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Für die dritte Ausstellung der Kooperation zwischen Sammlung Goetz und Haus der Kunst wurden Film- und Videoarbeiten ausgewählt, in denen die auditive Seite des Werkes genauso einbezogen wird wie die visuelle. Dabei bildet das Verhältnis von Bild und Ton ein breites Spektrum. Am engsten geht beides in der Stille zusammen, dem unbewegten oder stummen Bild, das sich damit anderen Medien wie der Malerei oder der Fotografie annähert.

Klang Die Faszination, Bild und Ton mit einander zu verbinden, steht in einer langen künstlerischen Tradition. Der Begriff der 'Synästhesie', wörtlich Mitwahrnehmung, kam ab Mitte des 19. Jahrhunderts zur Anwendung und beschreibt die Fähigkeit, Farben zu hören oder Klänge zu sehen. In zeitgenössischer Film- und Videokunst wird diese Tradition in unterschiedlichster Weise fortgesetzt. Nira Pereg zeigt in "Sabbath 2008" (2008) die Vorbereitungen für den jüdischen Samstag in einem orthodoxen Viertel von Jerusalem. Die Straßen werden mit metallenen Absperrgittern blockiert, die laut kreischend über die Fahrbahn gezogen werden. Dieses Geräusch ist isoliert und wirkt in der Übertreibung als eine Art Kommentar. Zugleich systematisch und humorvoll verbindet Christian Marclay in "Telephones" (1995; 1999 auf der Biennale in Venedig gezeigt) Filmszenen von berühmten Schauspielern so, als würden sie miteinander telefonieren. Die verschiedenen Klingeltöne, Geräusche von Wählscheibe und Gabel und die Gesprächsfetzen ergeben in der Kombination eine Neukomposition aus Film- und Videokunst. Francis Alÿs schildert in "El Gringo" (2003) aus der Ich-Perspektive die Konfrontation mit mehreren Hunden auf einer Straße. Die Hunde bellen ihn, der versucht, an ihnen vorbeizugehen, aggressiv an, beißen schließlich in seinen Arm und in die Kamera. Am Ende liegt die Kamera am Boden. Der Betrachter bleibt mit ihr wie mit einem abgetrennten Sinnesorgan allein und muss dem Anblick standhalten, wie die Hunde die Kamera beschnuppern und bedrängen, bis das Bild schwarz wird. Gary Hills "Blind Spot" (2003) zeigt eine Aufnahme von 30 Sekunden, gefilmt mit einer Handkamera in einer Straße in Marseille. Die Szene wird immer weiter verlangsamt, bis durch die Dehnung unangenehme Klänge entstehen, und durch schwarze, stumme Sequenzen segmentiert. Auch Teresa Hubbard und Alexander Birchler arbeiten in "Gregor's Room II" (1998/99) mit der Unterbrechung des Bildflusses. Die Kamera umfährt in gleichbleibender Höhe einen Raum, in dem ein Mann Gegenstände in Kartons packt. Durch die Öffnungen - Türen und Fenster - weitet sich der Blick, wird aber kurz darauf wieder durch schwarze Segmente blockiert. Nähe und Distanz zum Geschehen wird abwechselnd auf- und abgebaut. Der Film wird in einer tonlosen Version gezeigt. In der Ästhetik des Dokumentarischen nimmt Tacita Dean mit der Kamera Monumente der Vergangenheit auf, die inzwischen ihre Funktion verloren haben. In ihrer 16mm-Filminstallation "Sound Mirrors" (1999) sind aus Beton gegossene Bauwerke an der britischen Küste von Kent zu sehen. Diese Bauten sollten als militärisches Frühwarnsystem dienen, indem sie die Geräusche herannahender Flugzeuge verstärkten. Bei Tacita Dean werden die Geräusche der umgebenden Natur jedoch statt von Flugzeuglärm vom Rattern des Projektors überlagert. Was üblicherweise den akustischen Hintergrund bildet, tritt nun in den Vordergrund und wird mit Bedeutung aufgeladen.

Stille Durch das Ausbleiben von akustischen Reizen können Hörerinnerungen ausgelöst und Verbindungen zu anderen Medien geschaffen werden. In "Ruurlo, Bocurloscheweg, 1910" (1997) nutzt David Claerbout diese Möglichkeit. Er zeigt in einem Schwarzweiß-Foto des gleichnamigen Dorfes einen Baum - sanft vom Wind bewegt, während alles andere unbewegt bleibt. Die Abwesenheit von Klängen vermittelt zunächst den Eindruck, es handle sich um eine Fotografie; die Bewegung registriert der Betrachter erst allmählich. Hans Op de Beeck nutzt die Abwesenheit von Tönen, um zwei Medien, Film und Malerei, zu verbinden. In "Colours" (1999) platziert er Personen in starrer Pose vor verschiedenen, monochromen Hintergründen, wie man sie von altmeisterlichen Porträts kennt. Sie belegen außerdem Op de Beecks Auseinandersetzung mit dem Topos des lebenden Bildes. Auch Anri Sala beschäftigt sich in "Uomoduomo" (2000) mit dem Porträt im Film durch Ausbleiben von Ton: Eine starre Aufnahme, die von einer Handkamera stammt, zeigt einen älteren Mann. In die Bildmitte gerückt, ist sein Gesicht nicht zu sehen, Hinweise auf seine Identität gibt es kaum. Er ist schlafend auf einer Kirchbank zusammengesunken und droht mehrmals umzufallen, fängt sich jedoch jedes Mal. Zwischen Umsinken und Gleichgewichthalten entsteht ein Schwebezustand, wie er für das Werk von Anri Sala typisch ist.

