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Red Mercury, Rotes Quecksilber, ist ein Begriff, der in seiner wohl bekannteren Anwendung, aus dem Kalten Krieg stammt, so sollte es sich um eine Substanz handeln, unter derer Zuhilfenahme der Bau von Atombomben ermöglicht würde oder auch um einen Sprengstoff, der die Atombombe als Zünder ersetzend, handgranatenkleine Wasserstoffbomben konstruierbar machte. Eine gefährliche Substanz also, von höchstem militärischen und kriminellen Interesse, sie soll mehrfach Gegenstand geheimdienstlicher Aktivitäten und Abwicklungen gewesen sein und das, ohne überhaupt tatsächlich zu existieren. Rotes Quecksilber wird zur Bezeichnung diverser Substanzen gebraucht, die allesamt gar nicht, hypothetisch, oder allenfalls in mysteriösen und spekulativen Zusammenhängen existieren, chemisch wird keine Substanz korrekt dadurch bezeichnet. Im Verschwörungszusammenhang weist Red auf die vermeintliche Ostblock- Herkunft hin, Mercury, Quecksilber, dazu mehr als passend gewählt, ging es doch ums schnelle Erringen der Weltherrschaft. In der abendländischen Alchemie spielte das Quecksilber eine derart übergeordnete Rolle, da es sich in seiner Beweglichkeit scheinbar mit allem verbinden ließ, so galt es als das ens universale, der geheime Herrscher der Welt, in welcher alle Dinge vom Quecksilber stammen wie der Mensch von Gott.

Kerstin Stoll hat schwarze Keramikplastiken gefertigt, aus Ton, Erde, mit einer metallisch scheinenden Haut, amorphe vielgliedrige Gestalten, elegante Monstra, Zwitter aus Fleisch und Stein. Komplexe um einen Kern gebildeter aufstrebender und zugleich sich ausbreitender Kräfte, einer aus der Ferne gesehenen verglühten turmreichen Stadt, etwa als Metapher für Menschenwerk, ähnelnd.

Eingefroren in einem Moment der Wandlung und doch erscheinen sie wie ewig gleich und sind daher nicht nur dem Anschein nach jenen Objekten ähnlich, die man in buddhistischen Klöstern als so genannte Gelehrtensteine findet. Kerstin Stoll gibt diesen Plastiken jedoch den Namen Basilisk und überführt das Rote Quecksilber aus den Gefilden der Geheimdienste in diejenigen der Geheim-wissenschaften. Die Nähe dieser Basilisken zu den Gelehrtensteinen wird weitergehend noch im Verborgenen durch eine Begriffskorrespondenz bezeugt, als dass sowohl der Basilisk, als Gift der Gifte, als auch der lapis philosophorum, der Stein der Weisen, als König der Könige, vom Quecksilber stammen und ihre Genese in jenem Prozess gründet, der als Selbsttötungsprozess des Quecksilbers bezeichnet wurde. Mercurius vivus wandelt sich unter Hinzunahme von Feuer zum mercurius extinctus - um kurz darauf wieder zu erstehen. An dieser Übergangsstelle von Tod, Auferstehung und Wiedergeburt entsteht Rotes Quecksilber als aufsteigender Seelendampf des zerfallenden Quecksilbers und die Idee, der Basilisk, als giftigstes Fabeltier, habe das Gift im Augenlicht und vergifte sich selbst, wendete man seine tödlichen Blick gegen ihn zurück. Das Quecksilber als Spiegel, als Auge, als unendlich teilbare und stets ganze Halbkugel, die Welt widerspiegelnd, unendlich tötet und erneuert sich das Quecksilber aus sich selbst heraus.

Hier ist die Synthese aus Basilisk und Gelehrtenstein gedanklich schon vollzogen, was könnte der Gelehrtenstein als Naturfundstück, als Weltmodell, denn anderes zünden als den Gedanken der ewigen Erneuerung aus dem ewigen Sterben. Der schwarze, geschwärzte Zustand signifiziert die Erlösung aus diesem perpetuum mobile als potentielle Möglichkeit, als Gedanken, die stets aufs Neue verzeitlichte Wandlung zum ewigen Leben, die der feuerresistente lapis philosophorum, der Stein der Weisen, verheißt.

