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Unter dem Titel „Liebe, Tod und Leidenschaft - Geschichten aus dem Zarenreich“, zeigt die Kunsthalle Krems eine umfassende Schau russischer Genre- und Historienmalerei der Zeit von 1850 bis 1905. Die Ausstellung umfasst 50 Werke von Abram Archipow bis Adrian Wolkow, darunter zahlreiche monumentale Hauptwerke der russischen Kunst, die bis heute noch nie in einem Museum außerhalb des ehemaligen Eisernen Vorhangs zu sehen waren. Alle Arbeiten kommen aus dem Staatlichen Russischen Museums in St. Petersburg.

Die Ausstellung kann von ihrer Konzeption als Fortsetzung der vor zwei Jahren in der Kunsthalle Krems gezeigten Ausstellung „Rußland – Repin und die Realisten“ angesehen werden. Diese hat seit langem wieder die Werke Ilja Repins im deutschsprachigen Raum präsentiert und war der Inizialzünder für eine weitere Schau in Deutschland 2003. Dominierte in der Vorgängerausstellung noch der Aspekt des Realismus, so offenbart diese Präsentation eine Welt der großen Gefühle, die charakteristisch für die russische Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist. In beeindruckender Weise veran-schaulichen die Künstler mit ihren Bildern die „russischen Seele“. Überaus unmittelbar werden Tragödien und Feste, Szenen des Familienlebens und Märchen, Geschichten der Armut, aber auch der Liebe zum Gegenstand monumentaler Bilderzählungen.

Der Titel „Liebe, Tod und Leidenschaft“ versucht auch die vielfältige zeitgenössische Bilderwelt Russlands unter einem Motto zusammen zu fassen. Den Schwerpunkt der Schau bilden Genreszenen, auf Landschaftsmalerei wurde bewusst verzichtet. Die Gat-tung Historienmalerei ist mit einigen imposanten Werken vertreten, unter anderem mit der bedeutendsten russischen Arbeit in dieser Kategorie, Ilja Repins Monumentalge-mälde „Die Saporosher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan“, an dem der Künstler über ein Jahrzehnt gearbeitet hat. Der Kunsthalle Krems ist es gelungen, dieses monumentale Meisterwerk erstmalig seit langer Zeit zu präsen-tieren. Das Bild aus dem Staatlichen Russischen Museums in Sankt Petersburg nach Krems zu bekommen, ist nur dank dem langjährigen freundschaftlichen Verhältnis zwi-schen der Wissenschaftlichen Leiterin des Russischen Museums und dem Direktor der Kunsthalle Krems möglich gewesen.

Welt der großen Gefühle Der Titel dieser Ausstellung „Liebe, Tod und Leidenschaft“ ist eine Metapher. Jeder der drei Begriffe kann für sich stehen oder im Verbund auftreten. Liebe ist – sowohl in Bezug auf den Menschen als auch auf die Heimat – ein zentrales Thema der russischen Bildwelt. Leidenschaft bezieht sich auf eine generelle russische Befindlichkeit, die Ausdruck in vielen Gemälden findet. Das Thema Tod steht in Russland der damaligen Epoche immer im Zusammenhang mit Krieg.

Kunsthistorische Entwicklung Waren es in der ersten Hälfte des 19. Jhs in Russland noch vorwiegend klassische Bild-themen, so standen in der zweiten Hälfte das Leben der Bürgerlichen, des Kleinbürger-tums und des gemeinen Volkes im Mittelpunkt der Bildinhalte. Der Realismus fand Ein-gang ins Genre war aber am Beginn noch nicht kritisch.

Zeitlich beginnt die Ausstellung mit den Werken der sog. „1860er“. Die Kunst dieser Maler zeichnet sich durch ihren direkten Charakter aus. Konzentrierte Aufmerksamkeit und politische Schärfe waren wesentliche Merkmale der Kunst. Bei der Darstellung des Lebens des Volkes zeigten diese Künstler die ungeschminkte Wahrheit. Trunkenheit, Familienleben, Armut u.v.m. Schattenseiten der Gesellschaft wurden – zum ersten Mal in dieser Konsequenz – dem Betrachter offenbart, groteske Szenen dargeboten. In diesen Genreszenen dominieren Einzelschicksale. Der Realismus dieser Arbeiten findet kein Pendant zu realistischen Arbeiten im Westen Europas.

Nach Gründung der Künstlergruppe „Peredwishniki“ (Wanderermaler) entwickelte sich die Kunst der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts von der kleinen Form zur großen – formal wie auch inhaltlich. Die Welt der großen Gefühle offenbart sich jetzt in großer Gestik. Es findet eine Verschiebung von Ebenen der Weltwahrnehmung statt. Die Peredwishniki-Be-wegung wurde mit dem Ziel gegründet, Kunstwerke auf Tourneeausstellungen innerhalb Russlands zu zeigen, um das Volk aufzuklären. Die Bewegung der „Wanderer“ leitete ein gänzlich neues Kapitel in der Geschichte der russischen Kunst ein. Ihren Höhepunkt hatte sie in den 1870er und achtziger Jahren. Mit ihnen wurde der Begriff „Kritischer Realis-mus“ geprägt. Die Bilder der Peredwishniki gehen über das rein Beschreibende hinaus-gehen. Die Werke Iwan Kramskois, Ilja Repins und anderer lassen erkennen, dass diese Kunst um eine moralische Dimension erweitert worden war. Zu den wichtigsten Aufgaben gehörte es, das Innenleben der Dargestellten zu erforschen.

Historischer Hintergrund 1850 regierte der Zar Nikolaus I. 60 Millionen Russen. 48 Millionen von ihnen waren un-frei. 22,5 Millionen Menschen (37,7 % der Bevölkerung) waren Leibeigene, Bauern vor allem, die auf privatem Grund von Gutsbesitzern lebten und ihnen hörig waren. Weitere 42,3% waren Staatsbauern; sie waren an den Boden des Zaren, den sie bearbeiten mussten, gebunden. So waren also vier Fünftel der Bevölkerung des Reiches unfrei und vor dem Gesetz rechtlos. Die 12 Millionen Freien waren selbstständige Bauern, Kosaken, Geistliche, Stadtbürger und Adlige (Paul Gutzwiller).

Auch als Alexander der II. 1861 die Leibeigenschaft aufhob, bedeutete dies nicht, dass es den Bauern finanziell besser gehen sollte. Die Gutsbesitzer verloren zwar das Recht, ihre ehemaligen Leibeigenen zu verkaufen, die Bauern konnten jedoch – zumal ohne Kennt-nisse in der freien Wirtschaft – ihre Freiheit nicht adäquat nutzen. Für die Zahlung der hohen Ablöse mussten sie sich verschulden, und viele gingen damit ihrem Ruin entgegen.

In der gesamten Literatur dieser Zeit – von Tolstojs Anna Karenina bis hin zu Gontscharows Oblomow – nimmt dieses Generalthema breiten Raum ein. Auch die bildende Kunst – so zu sehen in dieser Ausstellung – beschäftigt sich mit dem Leben der Bauern, mit der Korruption der höheren Stände, dem Gegensatz zwischen Intelligenz und Volk, der Unwissenheit der Landbevölkerung, der seelischen Konflikte und dem Herein-brechen einer neuen Ära. Pressetext

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Liebe, Tod und Leidenschaft - Geschichten aus dem Zarenreich
Werke von Ilja Repin, Andrej Rjabuschkin, Iwan Kramskoi, u.a.
KuratorInnen: Tayfun Belgin, Eugenia Petrova