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7. Juli 2021 – 10. März 2022

Tune. Lamin Fofana, A call to disorder

“Ich möchte die Unterscheidung zwischen Reflektion und Aktion zum Kollabieren bringen. Die Welt fällt auseinander. Wer bezieht dazu Stellung, und wer verhält sich passiv?” Lamin Fofana

Lamin Fofana realisiert eine akustische Auftragsarbeit für den Terrassensaal im Haus der Kunst mit dem Titel „A call to disorder“. Seine multisensorische Installation bezieht auch Geruch, Licht und Atmosphäre mit ein. Zusätzlich veranstaltet Fofana mehrere akustische Happenings. Seine erste Live-Performance findet am Mittwoch, den 7. Juli statt und trägt den Titel „Ode an die Unreinheit“.

Mit den Mitteln des Klangs nimmt Fofana sein Publikum mit in den Bereich der Traumbilder, in dem wie ein Echo zyklische Erzählformen unserer Vorfahren nachklingen. Seine elektronische Instrumentalmusik bringt Ideen zu Blackness, Migration, Vertreibung und Race mit etwas Jenseitigem in Verbindung und rückt nichtlineares Denken und Erleben in den Mittelpunkt. Die Elegie „Here lies universality“ beklagt die Dominanz westlicher Musiktheorie: Deren Grundstruktur habe ihre Wurzeln im Erbe der Aufklärung, im Imperialismus und Weißer Vorherrschaft mit ihren anhaltenden Mechanismen der Ausgrenzung. Fofanas eng verwobene Interessen an Geschichte, an heutigen Zuständen und seine Methode, Text in das emotionale Medium des Klanges zu übersetzen, drücken sich in multisensorischen Live-Performances und großen, minimalistischen Installationen mit Originalkompositionen, Feldaufnahmen und Archivmaterial aus. Sein Ziel besteht darin, „einen Raum der Begegnung zu schaffen, in dem kollektiv zugehört, geträumt, das Undenkbare gedacht wird.“ Er macht gleichzeitig deutlich, dass Dissonanz und Störung hier ebenso thematisiert werden wie Harmonie.

„A call to disorder“ ist inspiriert von der bahnbrechenden Arbeit von Fred Moten and Stefano Harney, „The Undercommons“, worin sich ein Ruf nach Chaos oder Wildheit, nach Lärm, Kakophonie und dem Außermusikalischen ausdrückt. Da die Aufmerksamkeit für die historischen Nachwirkungen institutionalisierter Unterdrückung gegenwärtig zunimmt, sind die Reflektionsräume, die Fofanas Arbeit eröffnet, aktueller denn je.

Fofana lebt und arbeitet in Berlin als Künstler und Musikproduzent. Er wuchs in Sierra Leone und Guinea auf, zog 1997 in die USA und 2016 nach Deutschland. Er wurde bekannt sowohl im Bereich der elektronischen Musik als auch in der bildenden Kunst. Seine jüngste musikalische Arbeit erschien 2020 auf drei Alben als Trilogie; sie betrachtet historische und epistemologische Verläufe zeitgenössischen gesellschaftlichen und politischen Denkens durch die Linse der Black Studies. Das erste Album, „Black Metamorphosis“, ist inspiriert von Sylvia Wynters gleichnamigem unveröffentlichtem Manuskript und stellt die Frage, was geschieht, wenn afrikanische Ästhetik in den Westen übertragen wird. Für das zweite, „Darkwater“, wandte sich Fofana dem legendären schwarzen Schriftsteller, Wissenschaftler, Aktivisten und erstem promovierten Afroamerikaner der Geschichte W. E. B. Du Bois zu. „I Ran From It And Was Still In It“ stammt aus Fofanas Adaption von „Darkwater: Voices from within the Veil“, einer Sammlung autobiografischer Aufsätze und spekulativer Belletristik von 1920. Das dritte Album, „Blues“, ist eine meditative Antwort auf Amiri Barakas „Blues People: Negro Music in White America“ (1963).

In diesem Jahr beauftragte ihn die Biennale von Liverpool mit einer Arbeit und er wurde für den Preis der Nationalgalerie nominiert. Weitere Ausstellungen in letzter Zeit umfassen „Blues“ in der Mishkin Gallery am Baruch College, City University of New York (2020), Refracted Gazes/Fugitive Dreams in der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart (2019), WITNESS bei der 57. Biennale von Venedig (2017) sowie Performances bei der documenta 14 in Kassel und Athen (2017).

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In diesem und den kommenden Jahren wird Sound zu einem Schwerpunkt im Programm des Haus der Kunst. Geplant sind eine Serie von musikalischen Performances, eine neue akustische Auftragsarbeit, die ein Jahr lang den Terrassensaal durchdringen wird. „Tune“ ist zwischen den Bereichen Sound, Musik und visueller Kunst angesiedelt. Diesem Angebot einer kollektiven Erfahrung und einzigartiger Hörerlebnisse wird man überall im Museum als Installation und Performance begegnen können.

Die eingeladenen Künstler*innen teilen das gemeinsame Interesse daran, wie Sound die materielle Welt durchfließt, sich mit ihr überschneidet und sie verwandelt. In ihrer Arbeit beschwören sie das Unbekannte und zeigen, wie Klang sowohl Orientierung geben als auch Desorientierung verursachen kann. Klang ist diejenige Ausdrucksform, die am leichtesten aus ihrem Zusammenhang zu befreien ist: Er kann sich frei durch und zwischen Kulturen bewegen. Klang wird dabei ständig neu kodiert, und oft als Mittel zur Ausbeutung verwendet. Achtet man nicht nur darauf, wie Klang gelesen wird, sondern lässt sich von ihm berühren, offenbart er seine ganze Fülle. Klang hat einen immens physischen Charakter und verbindet uns gleichzeitig mit dem Ätherischen. Die Künstler*innen dieses Jahres stellen diese Möglichkeiten des Klanges in den Vordergrund.

Die Künstler*innen in „Tune“ nutzen die Kräfte des Klangs, um während ihrer Residencies im Haus der Kunst für zwei oder drei Tage das Publikum in ihre Welten einzuladen. Die einzelnen Arbeiten werden als jeweils zwei Live-Performances, ergänzt durch ein Künstler*innengespräch, präsentiert. In manchen Fällen kommen Installationen und Ausstellungen mit kurzer Laufzeit hinzu.