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Keisuke Kinoshita (1912–1998) gehört zu den wichtigsten Regisseuren des Goldenen Zeitalters des japanischen Films der 50er Jahre. Seine Leidenschaft fürs Kino begann schon im Kindesalter. Nach einer Ausbildung zum Fotografen trat er 1933 ins Shochiku-Studio ein. Dort arbeitete er zunächst als Kameraassistent, später als Regieassistent von Yasujiro Shimazu und debütierte 1943 als Regisseur.

Er war enorm produktiv und schuf bis 1988 49 Filme, die meisten für Shochiku, ein Studio, das vor allem für seine "Shomingeki" bekannt wurde, Alltagsgeschichten, in denen die Sorgen und Freuden von einfachen Menschen im Mittelpunkt stehen und die somit ein hohes Identifikationspotential für die meist weiblichen Zuschauer boten. Dabei war Kinoshita von einer enormen Vielseitigkeit. Er ließ sich weder auf ein Genre noch einen Stil festlegen, drehte Melodramen, Komödien und historische Filme und zeichnete sich durch eine verblüffend breit gefächerte stilistische Experimentierfreude aus. Seine besondere Zuneigung gilt denen, die sich ihre reinen Gefühle und ihre Unschuld bewahrt haben. Tiefes Mitgefühl bringt er all jenen entgegen, die ihre Gefühle nicht mit den Wünschen der Gesellschaft in Einklang bringen können. Besonders deutlich zeigt sich dies in jenen seiner Filme, die vor dem Hintergrund des Krieges spielen. Nicht das patriotische Heldentum an der Front interessiert ihn, sondern das stumme Leiden der zurückgebliebenen Zivilbevölkerung. "In der Abfolge ihres Entstehens betrachtet, ergeben meine Filme ein Bild der Geschichte der Nachkriegszeit in Japan, des Wandels, dem das Land unterlag. Außerhalb einer Konfrontation mit der Gegenwart, im Abseits der Aktualität zu arbeiten, erscheint mir absurd. Die Probleme der Gegenwart sind in meinen Augen essentiell. Ich mache zeitgenössische Filme für das große Publikum." (Keisuke Kinoshita)

Fünf bisher kaum beachtete Werke von Kinoshita sind in neuen Kopien im Forum der Berlinale zu sehen und werden anschließend im Arsenal wiederholt. Ergänzend zeigen wir bereits vor dem Festival sechs seiner bekanntesten und beliebtesten Filme.

NIJUSHI NO HITOMI (Twenty-Four Eyes, Japan 1954, 2.2., Einführung: Ulrich Gregor & 22.2.) gilt als eines von Kinoshitas Meisterwerken und erzählt in lyrisch getragener Form von den Gewissenskonflikten einer Lehrerin über einen Zeitraum von 20 Jahren. Schauplatz ist die Insel Shodoshima, wo der Lehrerin Hisako Oishi (Hideko Takamine) 1928 eine Klasse von zwölf Erstklässlern anvertraut wird, denen sie in herzlicher Zuneigung und Fürsorge zugetan ist. Sie bemüht sich, die Kinder gemäß ihren Werten zu erziehen – sie sollen leben und nicht im Krieg sterben. Als Jahre später die Kriegspropaganda übermächtig wird und der Militarismus auch im Lehrplan angelangt ist, quittiert sie den Schuldienst. Auch ihre eigenen Kinder kann sie von der Sinnlosigkeit des Kriegs nicht überzeugen. Ein Antikriegsfilm als Melodram – eine Form, die Kinoshita bewusst wählte, da er glaubte, nur auf dem Weg über die Tränen die japanische Bevölkerung zu erreichen.

Nach einem Drehbuch von Kurosawa erzählt SHOZO (The Portrait, Japan 1948, 3. & 26.2.) von einem moralisch korrupten Immobilienmakler, der mit seiner Geliebten bei einem verarmten Maler und dessen Familie einzieht. Natürlich nicht ohne Hintergedanken: Er will das heruntergekommene Haus renovieren und Profit daraus schlagen. Der Maler, der die beiden für Vater und Tochter hält und ihnen mit stetiger Freundlichkeit begegnet, beginnt damit, die junge Frau zu malen. Unter dem Einfluss des so entstehenden Gemäldes, das sie als reine und ehrliche Person zeigt, findet sie zu einem veränderten Selbstbild und beschließt, ihr Leben zu ändern. Eine zwischen Humor und Drama wechselnde Reflexion über Kunst, Kommerz und fundamentale menschliche Werte.

