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CIRCLING THE VOID, auf deutsch etwa „die Leere oder die Lücke umkreisen“, ist der Titel vom Larissa Fasslers vierter Einzelausstellung bei SEPTEMBER.

Immer wieder hat sich die kanadische Künstlerin in ihren Zeichnungszyklen und Installationen wie etwa Kotti (2008 – 2014) oder Les Halles(2011) auf die unauffälligen, flüchtigen und alltäglichen Räume der Stadt fokussiert: U-Bahnhöfe, Unterführungen, Verkehrsknotenpunkte und -kreuzungen. Fassler interessieren ambivalente, „problematische“ Plätze, die das Resultat gescheiterter modernistischer Visionen oder von bürokratischem Pragmatismus sind. Diese Orte bezeichnete der Kulturanthropologe Marc Augé als „Nicht-Orte“, die sich durch die Isolation der Menschen, die Auflösung von Gemeinschaften in separierte, anonyme Individuen („Verbraucher, Reisende, Anwender, Zuhörer“) auszeichnen. „Ort“ wird zum „Raum“; was sich zunehmend in entpersonalisierten und homogenen Orten manifestiert, die unsere heutige Welt kennzeichnen. Fassler untersucht die Art und Weise, wie diese Orte die Menschen physisch und psychisch beeinflussen und umgekehrt - wie die Wahrnehmung und das Verständnis der Umwelt sich in den Bauwerken manifestieren.

Die Leere, um die Fasslers aktuelle Zeichnungsserie kreist, ist die Baustelle des rekonstruierten Stadtschlosses in Berlin – augenblicklich eine weite, windige, eher unbestimmte Fläche inmitten der Stadt, über die täglich hunderte Touristen eher ziellos strömen, die aber in großen Teilen menschenleer ist. Der Schlossplatz ist ein „wunder Punkt“ und gleich in mehrfacher Hinsicht ein Ort des Transits: Berlin ist gekennzeichnet von städtebaulichen Projekten, mit denen versucht wurde, die Identität der Stadt zu prägen. So versuchten etwa die preußischen Könige, die Nationalsozialisten oder die DDR-Regierung die Stadt in ihrem Sinne zu formen. Seit der wilhelminischen Ära ist es hier Tradition, das Vermächtnis der vorhergehenden Generation auszuradieren und ein neues Konzept der Geschichte zu entwerfen. Allerdings blieben die städtebaulichen Strukturen, die in den unterschiedlichen Epochen und Regierungsformen geschaffen wurden, Elemente in einem bis heute völlig heterogenen Stadtbild.

In CIRCLING THE VOID thematisiert Fassler nicht nur den Akt des Ausradierens von jüngerer Geschichte, sondern auch die Diskrepanz zwischen den Visionen der Städteplaner und dem tatsächlichen Erleben des Ortes. Über mehrere Monate hinweg hat sie tagtäglich den Schlossplatz besucht und akribisch Menschen, Veränderungen und Details im Areal beobachtet. Sie notierte die Bewegungen von Passanten, Standorte von Hütchenspielern, Polizeieinsätze, den Blickwinkel von fotografierenden Touristen, Sticker, Logos, Plakate, Temperaturen, den Verlauf von Licht und Schatten. Fassler zeichnete auch ihre Eindrücke von alltäglichen Begebenheiten und kleinen Dramen auf, Momente von Einsamkeit, Angst oder voller Komik.

Auf ihren Zeichnungen, die den Platz immer aus der gottgleichen Vogelperspektive des „Planers“ einnehmen, überlagern sich diese Aufzeichnungen aus den unterschiedlichsten Momenten und Perspektiven in verschiedenen Konstellationen. Das Spektrum reicht von lichten, geometrisch angelegten Rastern, die an Spinnennetze erinnern, bis hin zu einem fast psychotisch anmutenden Allover aus Linien, Notizen und zeichnerischem Duktus, der in Fasslers Werk immer zentraler wirkt. In ihrer jüngsten Arbeit erschafft sie eine Symbiose aus Dokumentation und Komposition, wobei ihre Zeichnungsserie sich gleichermaßen als Zeitzeugnis, künstlerische Metaerzählung und formales Experiment lesen lässt.