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Irren ist menschlich und aus Erfahrung wird man klug, sagt man. Dennoch fehlt uns der positive Umgang mit dem Fehlerhaften und dem Irrtum. Individuelles wie gemeinschaftliches Versagen wird tabuisiert oder gebrandmarkt. Dabei dient es oft als ein Schrittmacher, ohne den gesellschaftliches Umdenken und qualitative Veränderung kaum möglich wären. Entwicklung bedarf der Umwege.

Die holprigen, doch nie ziellosen Schleichpfade der biologischen und kulturellen Evolution sind gesäumt von vergeblichen Versuchen. Motor ihres steilen Aufstiegs ist die Inkaufnahme von Fehltritten. Dennoch wünschen wir uns nichts sehnlicher als eine perfektionierte „Null-Fehler-Kultur”. Steckt diese aber nicht auch voller Strapazen und Fehlschläge, sodass man ebenso von einer Irrtumsgesellschaft sprechen könnte? Führt uns nicht gerade diese Welt des Unvollendeten und Fehlerhaften, gepaart mit einem fröhlichen Eingeständnis eigener Fehlertauglichkeit, zu jenen Auswegen und kulturellen Anknüpfungspunkten, über die sich all die Geschichten des Scheiterns neu für uns erschließen? Einem Scheitern, das eben nicht nur Verlust und Insolvenz in einer von Schwarz-Weiß-Ansichten geknechteten, aus dem Gleichgewicht geratenen Welt bedeutet, sondern gepflegt und kultiviert wird, um uns die Furcht vor dem Versagen zu nehmen? Ist unsere sinnliche Wahrnehmung, unser Erfahrungsschatz angesichts eines überbordenden, in virtuellen Welten eingebetteten abstrakten Wissens überhaupt noch imstande, Fehler einzugestehen, zu bewältigen, zu korrigieren?

Der Kunstfehler ist ein Begriff aus der Medizin, dem etymologisch zugrunde liegt, dass die ärztliche Behandlung nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft ausgeführt werden muss (im Lateinischen „de lege artis”, im Englischen „the state of the art” – „nach den Regeln der Kunst”). Der Medizin wohnt seit jeher die Schwierigkeit inne, praktisches Wissen unter den Bedingungen der Realität umzusetzen. Ihr obliegt eine elementare Verantwortung für Qualität und das Wohl des Patienten, für dessen Beratung und restlose Aufklärung über bevorstehende Maßnahmen sowie für die Erläuterung aller bestehenden Risiken. So möge es sich vielleicht auch mit der Kunst verhalten. Vielleicht liefern die Regeln der Kunst aber auch die Bausteine für jene letzte Bastion, die sich nicht scheut vor würdevollem Scheitern, lustvollem Irren, leidenschaftlichem Versagen, dem Reiz der Niederlage: Nicht die Wissenschaft oder das Handwerk, sondern die Kunst ist das Paradies für Genies, der letzte Zufluchtsort für Versager, an dem Misslingen Aufbruch wird.

Der Kunstfehler oder das fehlgeschlagene Kunstprojekt zeitigt – ob vorsätzlich erdacht oder unbeabsichtigt – nicht selten das schlüssigere Resultat, wenn es Idee, Versuchsanordnung, Prototyp, Beschreibung, Simulation bleibt. Spannend am lediglich erdachten, nie begonnenen oder vollendeten Werk kann z.B. sein, dass es Einblicke in den Schöpfungsprozess gewährt. Ein Dichter sagte: „Vielleicht ist das Scheitern des Versuchs Einsteins, eine allgemeine Feldtheorie aufzustellen, für die Physik sein wichtigster Beitrag.” Künstler, die das Scheitern eines ihrer Projekte thematisieren (Kunstfehler), sind ebenso an der Ausstellung beteiligt wie Künstler, die sich in ihrer Kunst mit dem Scheitern und Fehlerhaften per se auseinandersetzen (Fehlerkunst). Und warum soll für den Künstler nicht zutreffen, was Friedrich Nietzsche in der „Fröhlichen Wissenschaft” sich selbst zuschreibt: „Er ist ein Denker, das heißt, er versteht sich darauf, die Dinge einfacher zu nehmen, als sie sind.”