NARAYAMA BUSHI KO (The Ballad of Narayama, Japan 1958, 5. & 23.2.) In der Kombination von traditionellem, stilisierten Kabuki-Theater und raffinierten filmischen Mitteln erzählt Kinoshita von einem armen Bergdorf, in dem alle Bewohner im Alter von 70 Jahren auf den Berg Narayama getragen werden, um dort zu sterben. Die 69-jährige Orin hat ihr Schicksal klaglos akzeptiert und bereitet sich so gut wie möglich auf den Tod vor. Ihr Sohn hingegen weigert sich, bei dem grausamen Ritual mitzumachen, so dass Orin die Dinge selbst in die Hand nimmt. Der Konflikt zwischen dem persönlichen Gewissen und dem sozialen Anpassungsdruck spitzt sich zu. Frappierend farbige Studiokulissen gehören zu Kinoshitas Spiel mit der Künstlichkeit, die den Realismus konsequent meidet.

KARUMEN KOKYO NI KAERU (Carmen Comes Home, Japan 1951, 6. & 19.2.) Das Musical in leuchtendem Fujicolor war Japans erster Farbfilm und spielt mit dem Kontrast zwischen dem traditionsreichen Landleben und der Modernisierung und Amerikanisierung der Städte. Die Bauerntochter Kin, die nach Tokio abgehauen ist, um dort als Revuetänzerin zu arbeiten, kündigt ihre Rückkehr in ihr idyllisches Heimatdorf in den Bergen an – als „Lily Carmen“. Als die in schrille Garderobe gekleidete Carmen mit einer Freundin im Schlepptau auftaucht, kollidiert ihre westlich geprägte Kultur des Lauten und Bunten aufs Heftigste mit dem heimatverbundenen Kunstbegriff des Dorfes. Die mit einer naiven Gutherzigkeit ausgestattete Carmen wird von Hideko Takamine in einer ihrer wenigen komödiantischen Rollen gespielt. Chishu Ryn ist als Dorfschullehrer zu sehen.

Der große Erfolg von CARMEN COMES HOME führte im Jahr darauf zu einer Fortsetzung. KARUMEN JUNJOSU (Carmen's Innocent Love, Japan 1952, 6. & 20.2.) unterscheidet sich stilistisch völlig von seinem Vorgänger: Der Film ist in Schwarz-Weiß und Kinoshita macht ausgiebig Gebrauch von gekippten Bildkompositionen, die den Eindruck einer beständigen Verwirrung vermitteln. Die Satire, die sämtliche Stereotypen der Nachkriegszeit versammelt, findet Carmen und ihre Freundin Akemi in einer prekären Situation wieder. Zusammen mit Akemis unehelichem Baby leben sie in einem winzigen Apartment. Da das Geld mehr als knapp ist, versucht Carmen Akemi zu überreden, das Baby auszusetzen. Dabei lernt sie den Künstler Hajime kennen und verliebt sich in ihn. Dieser hat jedoch bereits eine Verlobte, die ähnlich kaltherzig wie ihre politisch ambitionierte Mutter ist.

Geld, Liebe und der Clash zwischen zwei unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stehen im Mittelpunkt von OJO-SAN KANPAI! (Here's to the Young Lady, Japan 1949, 7. & 25.2.). Dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden, aber durch seine Werkstatt zu Wohlstand gekommenen Automechaniker Keizo wird von einem Heiratsvermittler die Tochter einer angesehenen Familie angepriesen. Zögernd willigt er in ein Treffen ein, um sogleich von Yasuko (Setsuko Hara in ihrer einzigen Rolle für Kinoshita) bezaubert zu werden. Was er noch nicht weiß, ist, dass ihre Familie die Fassade nur noch mühsam aufrecht erhält und eigentlich bankrott ist. Sein Geld soll ihnen den Lebensstandard sichern. Yasuko wiederum ist bereit, sich für das Wohlergehen der Familie zu opfern. Während Keizo sich bemüht, sich ihrem kultivierten Lebensstil anzupassen, versucht sie, Klarheit über ihre Gefühle zu erlangen.

