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„Konstellationen III“ führt die im Mai 2006 mit „Konstellationen I“ begonnene Reihe fort und präsentiert jüngste Erwerbungen des Städel Museums im Kontext der Sammlung. Unter den Neuzugängen finden sich neben einer anamorphotischen Installation von William Kentridge Schenkungen und Ankäufe, die mit Peter Roehrs Fotomontage aus der „VW“-Serie von 1965, Gerhard von Graevenitz’ kinetischem Objekt aus dem Jahr 1970, Arbeiten von A.R. Penck und Gemälden von Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer die Sammlung der Kunst der 60er-, 70er- und 80er-Jahre vergrößern, aber vor allem mit einer monumentalen Arbeit von Daniel Richter, Werken von Jonathan Meese, Fotoarbeiten von Wolfgang Tillmans, einem Gemälde von Eberhard Havekost und Holzschnitten von Christiane Baumgartner die zeitgenössische deutsche Kunstszene beleuchten und somit gleichzeitig eine neue Künstlergeneration ins Städel einziehen lassen. Damit wird das Städel auch heute seiner historischen Aufgabe gerecht, neben alten Meistern stets auch aktuelle, zeitgenössische Strömungen in seine Sammlung einzubinden. Die Sammlungspräsentation „Konstellationen III“ schafft wie bereits die vorherigen Ausstellungen eine Reihe von thematischen Räumen, in denen nicht zwischen einzelnen Gattungen wie Gemälden, Arbeiten auf Papier und Installationen unterschieden wird, sondern durch das Zusammenspiel der Werke neue und aufschlussreiche Bezüge hergestellt werden können.

Gerhard von Graevenitz’ (1934–1983) künstlerisches Interesse galt der Untersuchung und Visualisierung von Bewegung, Raum, Zeit, Struktur und Zufall. Seine Werke umfassen ein breites Spektrum von kinetischen Arbeiten, Reliefs, Graphik und wenig Malerei. Mit seinem kinetischen Objekt „3 Aluscheiben auf Schwarz“ überwindet Graevenitz die Tradition des statischen Bildbegriffs. Daneben veranschaulicht Günther Ueckers Werk „Organische Struktur“ von 1962, das 1974 für das Städel Museum erworben wurde, die Auflösung von Bildstatik und somit die Ansätze von Bilddynamik. Die Schenkung von zwei Werken von Werner Tübke (1929–2004) und Wolfgang Mattheuer (1927–2004) ermöglicht es, das Triumvirat der Gründungsväter der „Leipziger Schule“ zu komplettieren; Bernhard Heisigs „Als der große Trompeter starb“ befindet sich seit 1985 im Städel Museum. Während Tübkes 1971 entstandenes „Selbstbildnis mit Palette“ an die großen Maler der Renaissance und des Manierismus denken lässt, verbildlicht Mattheuer in „Koloss II“ einen allegorischen Bildinhalt: ein goyaesker Koloss legt sich albtraumhaft über eine Stadt. Eine Folge von großformatigen Linolschnitten Mattheuers aus dem Jahr 1989, die „Suite ’89“, bildet einen vor und nach der Wende entstandenen Rückblick auf die Ikonografie des eigenen Bildrepertoires.

Die Montage identischer Elemente charakterisiert das aufgrund seines frühen Todes schmale Werk Peter Roehrs (1944–1968). In seinen Montagen benutzt Roehr vorgefundene Objekte der Warenwelt: Schulhefte, Werbebroschüren, Knöpfe. Dieses Ausgangsmaterial wird seriell zu vorwiegend quadratischen Arbeiten zusammengesetzt. Die künstlerische Entscheidung ist bewusst auf die Auswahl des zu verarbeitenden Objekts sowie die Bestimmung der Anzahl und die Anordnung der Elemente reduziert. Konsequent wird auf jede inhaltliche Aussage verzichtet. Das verwendete Element bleibt kenntlich, geht jedoch in der Serie auf, sodass die ursprüngliche Form- und Farbenstruktur in der Wiederholung ihre Potenzierung erfährt. In der Fotomontagearbeit „ohne Titel (FO-46)“ wird der Arbeitsrhythmus der VW-Arbeiter zu einer dynamischen Wellenbewegung.

