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LES FLEURS DU MAL
WO ALLES UNGEHEURE SO WIE EINE BLUME SPRIESST
22. MAI – 1. AUGUST 2021
weiterer Ausstellungsort: BURG LEDE UND PARK DER BURG LEDE, BONN

Im 200sten Geburtsjahr von Charles Baudelaire kreist die Gruppenausstellung um dessen Gedichtsammlung, die seit ihrer Entstehung bis in die Gegenwart KünstlerInnen zur Auseinandersetzung angeregt hat. In der Vorrede zu seinen „Les Fleurs du Mal“ kritisiert Baudelaire die Literatur seiner Zeit, die das Schreiben mit der Tugend verwechsle. Er hingegen trennt die Schönheit der Sprache von der Moral. Angetrieben von Dégoût, dem Ekel vor der Masse, vor den Zeitgenossen des verhassten „juste milieu“, vor dem vermeintlichen „bon sens“, vor der abstoßenden Welt, wie sie ist, stellt sich seine neue ästhetische Kategorie als Gegenentwurf dar, in dem das Böse als „natürlich“, das Hässliche und Abstoßende als „schön“ gewertet wird. Über die Motivation hinter „Les Fleurs du Mal“ schreibt er: „Dieses wesentlich unnütze und absolut unschuldige Buch ist einzig zu meinem Zeitvertreib entstanden und aus der leidenschaftlichen Lust, mich an Widerständen zu üben (…).“ Ausgehend von Paris als „centre et rayonnement de bêtise universelle“ als Mittelpunkt und Strahlkörper einer universellen Dummheit, liegt seiner Ästhetik des Bösen eine schonungslose Autopsie der Malaise zugrunde, die aus Modernität und Masse entsprungen ist. Der Stadt-Raum selbst wird zu einer Landschaft, die der Flaneur durchstreift, eine Figur, deren traumverlorenes Gehen nach Walter Benjamin aus der Zeit gefallen ist und die in immer tiefere Schichten der Vergangenheit eintaucht. Der moderne Mensch ist auf der Suche, getrieben von Sehnsüchten und in tiefer Verzweiflung der Melancholie, die Baudelaire als Spleen beschreibt, der „Katastrophe in Permanenz“ (W. Benjamin). In der zwanghaften Hinwendung zur Kunst zur Überwindung gedämpfter Empfindung entwickelt das Individuum eine geradezu neurotische Sensibilität. Die Inszenierung und zugleich Isolierung des Individuellen und Aparten äußert sich in der übertriebenen Kultiviertheit des Dandys. Baudelaire selbst umgab sich mit dem Nimbus des Exzentrikers, des umwölkten Satanisten und Pornographen. Mit Constantin Guys und Félicien Rops sind zwei historische Positionen vertreten, die im direkten freundschaftlichen Verhältnis zu Baudelaire standen. Während Guys mit seinen Beobachtungen der bürgerlichen Gesellschaft Baudelaire zu seinem Aufsatz „Der Maler des modernen Lebens“ inspirierte, verband Rops und Baudelaire die Begeisterung für das Skelett als „primäre Form“. Hans Bellmer und sein ehemaliger Assistent Christian d´Orgeix führen die bei Baudelaire angelegten Entgleisungen einer ruchlosen Imagination in ihren surrealistischen Fantasien fort, vermengen Figürlichkeit und Abstraktion in unheimlichen, hybriden Formationen.

Zahlreiche Aspekte und Themen der Gedichte Baudelaires erlangen in unterschiedlichen zeitgenössischen Werken eine intensive Strahlkraft. So verweisen die zarten, durchscheinenden Blüten, die Edmund Clark auf dem Gelände eines therapeutischen Hochsicherheitsgefängnisses gesammelt und fotografiert hat, metaphorisch auf die Ergründung und Konversion von Schwerstverbrechern und bilden in ihrer „Schönheit“ zugleich menschliche Abgründe ab. Die zerwühlten Laken in den Gemälden von Robert Haiss verweisen auf des „Bettes Abgrund“, während die mysteriösen Gestalten von Paloma Varga Weisz Wesen im Wandel zwischen Märchen und moderner Welt verkörpern. Bei Georg Herold resultiert das Besondere nicht, wie bei Baudelaire, aus der artifiziellen Überhöhung alltäglicher Vorkommnisse zu „Blumen des Bösen“, sondern aus der Beobachtung der ungeschönt niederen, ja „gemeinen“ Qualität des Banalen.

Die zeitliche Enthobenheit, das Démodé, der kleinen gotischen Wasserburg mit ihren Salons und ihrem Park steht dabei im Kontrast zur Modernität der Galerie in Köln. Auch im Park der Burg Lede finden sich Werke von Cornelia Genschow, die ein kreisrundes Roggenfeld angelegt hat, um darin das Wachstum von Mutterkornpilz zu beobachten, der in der Vergangenheit das berüchtigte Antoniusfeuer hervorrief. Auch Ute Kathrin Becks Keramikskulpturen in Corona-Gestalt über dem Teich beschwören die dunkle Seite der Natur.