SHITO NO DENSETSU (A Legend or Was It?, Japan 1963, 21.2.) Gegen Ende des Krieges lebt eine aus Tokio evakuierte Familie in einem kleinen Dorf in Hokkaido. Die erwachsene Tochter Kieko soll den Sohn des Dorfvorstehers, Takamori, heiraten. Als Kiekos Bruder enthüllt, dass Takamori in seiner Zeit an der Front barbarische Greueltaten begangen hat, weist Kieko diesen ab. In seinem ohnmächtigen Zorn stellt Takamori ihr nach und es kommt zu einer nicht enden wollenden Gewaltspirale. Die sich schon ankündigende Kapitulation Japans und der Verlust von elf Männern des Dorfes findet ihren Widerhall im Wahn und kalten Hass, der fast sämtliche Bewohner gegen die Fremden eint. Die Auswirkungen des Kriegs auf die Zivilbevölkerung, das große Thema Kinoshitas, findet hier die Form eines Western, der die Raserei mittels suggestiver Kamera und einer nervösen, eindringlichen Musik verdeutlicht. Ein Meisterwerk.

YUYAKE GUMO (Farewell to Dream, Japan 1956, 24.2.) Eine Geschichte vom Erwachsenwerden, dargestellt als Verlust aller jugendlicher Illusionen. Der 16-jährige Yoichi träumt davon, Matrose zu werden. Seine Eltern sind Fischhändler, gemeinsam mit ihnen und vier Geschwistern lebt Yoichi in beengten und ärmlichen Verhältnissen. Seine geliebte jüngere Schwester wird einem reichen, kinderlosen Onkel mitgegeben, sein bester Freund zieht weg, das Mädchen, in das er sich aus der Ferne verliebt hat, ist einem anderen versprochen – Yoichi verliert nach und nach alle Menschen, die ihm wichtig sind. Sein Gegenstück ist die ältere Schwester, die ohne Rücksicht auf Verluste nur ihre eigenen Interessen vertritt. Ohne eigentliche Höhepunkte schreitet die Handlung voran, in deren Verlauf Yoichis zukünftiges Schicksal immer unausweichlicher wird. Der Konflikt zwischen Pflicht und Wunscherfüllung weicht stiller Resignation.

KONYAKU YUBIWA (Engagement Ring, Japan 1950, 26.2.) Wieder geht es um den Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen der Gesellschaft. Eine junge, verheiratete Frau pendelt jede Woche zwischen Tokio, wo sie das Juweliergeschäft der Familie führt, und ihrem Zuhause direkt am Meer. Ihr Ehemann ist seit längerer Zeit krank und muss seine Tage zur Rekonvaleszenz im Bett verbringen. In der Begegnung mit einem neuen, jungen Arzt (Toshiro Mifune), der die Behandlung übernimmt, gewinnt sie ihre durch die selbstlose Pflichterfüllung verlorene Lebensfreude zurück. Als ihrem Mann klar wird, dass die beiden sich verliebt haben, kommt es zur Verzweiflungstat. Eine zärtliche Schilderung einer unmöglichen Liebe.

KANKO NO MACHI (Jubilation Street, Japan 1944, 27.2.) Ein Propagandafilm für die Regierung, der nicht Heroismus zeigt, sondern vielmehr Traurigkeit und Resignation. Kinoshita erzählt vom Krieg nicht mit dem Fokus auf die Soldaten an der Front, sondern mit einem mitfühlenden Blick auf die zurückgebliebene Bevölkerung. Hier sind es ein paar Nachbarn, die aus Kriegsgründen evakuiert werden sollen. Im dichtgewebten Porträt dieser jungen und alten Bewohner schälen sich einzelne Geschichten heraus: eine Frau, die immer noch ihrem vor zehn Jahren verschwundenen Ehemann nachtrauert, der alte Besitzer eines Badehauses, der auf keinen Fall sein Haus verlassen will, die junge Frau, deren Familie gegen ihre Liebe zu einem jungen Piloten ist. Vom unmittelbaren Schrecken des Kriegs wird die titelgebende Jubilation Street nicht verschont – es bleibt der Schmerz auf dem Gesicht einer Mutter, die ihren Sohn verloren hat.

ONNA (Woman, Japan 1948, 28.2.) Die Revuetänzerin Toshiko – eine Erscheinung der Nachkriegszeit in Japan – wird von ihrem Liebhaber Machida gebeten, ihn im Seebad Atami zu treffen. Eigentlich will sie sich von ihm trennen, da sie von seinen verbrecherischen Taten erfahren hat. Dennoch willigt sie in das Treffen ein. Mit immer neuen Drohungen bindet Machida, von dem eine diffuse Bedrohung ausgeht, Toshiko an sich, die in ihrem Versuch, sich von ihm loszureißen immer verzweifelter wird. Vor dem Hintergrund einer malerischen Landschaft inszeniert Kinoshita das Ringen einer Frau um Freiheit in gefährlich gekippten Bildern, in denen alles aus dem Lot zu sein scheint.

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Keisuke Kinoshita