Infolge der großen Penck-Retrospektive in der Schirn wurden dem Städel aus Privatbesitz fünf bedeutende Arbeiten des Künstlers überlassen. Ralf Winkler (*1939 in Dresden), der sich ab 1967 nach dem Geologen und Eiszeitforscher Albrecht Penck (1858–1945) unter dem Zusatz R. (Ralf) A.R. Penck nennt, wurde 1980 aus der DDR ausgebürgert und zog nach Westberlin. Mit seinem unverwechselbaren Stil aus abstrahierten Figuren und Bildzeichen schafft er ein universales Vokabular, in dem die Erinnerung an den Beginn der Malerei mit der aktuellen Zeitgeschichte und der modernen Naturwissenschaft zu einer einprägsamen Bildwelt verschmilzt. Die Verflechtung von Individuum und System wird mit seiner halb abstrakt-systematischen und halb symbolischen Bilderwelt bezeichnet. Wurde der „Osten“ als dunkles Bild mit Weiß auf Schwarz dargestellt, dreht Penck die Darstellungsweise in „Westen“ um. In Frankfurt hat Penck zwei großformatige Entwürfe für den 1987 ausgetragenen Wettbewerb für die Gestaltung eines Wandfreskos im Wandelgang der Paulskirche eingereicht. Von den sechs teilnehmenden Künstlern fiel die Wahl auf Johannes Grützke. Damit wurde dem Ausschreibungstext entsprochen, der ausdrücklich eine gegenständliche Darstellung der Märzrevolution von 1848 verlangte. Penck hat hingegen in seinen Entwürfen die Geburt der Demokratie in einen Code umgesetzt und damit ein entscheidendes Ereignis aus der deutschen Geschichte in eine universale Formensprache übersetzt. Diese charakteristischen Entwürfe binden die Arbeiten Pencks an Frankfurt und schlagen einen Bogen zu den großen Historienbildern, die in den Gründungsjahren des Städel von der Administration in Auftrag gegeben wurden.

