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Der Maler zählt zu den bedrohten Arten, so heißt es oft, ist am Ende gar zum Aussterben verdammt. Kritiker und Kuratoren erklären uns, die Malerei sei im Begriff durch andere, zeit-gemäßere Formen der Darstellung ersetzt zu werden - durch Video oder digitale Fotografie. Sollte sie aber doch überleben, werde sie sich auf die Abstraktion zu beschränken haben, Malerei um der Malerei willen, Zeugnis eines Prozesses, der nichts mehr mit Gegenständlichkeit zu tun hat.

Liliane Tomasko bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit auf einem schmalen Grat zwischen Extremen. Ihre Gemälde sind zwar in der Tat gegenständlich; der dargestellte Gegenstand als solcher ist jedoch eher unerheblich. Das Sujet ist Ausgangspunkt, nicht Ziel. Eine Möglichkeit, sich Liliane Tomaskos Werk zu nähern, führt über die Geschichte der Romantik in der Kunst. So erinnern zum Beispiel ihre Wolkenstudien unmittelbar an das Werk des großen englischen Landschaftsmalers John Constable (1776-1837), der wohl als erster derartige Bilder geschaffen hatte. Andere Werke in dieser Ausstellung, so zum Beispiel Tomaskos Gemälde von Laken, mögen dem gebildeten Betrachter ähnliche Detailstudien im Werk des deutschen Malers Adolph von Menzel (1815-1905) in Erinnerung rufen. Der entscheidende Unterschied besteht freilich darin, dass weder Constable noch von Menzel diese Studien als Selbstzweck ansahen, vielmehr waren sie Zwischenstadien, die den Weg für ein vollendetes Gemälde bereiteten. Erst seit jüngerer Zeit erfahren derartige Studien Wertschätzung um ihrer selbst willen.

Die Notizen der Künstlerin zu ihrer künstlerischen Arbeitsweise verweisen auf eine weitere, wesentlich fruchtbarere Parallele. Sagt doch die Künstlerin, dass sie nicht direkt vor dem Objekt arbeitet, sondern sich eines von ihr über Jahre aufgebauten Fotoarchivs bedient. Aus dieser Bilder-sammlung, so sagt sie, bezieht sie eine Fülle von Bildideen, von denen einige sich als werkbe-stimmend erwiesen haben. Vor diesem Hintergrund lassen die Wolkenstudien nicht an Constable denken, sondern vielmehr an Alfred Stieglitz (1864-1946), den großen Fotografen des frühen 20. Jahrhunderts, dessen Wolkenstudien, die er Equivalents nannte, zu den bedeutendsten Werken seines Schaffens zählen. Für Stieglitz lag die Herausforderung darin, einer im Wesentlichen amorph anmutenden Materie mit Hilfe der Kamera Form zu verleihen. Die so entstandenen Bilder ent-sprachen seiner Ansicht nach bestimmten Stimmungen oder Geistesverfassungen, waren "equivalent". Dies stand im Widerspruch zu der damals mehr noch als heute vorherrschenden Auffassung, die Fotografie sei ein vorrangig realistisches Medium, das in erster Linie objektiver, nicht subjektiver, Weltsicht diene. Indem er sich ihrer zur Widerspiegelung seines eigenen Seelenzustandes bediente, verknüpfte Stieglitz die Fotografie mit der Ästhetik und Philosophie des Symbolismus. Im weiteren Sinne kann auch Liliane Tomasko als symbolistische Künstlerin bezeichnet werden.

Worum es hier geht, ist die Verknüpfung von Kunst und Empfindung. Jedes einzelne Gemälde in dieser Ausstellung ist Ausdruck einer Empfindung und zugleich Aufzeichnung des Gesehenen. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Liliane Tomasko sehr genau hinsieht.

Die Künstlerin beschreibt, wie sie, noch bevor sie zu malen beginnt, das Bild in Bleistift umsetzt. Dies sei, so sagt sie, ein wesentlicher Teil des Arbeitsprozesses. "Das wiederholte Aufbringen und Auslöschen von Markierungen ist der ritualisierte Versuch, die fotografische Realität zu durchdringen. In dem Raum zwischen der Aussicht auf das vollendete Gemälde und der andeutungsweise angerissenen Skizze auf der Leinwand gehört das Bild gänzlich mir. Sobald Farbe ins Spiel kommt, muss ein Gutteil Kontrolle aufgegeben werden, um das Gemälde hervorzubringen." Ein Charakteristikum der Malerei seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ihre Tendenz, sich zunehmend auf Dinge zu konzentrieren, die zu früheren Zeiten geringschätzig als banal abgetan worden wären. Herausragende Beispiele dieser Entwicklung sind Paul Cézannes Stillleben sowie Giorgio Morandis Flaschenbilder. In gewissem Sinn stellen Werke dieser Art die moderne Fortsetzung einer Tradition dar, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstanden ist, als sich das Stillleben als eigenständiges Genre etablierte. So ist Caravaggios gefeiertes Früchtestillleben in der Pinacoteca Ambrosiana in Mailand ein entfernter Vorfahr von Liliane Tomaskos Lakenbildern.

