster die Buchstaben META. Es ist eine viel zitierte Vorsilbe, die auch im kunstspezifischen Kontext gerne verwendet wird, um Inhalt und Bezüge sprachlich und formal von dem zu Sehenden zu trennen und auf etwas dahinter liegendes zu verweisen, seien es 'Metaebenen', 'Metatext' oder 'Metatheorie'. Doch das Präfix wird neben dem immanenten auch zur 'Metaphysik' als prominentesten Ausdruck kombiniert. Abgeleitet von der Buchfassung der allgemeinphilosophischen Abhandlungen Aristoteles', die im Buchregal hinter dessen Büchern zur Physik eingeordnet wird und die Frage behandelt, was Wirklichkeit ausmacht und nach den Gründen sowie Ursprüngen des Seienden sucht. Die Erkenntnis über die Grundstruktur und Prinzipien von Wirklichkeit findet bei der darüber hinaus gehenden Idee des 'Metaverse' Anwendung. Als Denkmodell einer besseren Cyberwelt im Internet, geprägt vom Autor Neal Stephenson (Snow Crash, 1992), resultieren daraus verschiedene Browser basierte Computerspiele bis hin zu Second Life.

Julia Bünnagels Faszination für grundlegende Gitterstrukturen, wie auch für die Konstruktionsprinzipien von Wirklichkeit – als Anknüpfung an die Auseinandersetzung mit Raum im gesellschaftlichen Sinne von Architektur und Urbanität – liegt ebenfalls der Arbeit Get Loss in Abstract Thoughts zugrunde. Angefangen hat die Künstlerin mit einem modularen Schema auf Grundlage von Aluminium-Leisten, die sie in gleichmäßigem Abstand mit Löchern versieht. Aus diesem Gitterraster entwickelt sie eine gekippte Fassung, bei der sie die möglichen Verknüpfungen erweitert – und vorerst in der präsentierten Arbeit kulminiert. Denn aus der kubischen Anordnung konstruiert sie ein verschränktes, mehrfach gekipptes Ordnungssystem. Dafür sind im Besonderen die Raumfragmente verantwortlich, die aus zwei, in einem flachen Winkel zueinander gestellten Dreiecke bestehen. Als kleinste raumbildende Einheiten haben sie einen Winkel, der aus dem orthogonalen Raster fällt. Die einzelnen, individuellen Eckstücke scheinen eine spezifische Form zu konstituieren, von außen weiß, innen spiegelnd blau auf ein Zentrum ausgerichtet. Dennoch handelt es sich nicht um einen Explosionskörper, sondern um eine imaginierte Form, die sich nicht schließen lässt.

Julia Bünnagel schafft es, mit einfachen Mitteln Raum zu generieren. Durch die Fläche der Glasscheibe des Schaufensters wird der Innenraum der Galerie, durch die frei gelassenen Linien der Schrift erschlossen. Mit Linien, den Vierkant-Aluminium-Stangen, und gekippten Ebenen generiert sie ein nicht existierendes Körpervolumen, das dennoch präsent ist. Bei den von ihr entwickelten Werken handelt es sich um Modelle; offene Systeme, die sie entwirft, modelliert und präsentiert. Dabei ist der Schritt der ersten Umsetzung Schlüssel zum offenen Modellcharakter, den das ausgestellte Einzelwerk dann besitzt. Erst bei der handwerklichen Realisierung lässt sich das ideelle Konstrukt auf Machbarkeit überprüfen. Hier ist der Punkt, an dem sich die Arbeiten von Julia Bünnagel weiterdenken lassen.

Im zweiten Raum der Galerie führt die Künstlerin dem Betrachter einen Panoramakasten in kleinem Maßstab vor Augen. Ein neon-gelber Kubus, der sich als verkleinerter Entwurf eines Raumes denken lässt, hängt auf Augenhöhe. Eine durchlaufende Einkerbung in den drei sichtbaren Wänden suggeriert dem Betrachter eine imaginäre Ebene, die den Raum durchschneidet. Zitierend auf die Minimalistische Kunst und deren Formensprache zurückgreifend führt die Künstlerin vor, welche Wirkung dieser Eingriff auf ein räumliches Gefüge hat. Die Klammer der Ausstellung schließt sich mit einer weiteren Textarbeit. Im Winkel ausgesägte und zusammengesetzte Buchstaben schichten sich zu einem verzerrten Kubus. Durch das Umschreiten des Objektes und der genauen Analyse der Bestandteile lassen sich die Buchstaben NOUMENA zusammensetzen. Etymologisch aus dem Griechischen stammend, insbesondere der Philosophie Immanuel Kants zugeschrieben, referiert der Begriff auf 'das Gedachte'. Kant schließt seine transzendentale Analytik mit der Gegenüberstellung von Noumenon und Phänomen. Die 'Dinge an sich', die Noumena, bleiben unerkennbar – Möglichkeiten. Sie haben ihre Funktion in der Beschränkung der Sinnlichkeit und des Menschen selbst, da er Noumena nicht mit Kategorien erkennt; sie sind Gegenstand reinen Denkens. Nur die Welt der Erscheinungen kann erfahren werden.

Julia Bünnagel entwickelt Möglichkeitsräume, modulare Systeme, die sich den Grundformen Linie, Fläche, Volumen als Grundbausteine bemächtigen – Raumerzeugung mit reduktionistischen Mitteln, die nun der sinnlichen Erfassung offen steht.

Arne Reimann

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Julia Bünnagel
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