Mit der anamorphotischen Installation „Fliege“ von 2007 von William Kentridge (1956 in Johannesburg) hat das Städel Museum ein „Laboratorium des Sehens“ erworben. Mit einer wichtigen und viel beachteten Ausstellung neuer Werke hat der Künstler im Frühjahr 2007 sein Engagement als erster Inhaber der Max-Beckmann-Stiftungsprofessur im Städel abgeschlossen. Nach seiner Vortragsreihe „Meeting the World Halfway“ in Frühjahr 2005 und zwei Semestern Lehre an der Städelschule ließ er sich bei dem Ausstellungsprojekt auch von Albrecht Dürers Druckgraphiken in der Graphischen Sammlung des Städel Museums inspirieren. Kentridge ist von der Vielzahl von Sehmodellen fasziniert, mit denen sich Naturwissenschaft, Populärkultur und Kunst seit der Frühen Neuzeit immer wieder auseinandergesetzt haben. In diesem Zusammenhang verwendet und thematisiert er Guckapparate und Sehmaschinen, die In der Ausstellung wird das Weltbild Pencks mit Werken des Aktionisten Hermann Nitsch konfrontiert. Bereits seit Ende der Fünfzigerjahre verfolgt Nitsch seine Idee des „Orgien Mysterien Theaters“. Dieses Projekt eines Gesamtkunstwerks, das alle fünf Sinne synästhetisch anspricht, verwirklichte der heute international anerkannte österreichische Künstler seither in über hundert unterschiedlichen Aktionen im In- und Ausland. Vor diesem aktionistischen Hintergrund nutzt er die spezifischen Möglichkeiten der Zeichnung und Druckgraphik und setzte u. a. Entwürfe zu Stockwerken einer unterirdischen Architektur des „Orgien Mysterien Theaters“ in druckgraphische Arbeiten um. Topographische Pläne wie nachempfundene Anatomien geben dabei das Maß für Grundrisse vor. den Prozess der sensorischen Wahrnehmung unmittelbar bewusst werden lassen: Stereoskope und Zerrspiegel; eine filmische Anamorphose sowie Zeichnungen und Objekte, die zu ihrer Herstellung dienten. Sein Werk ist als Schaubühne eines selbstreferentiellen Sehens zu verstehen. Im Zentrum der Ausstellung standen Anamorphosen, kreisrunde Zeichnungen eines verzerrten Bilds, das in einem Metallzylinder gespiegelt und erst dort für den Betrachter in gegenständlichen Formen erkennbar wird. Daniel Richter (1962 in Eutin) ist heute neben Neo Rauch einer der wichtigsten Vertreter der neuen figurativen Malerei in Deutschland, die seit Ende der 1990er-Jahre einen neuen Schwerpunkt in der zeitgenössischen Kunst bildet. Während er sich zunächst mit abstrakten Bildthemen beschäftigte, deren farbstarker, psychedelisch anmutender Farbenkosmos sich zwischen Graffiti und verschlungenen Ornamenten bewegte, malt Daniel Richter seit sieben Jahren ausschließlich figurativ. Seine großformatigen, figurenreichen Szenen, die häufig das aktuelle politische Geschehen oder historische Themen aufgreifen, zeigen Kampf und Bedrohung in energischer, überbrodelnder Vitalität: eine Wiedergeburt der Historienmalerei. So auch das monumentale Werk im Städel Museum. Das Gemälde ist, wie viele seiner Werke, ein Vexierbild, das der Betrachter mit seinem Wissen und seinen Vorstellungen von Politik und Popkultur auffüllt.

Jonathan Meese (*1970 in Tokio) bewegt sich in unterschiedlichsten Medien. In den Anfängen vor allem durch seine raumgreifenden Collagen bekannt geworden, von denen das Städel die 1998 entstandene Arbeit „UWE BOHM URBINSKI“ erwerben konnte, profiliert sich Meese in den letzten Jahren vorwiegend in den klassischen Feldern der Zeichnung, Malerei, und Skulptur. In Anlehnung an die Gangsterkomödie „Fra Diavolo“ von 1933 mit Laurel und Hardy entstand 2008 das Selbstporträt „DER ANTINOSTALGISCHE KNÜPPEL AUSM SACK (DIE DIKATUR der Kunst tickt“) in einer Reihe von 10 Werken, in denen sich Meese als schwarzer Diábolos darstellt.

Mit „Benutzeroberfläche 1“, das einen Blick auf ein Apartmenthochhaus zeigt, kommt ein Werk des 1967 in Dresden geborenen Künstlers Eberhard Havekost in die Sammlung, der sich mit den Herausforderungen der Malerei im Zeitalter der Medien beschäftigt. Aus fotografischen Quellen – Schnappschüssen aus Fernsehen und Video, Bildern aus Magazinen und Katalogen sowie eigenen Fotografien, die er am Computer mit einem Bildprogramm bearbeitet, um sie visuell zu perfektionieren – greift er Motive heraus und überträgt diese auf die Leinwand. Neben Porträts und Natur spielen vor allem Nachkriegsarchitektur und Verkehrsmittel wie Züge und Flugzeuge eine wichtige Rolle, die er in ungewöhnlichen Winkeln und extremen Nahansichten darstellt.

