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25.11.2022 - 09.01.2023
Eröffnung: 24.11.2022 19:00

Klassenfragen – Kunst und ihre Produktionsbedingungen

Im Arbeitsfeld Kunst treffen extreme Klassenunterschiede aufeinander. Dem Karriereversprechen des Kunstmarktes stehen die häufig prekären Lebensrealitäten und Produktionsbedingungen von Künstler*innen gegenüber, hinter dem sichtbaren Glamour lauern verschwiegene Armut und Abhängigkeitsverhältnisse. Wie stark Herkunft Zugänge und Karriere beeinflusst und die Kunstproduktion von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital abhängig ist, wird in dieser Ausstellung thematisiert.

Dazu bringt Klassenfragen Werke aus der Sammlung der Berlinischen Galerie mit zeitgenössischen Positionen zusammen, von Zeichnungen und Malerei über Rauminstallationen bis hin zu filmischen Arbeiten und Hörstücken. Entlang von fünf inhaltlichen Strängen wurden Arbeiten ausgewählt, die Erfahrungen des Ein- und Ausschlusses beleuchten und Fragen verhandeln, die Klassismus im Kunstfeld aufwirft.

Dabei wird bewusst eine intersektionale Perspektive eingenommen und Klassismus mit Rassismus, Sexismus und Ableismus zusammengedacht, denn oft verzahnen sich verschiedene Diskriminierungsformen. Die Folgen dieser Diskriminierungserfahrungen können sich in Selbstzweifeln äußern oder auf die psychische Gesundheit auswirken. Liang Luscombe verdeutlicht diese Zusammenhänge in ihrer surrealen Video-Satire: Als Weg aus der Verschuldung erwägen die Protagonistinnen Plünderungen, die Flucht ins karibische Steuerparadies, ja selbst den Verkauf der eigenen Zähne.

Herkunft als Hindernis: Wenn die soziale Herkunft den Zugang zu Ausbildungsinstitutionen, Ausstellungsmöglichkeiten oder Förderungen erschwert, spricht man von Klassismus. Das kann mit mangelnden finanziellen Ressourcen ebenso zu tun haben wie mit fehlenden Kontakten oder mangelnden Kompetenzen zum Erstellen von Förderanträgen. Dabei sind Förderungen von entscheidender Bedeutung für eine Künstler*innenkarriere. Ihre Bedeutung benennt Vlad Brăteanu auf seinem Banner mit dem Spruch Ein Künstler ohne Förderung ist kein Künstler.

Produktionsbedingungen: Wie kann man Kunst machen, wenn weder Geld noch Raum zur Verfügung stehen? In der Ausstellung werden Werke gezeigt, die die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen im Kunstfeld verhandeln und dokumentieren. So mussten sich viele Künstler*innen aus finanziellen Gründen auf kleine Formate beschränken. Andere Vorhaben enden im Entwurfsstadium. Die Beiträge von Douglas Boatwright oder Verena Pfisterer veranschaulichen künstlerisches Arbeiten in prekären Verhältnissen: Wenn der Drucker nicht mehr funktioniert, zeigt der „Fehldruck” den wortwörtlichen Druck der fehlenden Mittel. Wenn es keine Möglichkeit gibt, eine raumgreifende Installation zu realisieren, bleibt es bei der Ideenskizze im Kleinformat. Die Wandlabels sind dabei bewusst Teil des Ausstellungskonzepts: Sie geben Aufschluss über die tatsächlichen Produktionskosten einiger Arbeiten, Berufe der Eltern, die Anzahl der beantragten Förderungen oder Nebenjobs.

Kunstmarkt: Das Kunstfeld ist durch eine paradoxe Gleichzeitigkeit geprägt. Während die Arbeiten einiger weniger Künstlerinnen astronomische Preise erzielen, arbeiten andere unter prekären Bedingungen und finanzieren sich durch Jobs auf Mindestlohn-Niveau. Die Sprecherin des Berliner berufsverbands bildender künstlerinnen (bbk), Frauke Boggasch, zeigt die Absurditäten des Lebens in der Kunstszene anhand ihrer Aufnahmen vom langersehnten Stipendienaufenthalt in Paris, wo ihre, wenn auch kurzzeitigen, Privilegien auf fehlende Zugänge von Menschen treffen, die auf der Straße leben.

Leerstellen: Über viele Probleme wird aus Scham geschwiegen. So ist beispielsweise (Alters- )Armut selbst im sich häufig als progressiv und kritisch verstehenden Kunstbetrieb ein Tabuthema. Neben zahlreichen lebenden Kunstschaffenden war auch Hannah Höch davon betroffen, deren Arbeiten sich in der Sammlung der Berlinischen Galerie befinden. Deutlich wird dies anhand von ausgestellten Briefen von Künstlerinnen über sechzig, die sich während der Corona-Pandemie um Fördergelder bewarben. Zu sehen sind darüber hinaus Arbeiten von Künstlerinnen ohne akademische Ausbildung und solchen mit körperlichen oder mentalen Beeinträchtigungen – Positionen, die aufgrund von Zugangsbeschränkungen häufig unsichtbar bleiben.