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Anlässlich seiner ersten Einzelausstellung zeigt der Berliner Künstler Julian Göthe (*1966) eine raumgreifende Skulptur aus gefaltetem weißen Papier im Schaufenster des Antiquariat Buchholz.

Julian Göthe wählt das Schaufenster als idealen Kontext für seine Arbeit, da diese sich auf Formen des Displays und des Interior Designs bezieht, wie es im eleganten Dekor extravaganter Geschäfte und vor allem auch für Ausstattungen von Filmen verwendet wurde. Von besonderem Interesse ist für ihn dabei der Zeitraum der 30er und 40er Jahre von Art Déco bis hin zum Stil Novo Italiens der 50er Jahre. Besonders in dieser Epoche hat die Dekorationskunst Strömungen der avantgardistischen Moderne, die eher durch Funktionalismus charakterisiert sind, in gleichermaßen glamouröse wie idiosynkratische Ausformungen transformiert.

Berühmte Set-Designer Hollywoods wie Cedric Gibbons, Van Nest Polglase oder Hobart Erwin und Frederick Hope haben seit den 30er Jahren Ideen utopischer Interieurs der Moderne in ihre mondänen Räume umgewandelt. Diese haben das Erscheinungsbild einer erlesenen Upperclass in den Filmen George Cukors oder der glamourösen Theaterwelt der Revuefilme Busby Berkeleys entscheidend geprägt.

Cedric Gibbons beispielsweise beschreibt, wie ihn dabei der ursprünglich auf Massenproduktion und Ingenieur-Ästhetik beruhende Stil des Bauhauses oder des International Style, den er erstmals in der berühmten Pariser Ausstellung "Art Décoratif"von 1925 gesehen hat, inspirierte für seine komplett weißen Filminterieurs, den "Big White Sets".

Wie im Art Déco allgemein, hatte sich vor allem auch in den Filmsets Hollywoods ein eleganter Stil herauskristallisiert, der die Formsymbole der Moderne nur noch als fossile Versatzstücke vorkommen läßt. So erfüllen spitze Formen, kubistische Aufsplitterung, maschinenhafte Oberflächen nur auf einer symbolischen Ebene noch Forderungen der Moderne, sind aber in ihrer materialen Fertigung nicht mehr funktional. Im Gegenteil werden von den Designern -geradezu eskapistisch- wieder besonders wertvolle und schwierig zu verarbeitende Materialien favorisiert. Diese werden zum Markenzeichen einer privilegierten Moderne, die besonders auch im Amerika der 30er Jahre, also zu Zeiten ökonomischer Depression, einen fetischisierten Ort von Reichtum und Eleganz bilden, wie er eben auch im Hollywoodkino dieser Zeit gezeigt wird.

Die Farbe "Weiß" wie in den "Big White Sets" und den sehr mondänen weißen Interieurs nimmt dabei eine ambivalente Stellung ein. Sie bleibt einerseits der Signifikant des modernen Purismus, die Nicht-Farbe von Fortschritt und Funktionalismus. Andererseits ist "Weiß" die vornehmste aller Farben, die in allen Schattierungen jedes Interieur in ein elegantes und opulentes Allover verwandelt, vor deren Hintergrund die Akteure in perfektem Licht in unnahbarer Künstlichkeit erscheinen.

Im weißen Interieur des Films der 30er und 40er werden die Objekte durch exaltierte Formgebungen auch zu psychologischen Symbolträgern. So rufen die häufig extremen Formen exzentrischer Möbel Suspense-Stimmungen hervor und evozieren Bedrohung und Ängste.

Den italienischen Möbeldesigner Renzo Zavanella, ein Vertreter des sogenannten Stil Novo der 50er Jahre, schätzt Julian Göthe nicht zuletzt wegen der wesenhaften Erscheinung seiner Möbel. Zavanella stattete in Italien mondäne Hotels genauso aus wie das Innere öffentlicher Verkehrsmittel. Auffällig an seinen Formschöpfungen ist die exzentrische und individualistische Silhouette beispielsweise seiner Stühle. Durch die Kunst des Surrealismus geprägt, werden die einzelnen modernistischen Elemente der Möbel so sehr übersteigert, dass sie wie Figuren wirken von denen gleichermaßen etwas Futuristisches wie Bösartiges ausgeht. Sie könnten Statisten in einem Horrorfilm sein.

Nicht zufällig und wahrscheinlich begründet in dieser Tradition von Designern, zu denen auch Carlo Mollino oder der Franzose Raphael gehören, findet man dann vor allem im italienischen Horrorfilm die Analogie zwischen besonders spitzen Objekten und Mordwerkzeugen.

So beobachtet der Protagonist des Films “Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe” von Dario Argento, wie eine Figur hinter der Fensterfront einer Galerie für Moderne Kunst zwischen Skulpturen mit besonders spitzen Formen erstochen wird.

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