Im Gegensatz zu Havekost verändert Wolfgang Tillmans (*1968 in Remscheid) seine Fotografien durch chemische Manipulationen während des Entwicklungsprozesses oder bearbeitet das Fotopapier in der Dunkelkammer. Das Resultat sind abstraktere Bilder wie „Freischwimmer“ (2003) und „paper drop, window“ (2006), die rätselhaft verschleiert wirken. Seit Mitte der 1990er-Jahre zählt Tillmans zu den international einflussreichsten und innovativsten Fotokünstlern. Einen Höhepunkt seiner Karriere erlebte er 2000, als er als erster deutscher Künstler den von der Londoner Tate Gallery vergebenen Turner-Preis für zeitgenössische Kunst erhielt. Als Erfinder der „Schnappschussästhetik“, die Fotografien wie amateurhafte Momentaufnahmen aussehen lässt, machte er als kommerzieller Fotograf für Zeitschriften wie »i-D«, »The Face« oder »Interview« bereits Anfang der 1990er-Jahre Karriere. Diese Bilder aus der Club- und Presseinformation „Konstellationen III – Neue Ankäufe und Schenkungen im Kontext der Sammlung“, Städel Museum, Festivalszene, der er selbst angehörte, ließen ihn als Chronisten seiner Generation schnell bekannt werden.

Beim genaueren Betrachten der Bilder erkennt man jedoch, dass sie sehr sorgfältig arrangiert sind und die zufällige, spontane Wirkung ein gezielter Kunstgriff ist. Die Motive sind sehr vielfältig und reichen von homoerotischen Bildern und Stillleben mit Alltagsszenen über Landschaften und Porträts aus dem Freundeskreis bis hin zu außergewöhnlichen Modeaufnahmen. Charakteristisch für die Fotografien sind die Konzentration auf ein zentrales Motiv, das eine sehr starke Präsenz innerhalb des Bildes entwickelt, und Tillmans Suche nach dem perfekten Augenblick, den er mit der Kamera einfangen möchte. Zeugnis dafür sind die beiden in den Neunzigerjahren entstandenen, für das Städel Museum erworbenen Arbeiten „grey jeans over stairpost“ und „Knotenmutter“.

Unsere Wahrnehmung und Erfahrung von Zeitverläufen sowie die Repräsentation von Zeitintervallen durch das Bild bestimmen die bereits 2004 erworbene Serie „1 Sekunde“ und das 2008 durch den Städelschen Museums-Verein erworbene großformatige Diptychon „Brugge I und II“, Werke, in denen die Leipziger Künstlerin Christiane Baumgartner aktuelle, unspektakuläre Videobilder und Fotografien in die älteste Drucktechnik, den Holzschnitt, überträgt.

Künstlerliste: Francis Bacon (1909–1992), Christiane Baumgartner (1967), Gerhard von Graevenitz (1934–1983), Eberhard Havekost (1967), Bernhard Heisig (1925), Jörg Immendorff (1945–2007), William Kentridge (1955), Anselm Kiefer (1945), Yves Klein (1928–962), Theresa Lükenwerk (1962), Wolfgang Mattheuer (1927–2004), Jonathan Meese (1970), Hermann Nitsch (1938), Blinky Palermo (1943– 1977), A. R. Penck (1939), Daniel Richter (1962), Gerhard Richter (1932), Peter Roehr (1944–1968), Bernard Schultze (1915–2005), Richard Serra (1939), Wolfgang Tillmans (1968), Werner Tübke (1929–1904), Günther Uecker (1930)

Kuratoren: Max Hollein, Dr. Jutta Schütt, Dr. Sabine Schulze

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Konstellationen III
Neue Ankäufe und Schenkungen im Kontext der Sammlung
Kuratoren: Max Hollein, Jutta Schütt, Sabine Schulze

Künstler: Francis Bacon, Christiane Baumgartner, Gerhard von Graevenitz, Eberhard Havekost, Bernhard Heisig, Jörg Immendorff, William Kentridge, Anselm Kiefer, Yves Klein, Theresa Lükenwerk, Wolfgang Mattheuer, Jonathan Meese, Hermann Nitsch, Blinky Palermo, A. R. Penck, Daniel Richter, Gerhard Richter, Peter Roehr, Bernard Schultze, Richard Serra, Wolfgang Tillmans, Werner Tübke, Günther Uecker