Musik Sechs der ausgewählten Arbeiten legen den Schwerpunkt auf die Musik, ohne dass dadurch der visuelle Teil des Werkes illustrierend wirkt. In Tim Lees Arbeit "The Goldberg Variations" (2007) ist Johann Sebastian Bachs gleichnamiges Stück zu hören. Lee bezieht sich auf Glenn Gould, der die einzelnen Variationen und die Aria separat nach seiner Idealvorstellung einspielte und sie schließlich zu einem Stück zusammenfügte. Lee übersetzt dieses Montagewerk in einzelne schwarz-weiße Nahaufnahmen seiner klavierspielenden rechten und linken Hand, die auf zwei nebeneinander aufgestellten Monitoren gezeigt werden. Durch harte Filmschnitte sind die Einstellungen der Hände aneinander gefügt; an die Stelle eines kontinuierlichen melodischen Flusses tritt eine irritierende Abfolge einzelner Sequenzen. Die erste Videoarbeit "Lights (Body)" (2000-2002) von Wolfgang Tillmans nimmt Bezug auf seine frühen Fotoarbeiten in Technoclubs. Die Großaufnahme der Diskobeleuchtung, die sich im Rhythmus eines Remixes von "Don't be Light" von Air bewegt, lässt an eine beliebige Clubnacht der 1980er- oder 1990er-Jahre denken. "Light" kann sowohl "Licht" als auch "leicht" bedeuten. Entsprechend können die rhythmischen Bewegungen der Lichter als Befreiung des Körpers von der Schwerkraft durch den Tanz verstanden werden, und als Hinweis auf die Flüchtigkeit des Lebens. In Rodney Grahams "A Little Thought" (2000) werden die Aufnahmen eines idyllischen Sommertages vom titelgebenden Lied begleitet, das vom Künstler komponiert und gesungen wurde. Die Bilder von einem Schwan im See, von blühenden Kirschbäumen und die harmonischen Klänge stehen jedoch in Diskrepanz zum Text des Liedes, das von einem tödlichen Autounfall handelt, der durch gedankliches Abschweifen verursacht wurde. Nur eine aus schwebender Perspektive aufgenommene Kamerafahrt über eine Straße stellt den Bezug zum Liedtext her. In Guido van der Werves "Nummer drie.take step fall" (2004) wechseln sich Passagen, die mit klassischer Musik unterlegt sind, und stumme Sequenzen ab, ebenso wie Ruhe und Bewegung. Wie eine Sonate ist die Arbeit aus drei Teilen aufgebaut: eine Tanzgesellschaft und ein asiatisches Schnellrestaurant im selben Gebäude, eine Straße bei Nacht, und eine tanzende Ballerina im Park. Die trostlos wirkenden Szenen werden immer wieder durch Sequenzen, die zufällig erscheinen, unterbrochen. Christoph Brech zeigt in der Videoarbeit "The Wind that shakes the Barley" (2008) namenlose Gedenksteine ungetauft verstorbener Kinder. Sie stehen umgeben von Gras, das im Wind mal stark, mal schwächer bewegt wird. Obwohl die Umgebungsgeräusche fehlen, meint man das Rauschen des Windes zu hören. Die Schwere der Steine wird der Leichtigkeit der Natur gegenübergestellt. Das unvermittelt einsetzende irische Volkslied wirkt melancholisch und irritierend, da es gleichzeitig vorwärts und, leiser, rückwärts gespielt wird.

Ein Katalog erscheint im Verlag Hatje Cantz; mit Texten von Patrizia Dander, Okwui Enwezor, Ingvild Goetz, Sarah Haugeneder, Nina Holm, Leon Krempel, Karsten Löckemann, Julienne Lorz, Carla Schulz-Hoffmann, Rainald Schumacher, Susanne Touw, Katharina Vossenkuhl, Eva Wattolik und Ulrich Wilmes.

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Klang und Stille
Sammlung Goetz im Haus der Kunst
Kurator: Leon Krempel

Künstler: Francis Alÿs, Hans Op de Beeck, Christoph Brech, David Claerbout, Tacita Dean, Rodney Graham, Gary Hill, Teresa Hubbard & Alexander Birchler, Tim Lee, Christian Marclay, Nira Pereg, Anri Sala, Wolfgang Tillmans, Guido van der Werve