Cézannes Stillleben lenken das Augenmerk des Betrachters fast völlig vom dargestellten Gegenstand auf den Wahrnehmungsprozess als solchen und auf dessen Inszenierung auf der Bildfläche. Durch ihre Vorliebe für unvollständige Szenen und Objekte treibt Liliane Tomasko diesen Prozess voran. So präsentiert sie dem Betrachter ein ungemachtes oder zerwühltes Bett nicht etwa als komplettes Objekt, sondern nur als einen Ausschnitt desselben. Selbstverständlich gibt es hierfür bereits Vorläufer in der Kunst der Vor-Moderne. Wenn Leonardo da Vinci in seinen Notizbüchern Maler dazu anhält, in den zufälligen Flecken auf der Atelierwand eine mögliche Quelle der Inspiration zu sehen, fordert er tatsächlich den angehenden Schöpfer dazu auf, einer im Wesentlichen amorphen Bildwelt Form und Struktur zu verleihen. Gleichermaßen erlegen sowohl Constables als auch Stieglitz' Wolkenstudien ungeformten Situationen eine Ordnung auf.

Seit der Erfindung der Fotografie hat sich das Publikum allmählich an die nahezu willkürlich am Bildrand abgeschnittenen Kompositionen gewöhnt, die das neue Medium nicht nur ermöglicht, sondern geradezu herausfordert - in manchen Fällen nachgerade erzwingt. Stieglitz gehörte zu der ersten Generation von Fotografen, die sich dieses Stilmittel zu Eigen machten. Die Auswirkungen sind in vielen Gemälden seiner Frau Georgia O'Keeffe (1887-1986) erkennbar. Ihr Werk macht deutlich, dass die neue kompositorische Freiheit oft teuer erkauft war. So sehen viele ihrer Bilder eigentümlich flach und denaturiert aus; tendenziell wirken sie in Reproduktionen besser als im Original.

Liliane Tomasko ist sich dieser Gefahr nur allzu bewusst. Ihr sinnliches Vergnügen an der Farbe als Substanz ist augenfällig. Ihre Arbeiten sind weder fotorealistisch noch illusionistisch. Mit anderen Worten, der Betrachter zweifelt keinen Moment daran, eine bemalte Oberfläche vor sich zu haben, und nicht das Motiv selbst. Was die Künstlerin versucht, ist ein alchemistischer Vorgang, nämlich die Umsetzung einer Art Realität in eine andere, sehr unterschiedlich geartete Realität.

Ein grundlegender Unterschied zwischen der Beschreibung eines Gegenstandes oder einer Situation in Worten und der Beschreibung des selben Gegenstandes mit den Mitteln der Malerei besteht darin, dass der Maler die selben Dinge immer und immer wieder beschreiben kann ohne eintönig zu werden. Wir sehen dies in der Kunst Morandis, ebenso wie im Werk früherer Künstler, wie zum Beispiel Chardins. Die Abwendung von komplexen Sujets zieht nicht zwangsläufig den Verlust von Komplexität als solcher nach sich. Eine Richtung der Moderne und deren Nachfolgerin, der Postmoderne, versucht dies zu vermeiden, indem sie darauf besteht, dass das Objekt nicht dargestellt werden muss - es kann einfach herausgegriffen und einem anderen Kontext zugeordnet werden. Es ist dieser Akt der Rekontextualisierung, der das Objekt zu Kunst macht. Liliane Tomasko gehört offensichtlich nicht dieser Schule an. Sie sieht in der Malerei die Möglichkeit, sich Aspekte der stofflichen Welt zu Eigen zu machen, auf die sie sonst keinen Zugriff hätte. So spricht sie zum Beispiel von Licht, das aus dem Bildinneren zu entspringen scheine, statt dass es schlicht von außen auf die bemalte Bildfläche treffe, um diese sichtbar zu machen. Liliane Tomaskos Gemälde sind gegenständlich im Sinne eines erkennbaren Sujets. Das eigentliche Thema ist jedoch in jedem Bild das selbe - was auch immer es vorgeblich darstellt. Das Thema ist die Art und Weise, in der sich die Künstlerin mit dem Gesamtprozess der Herstellung eines Kunstwerkes auseinandersetzt, einem Werk, das völlig losgelöst von ihr existiert, das aber zugleich als Behältnis für die Gedanken und Gefühle fungiert, die sie während seiner Herstellung hatte.

Edward Lucie-Smith (Übersetzung: Carola Kleinstück-Schulman)

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Text von Edward Lucie-Smith in Deutsch und Englisch, 68 Seiten mit 48 Abbildungen, Leineneinband, 27.3 x 18.5 cm

Die Ausstellung dauert vom 3. März bis 13. April 2006.

Pressetext

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Liliane Tomasko