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Lost in America
10. September 2020 – 17. Januar 2021

Mit Lost in America präsentiert der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) eine Gruppenausstellung, die mit Werken US-amerikanischer Kunst seit 1937 bis heute den Blick auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in den USA schärft. Im Zentrum steht die Reflexion US-amerikanischer Geschichte sowie die Untersuchung jener Einflüsse und Entwicklungen, die die amerikanische Identität durch ihre spezifische nationale und politische Ökonomie geprägt haben – insbesondere die Institution der Sklaverei und ihr tragisches Erbe in Hinsicht auf die Kultur und das Alltagsleben. Die Auseinandersetzung mit dem Rassismus und seiner Eingebundenheit in eine neoliberale Agenda, die soziale Diskurse wie politische Entscheidungen wesentlich beeinflusst, ist eines der wesentlichen Themen der Ausstellung. Lost in America beschäftigt sich mit der ideologischen Formation von Produktionsverhältnissen, von Stadtplanung, Architektur und Design sowie der darüber erfolgenden Institutionalisierung diskriminierender Dispositive. Dabei unterstreicht sie nicht zuletzt das appellatorische Potential jener Form systemischer Sozialanalyse, die für konzeptuelle Kunstpraktiken konstitutiv ist.

Eindrücklich zeigt beispielweise die 1966 begonnene, als soziologische Studie angelegte Arbeit Homes for America von Dan Graham, wie Statistiken verwendet werden, um Wohlstand und Macht zu sichern. Für das Projekt kehrte Graham in seinen Heimatstaat New Jersey zurück und fotografierte dort Häuser in städti-schen Außenbezirken, in denen zwei auf Kartierungsprozessen basierende Strategien zum Einsatz kommen, die das soziale Bild vor Ort wesentlich beeinflussen: das sogenannte „Red-lining“, bei dem Banken den Bewohner*innen vornehmlicher Schwarzer und ethnisch durchmischter Viertel Hypotheken ver-weigern, sowie das „Gerrymandering“, bei dem Wahlkreise so angepasst werden, dass sie politisch genehm sind.

Auch Renée Green befasst sich mit der materiellen Dimension von Geschichte und legt dabei zugrunde-liegende Strukturen von Ausbeutung frei. Für Commemorative Toile: Suit (1994) appropriiert Green den im vorrevolutionären Frankreich des 18. Jahrhunderts beliebten bedruckten Stoff Toile-de-Jouy als Medium, wählt jedoch als Motiv anstatt der typischerweise benutzten Chinoiserien oder idyllischen Hirten-Darstel-lungen Szenen von Versklavung, Gewalttaten und Aufständen.

In Mike Kelleys Serie Reconstructed History (1989) werden Symbole der US-amerikanischen Nationalkultur wie Präsidentendarstellungen, die Freiheitsstatue oder das Kapitol vom Künstler mit obszönen Kritzeleien versehen, die die Abbildungen in eine sexuelle, gewalttätige oder fäkale Richtung lenken und damit eine karnevaleske Richtung verfolgen, die sich aus der Missachtung und Umkehrung von Machtverhältnissen speist. Die teils Geschichtsbüchern entnommenen Ursprungbilder werden als Vermittler historischer Autorität unterminiert und erinnern zudem an den sich in den 1980er und 1990er Jahren entwickelnden Diskurs der Political Correctness. Zahlreiche weitere Arbeiten in der Ausstellung – unter anderem von Martha Rosler, Jimmie Durham, Caitlin MacBride, Carver Audain, Jessica Vaughn, Sam Durant, Robert Venturi / Denise Scott Brown, Marisa Williamson sowie John Steuart Curry – markieren historische Ereignisse der US-Geschichte und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart. Darüber hinaus sind Michael Asher (mit einer Werkdokumentation), Ken Lum, Calla Henkel / Max Pitegoff (mit eigens für die Ausstellung produzierten neuen Arbeiten), sowie Jill Magid, Renée Green, Adrian Piper und Andrea Fraser vertreten. Im Zusammenspiel der versammelten künstlerischen Positionen bietet Lost in America Einblick in die soziale Konstruktion und ideologische Verfasstheit einer Gegenwart, deren Realität zu grundlegendem Wandel auffordert.

Künstler*innen: Michael Asher, Carver Audain, John Steuart Curry, Sam Durant, Jimmie Durham, Andrea Fraser, Dan Graham, Renée Green, Calla Henkel / Max Pitegoff, Mike Kelley, Caitlin MacBride, Jill Magid, Ken Lum, Adrian Piper, Martha Rosler, Cameron Rowland, Robert Venturi / Denise Scott Brown, Jessica Vaughn, Marisa Williamson

Kurator: John Miller

In Kooperation mit dem Museum im Bellpark, Kriens und dem Barnard College / Columbia University, New York