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Kameelah Janan Rasheed
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5.2.– 10.4.2022

Der Kunstverein Hannover wird die erste institutionelle Einzelausstellung von Kameelah Janan Rasheed (geb. 1985, Palo Alto, Kalifornien, lebt und arbeitet in New York City) in Deutschland ausrichten. Ihr Werk setzt sich maßgeblich mit Sprache und Text auseinander. Als wichtige Stimme einer jungen Generation Schwarzer US-amerikanischer Künstlerinnen thematisiert sie in ihrem Werk nicht nur die Relevanz gegenwärtiger politischer Debatten und Ereignisse der Black Lives Matter-Bewegung, sondern sie arbeitet darüber hinaus inhaltlich mit der historischen Sichtweise auf Schwarze Bürger*innen in der US-Gesellschaft.

Im Fokus von Rasheeds künstlerischem Schaffen stehen die sozialen und politischen Verwerfungen innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft, von denen sie als Schwarze gläubige Muslimin unmittelbar betroffen ist und die sie mit komplexen Textformationen kritisch kommentiert. Ihrem Umgang mit Sprache liegt die künstlerische Idee zugrunde, Text als Arbeitsmaterial zu verwenden. So entnimmt sie beispielsweise Slogans oder Satzteile von öffentlichen Werbeflächen und transferiert sie als langgezogene, glänzende Typografie etwa auf Papier, Vinyl oder Kunststoffbanner. Die Künstlerin betrachtet das Medium Text nicht nur als Träger sprachlicher Information, sondern sieht in ihm auch eine stark ästhetische Qualität, die sie sich zunutze macht. Sie produziert ihre Werke teils mit Xerox-Druckern und platziert sie im Sinne politischer Pamphlete im Ausstellungsraum.

Anhand der weitläufigen Präsentation von textlichen Werken wird die grundlegende Neugier Rasheeds deutlich, mit der sie die Materialität der Sprache als Medium der Kommunikation künstlerisch untersucht. Durch kleinste syntaktische Änderungen gelingen ihr Sinn- und Bedeutungsverschiebungen – so zum Beispiel mittels Interpunktion bei »Black Black. Black! Black?« (2013). Mit Arbeiten wie »Are We There Yet? (and other questions of proximity, destination, and relative comfort)« (2017) animiert sie zu einer Hinterfragung unseres Daseins und der Welt und spricht indirekt den Zustand der Gesellschaft an. Die Werkreihe »How to Suffer Politely (And-Other-Etiquette)« aus dem Jahr 2014 greift den in der US-amerikanischen Gesellschaft weitverbreiteten zynischen Vorwurf auf, Schwarze Menschen hätten in der Vergangenheit nicht ausreichend auf die gegen sie gerichtete Gewalt reagiert, wodurch die gegenwärtige Diskriminierung und Ungleichbehandlung und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Unruhen überhaupt erst ermöglicht worden seien. Rasheed präsentierte die Reihe als großflächige Plakate im öffentlichen Raum an Bushaltestellen oder Schaufensterfassaden; weitere hintersinnige Kommentare darauf lauteten »Lower the Pitch of your Suffering« oder »Tell your Struggle with Triumphant Humor«. Im Rückgriff auf wissenschaftliche Texte aus historischen Archiven, die durch Vergrößerungen, Verkleinerungen oder Neuanordnungen verändert werden, entstehen neue Sinnzusammenhänge, die den Blick auf vermeintlich eindeutige Sichtweisen lenken. So bedient sich Rasheed u. a. politischer Slogans, mathematischer Gleichungen und prägnanter Zitate aus dem Koran, die sie gestalterisch miteinander verknüpft, um damit insbesondere westliche (weiße) »Gewissheiten« und Interpretationen von historischen Ereignissen in Frage zu stellen.

Für den Kunstverein Hannover wird Kameelah Janan Rasheed ihre Installationen speziell auf die Ausstellungsräume zuschneiden und mit Fotografie, Fotodruck und Film arbeiten. Darüber hinaus wird sich die Ausstellung auch auf den öffentlichen Raum erstrecken, wo die Künstlerin neuralgische Orte der Stadt bespielen wird; dazu zählen das Ihme-Zentrum und das Steintor-Viertel. Da der Bereich Vermittlung ein wesentlicher Bestandteil von Rasheeds künstlerischer Praxis ist, werden erstmalig die Künstlerin und die Vermittlungsleiterin gemeinsam ein Angebot entwickeln, das die Bibliotheksnutzung zur Interaktion mit den Besucherinnen (Erwachsene, Jugendliche und Kinder) vorsieht. In der Vergangenheit hat die Künstlerin beispielsweise einen Kartenstapel mit ungewöhnlichen Anweisungen für die Bibliotheksnutzung erstellt: etwa »Find a blue book. Read the last page and write down a word you‘d like to use in a future conversation«. Die von den Besucherinnen auf Karteikarten niedergeschriebenen Begriffe wurden von der Künstlerin gesammelt und als Rohmaterial für weiterführende Vermittlungsprogramme verwertet.

Begleitend zur Ausstellung wird ein Künstlerinnenbuch erscheinen, das das Thema der gesellschaftlichen Betrachtung von Schwarzen Menschen in der dargelegten künstlerischen Form behandeln wird. Zusammen mit dem Master-Studiengang »American Studies« der Leibniz Universität Hannover wird der Kunstverein ein Vortragsprogramm und ein Symposium vorbereiten. Und, wie bereits mehrfach erfolgt, wird eine Kooperation mit dem Kommunalen Kino Hannover in Form einer Filmreihe zum Thema »Black Lives Matter« stattfinden. Die Ausstellung und einige Veranstaltungen finden in Kooperation mit der ISD Hannover (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) statt.

Kameelah Janan Rasheed hat u. a. in der Brooklyn Public Library (2019), Contemporary Art Gallery in Vancouver (2019), im New Museum, NY (2019) und im Museum of Contemporary African Diasporan Arts, NY (2015) ausgestellt.
Die Künstlerin wird von der NOME Gallery, Berlin, vertreten.


*Schwarz im Zusammenhang mit Menschen wird im Folgenden großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und nicht um eine reelle »Eigenschaft«, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen »ethnischen Gruppe« zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismus-Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden. (in Anlehnung an »Glossar für diskriminierungssensible Sprache«, Amnesty International)