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Eröffnung Dienstag, 9. September 2008, 19 Uhr Begrüßung: Joachim Lothar Gartner, Präsident des Künstlerhauses Zur Ausstellung spricht: Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Kuratorin

Lore Heuermann beschäftigt sich fast vier Jahrzehnte mit dem faszinierenden Thema der Bewegung, auch im Sinne der chinesischen Philosophie, die von einer Metamorphose der Elemente und ihrer Aggregatszustände ausgeht. Kristian Sotriffer nannte sie eine „stille künstlerische Aktivistin“ mit einer „Artikulation der Figur als etwas zu Buchstabierendes“ – andere nennen ihre Vorgangsweise doch aktionistisch, obwohl dabei nur das Denken im Umfeld der Wiener Aktionisten, der „Wiener Gruppe“ und vor allem den Protesten gegen den Abriss des Arena-Geländes in St. Marx, einem freien Wiener Kulturzentrum, in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren eine Rolle spielte. Ihr politischer Aktivismus hat daneben in der künstlerischen Umsetzung nur in Plakaten oder Texten und auch einer Fotoserie zur Slowenenzählung 1976 ihre Entsprechung. Vordergründig geht es ihr aber nicht um das Erstellen eines Meisterwerks oder etwas Spektakulären, sondern um ein Künstlerbild ohne Pathos und um ein in Serien gehaltenes Wahrnehmen von Zeit und Vergänglichkeit, ein Notieren von Zeitabschnitten auf Papierbahnen, ein Anhalten zum langsamer Sehen, ein Abtasten des Lebendigen mit poetischen und empfindsamen Mitteln. Die 1937 in Münster / Westfalen geborene Künstlerin studierte Ende der Fünfzigerjahre an der Akademie der bildenden Künste, Monsignore Otto Mauer, Domprediger und Gründer der Avantgardegalerie (nächst) St. Stephan, schrieb über ihren gemalten „Bewegungszyklus“ seinen letzten Text. Sie erlebte die erste Welle feministischen Aufbruchs in Wien mit und auch die minimierten Möglichkeiten für Künstlerinnen in Museen oder am Kunstmarkt Fuß zu fassen - gehört also zu den Pionierinnen dieser wichtigen Phase, auch wenn sie sich keiner Gruppierung nach der Arenabewegung mehr anschloss. Heuermann schreibt nicht mit ihrem ganzen Körper wie Performerinnen, sie nützt ihn nicht zur theatralischen Abreaktion oder Demonstration, nicht einmal für intervenierende Handlungen, sondern sie zeichnet seit Beginn der Neunzigerjahre nach Tänzen, vorzugsweise Ausdruckstanz. Dabei hält sie sich immer im Hintergrund der Tanzperformance an einem Tisch oder auch nur Zeichenpult auf und allein die Bewegung der Hand ist ihr wesentlich, darauf richtet sie die Kamera, falls sie ihre Intervention überhaupt dokumentiert. In dieser zurückhaltenden Weise entstehen lange Bahnen von Bewegungsabläufen, die sie direkt von den auftretenden Personen auf besondere Papiere überträgt. Die geschriebenen Chiffren wirken von Ferne gesehen zuerst wie ein archaisches Bildalphabet, erst langsam lassen sich die Kürzel für die menschlichen Figuren lesen. Das Ausufern eines Strichs steht dabei für eine Methode des Verlierens in einer Idee. Verschiedene malerisch-grafisch gemischte Techniken werden für diese halb bewussten und halb automatistischen Zeichnungen im Sinne der Surrealisten entwickelt, nachdem sie in den Achtzigerjahren die einmalige und schwierige Technik der Glasradierung für sich entdeckt hatte und davor mit Batiken und Malereien agierte. Sie bevorzugt als „Schreibinstrument“ die Bambusfeder mit chinesischer oder japanischer Tusche und benützt importiertes Himalaja-Papier aus Daphne- oder Loktapflanzen, das im Raum, aber auch auf Bäumen gehängt, einen besonderen Zauber mit Licht entfacht. Außerdem ergeben sich neben Naturweiß, Schwarz und Grau auch blaue und braune Färbung, die sie dann in kontrastierendem Weiß oder Schwarz der Tusche bezeichnet. Die Wirkung von Leichtigkeit der Werke erzeugt innerhalb von Mauern eine Art Schweben, sie hängt sie von der Decke und auf Stangen oder baut daraus zelthafte, bezeichnete Behausungen mit Lampen im Inneren. Die fotografisch festgehaltene Präsentation in der Natur ist zwar keine Land-Art, korrespondiert aber mit ihr, wie die Vorgangsweise parallel zum Tanz mit dem Aktionistischen. Energetischer Bewegungsfluss und Körpersprache zeichnen die einzelnen Figuren und Figurengruppen aus, das Tanzmoment und die bewusste Bewegung sind für sie ebenso wichtig wie soziale Komponenten innerhalb der Ausführung – so arbeitet sie z. B. auch mit Behinderten. Die Öffnung der Kunst in die neuen Medien Fotografie und Video nützte sie auch für die Dokumentation ihrer zahlreichen Workshops an Universitäten international – in ganz Europa, immer wieder der Türkei und auch schon mehrmals im fernen Osten. Nach Japan führte sie auch ein Staatstipendium des Bundes. Es ist Heuermanns Überzeugung, dass die Zukunft der Kunst in Asien liegt, dies lässt sie auch gegenüber typisch westlichen Strömungen auf Distanz treten. Das Reisen, für die jungen Künstlerinnen sozusagen unerlässliches Konzept, ist auch für sie von Anfang an nicht wegzudenken. Deshalb sind gerade die ersten performativen Aktivitäten der internationalen Aktionskunst, die japanische Gutai-Gruppe, für ihre synästhetischen Arbeiten mit von Bedeutung, genauso aber andere unbekannte Vertreter der World-Art, die wie sie an Grenzüberschreitungen interessiert sind und nicht angepasst an den Kunstmarkt wohnzimmergerechte Formate herstellen. Brigitte Borchhardt-Birbaumer

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Lore Heuermann
Auf der Höhe der Zeit ...

Kurator: Brigitte Borchhardt-Birbaumer