Metaphorisch dargestellt ist der Basilisk das polare Gegenüber des Steins der Weisen, sowohl die künstlerische als auch die scheidekünstlerische, alchemistische Arbeit argumentieren jedoch oft mit der Synthese solcher Antagonismen und ihrer paralogischen Auflösung in unendlichen symbolischen Ähnlichkeitsreihen. So hat der Basilisk in Kerstin Stolls Plastik die Gestalt des Gelehrtensteines und die Stelle des Steines der Weisen an- und einnehmen können. Interessanterweise taucht Basilisk in den geheimen Korrespondenzen der Alchemisten auch als Deckname für den lapis philososphorum auf.

In den historischen Kunst- und Wunderkammern begegnet einem der Basilisk als krude Kreatur aus einem in Form gebogenen und zurechtgestutzten Rochen mit Glasaugen in den Kiemenschlitzen und sonstiger absurder Zierde. Die schwarzen Pokale, die Kerstin Stoll ihren Basilisken zur Seite stellt, könnten einer solchen Kunst- und Wunderkammer zugehörig sein, es scheint sich um Kultgefäße einer jenseitigen oder zukünftigen Kultur zu handeln, die Reliquiaren ähnelnd, einer Essenz, einem aufsteigenden Rauch unbekannter Bedeutung, einem Geistesblitz ein Vehikel geben, diese in einer darum gebildeten kommunikativen Handlung zu etwas Übermittelbaren zu fassen. Ein verkohlter Wanderpokal einer Einsicht in die Gesetze des großen Ofens.

Dieser Idee der Über- und Weitergabe, des Übermittelns und des Trophäischen mögen die Plastiken auch ihre kryptoheraldische Anmutung verdanken, aus einem Wappenschild auf den Kopf gestürzte Reichsäpfel auf Hahnenfüßen, die Kreuz und Krone in ihrem Kugelbauch zu Salz und Balsam wandeln; Gesten einer verneinten Ermächtigung. Es mögen die hier erahnbaren Erfahrungen der Begrenztheit des Machbaren im Exakten sein, deren Übergang zum Spekulativen als ein Horizont aufleuchtet, an dessen Rändern jene Bilder entstehen könnten, die uns in Kerstin Stolls grafischen Arbeiten wieder zu begegnen scheinen. Ist es doch deren suggestive Stärke, etwas Erspieltes, Konstruiertes erscheinen zu lassen, als sei es Vertrautes und entstamme einer Arbeit an einer alten oder einer noch zu bildenden Ordnung, deren Sinn aus dem Gedächtnis aufsteigt, ohne seinen Gehalt an das Wachbewusstsein zu übermitteln. Ein Impuls, Seelenfunken aus der Tiefe in diese Spiegel zu werfen, erhellend Teil zu haben oder aber im Dunklen Unterschlupf zu finden. Die Bilder mögen wie Lehrtafeln einer solchen geheimen Praxis scheinen oder genau jene Momente eines Vorganges ausschneiden, in denen sich die Einsichten einstellen, die zur lehrhaften bis symbolisch-bildhaften Darstellung des daraus Gewonnen führen. Gesetzmäßigkeiten, deren Ort, Herkunft und Drift aber unbestimmbar und unregelbar bleiben, korrespondieren mit diesen Bildern, zeigen sich, werden lesbar durch diese. Von einer polymorphen Materialität zwischen Gas, Chitin und Klinge erstreckt sich deren Spannweite von der Ahnenmaske bis zur Effluviographie und doch gründen sie in ein und demselben verborgenen Dotter.

Text von Alexander Rischer

Kerstin Stoll hat kürzlich in der von Philipp Ziegler kuratierten Gruppenausstellung „Irrational thoughts should be followed logically“ in der Galerie Hauff in Stuttgart und in der Elisabeth Dee Gallery in New York teilgenommen. Unter anderem zeigte sie auch in der Ausstellung „Alles in einer Nacht“ kuratiert von Anna-Catharina Gebbers in der Tanya Bonakdar Gallery in New York und in der Ausstellung „suburbia“ im Kunstverein Springhornhof.

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