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Wenn vom Verhältnis des Menschen zur Natur und zur Tierwelt die Rede ist, spricht der Mensch letztlich von sich selbst und von seinen biologischen Wurzeln, die er auch in einer noch so verfeinerten Zivilisation nie hinter sich lassen kann.

Die Frage, inwieweit wir mit unserer animalischen Natur verbunden sind und was unser Dasein von dem der Tiere unterscheidet, eröffnet ein interpretatorisch nicht auszuschöpfendes Spannungsfeld. Selbst Insekten und andere, dem Menschen unähnliche Tiere bilden ein reichhaltiges Reservoir für metaphorische Vergleiche zum Verhalten von Individuen oder ganzen Gemeinschaften. Die Ausstellung Lost Paradise geht dieser Metaphorik in der Gegenwartskunst nach, lässt Urtiere bildnerisch wieder aufleben, erfindet Käfer, die sich in Geldstücke transformieren können oder verwandelt naturkundliche Archivalien in surreale Wunderkammern.

Sind wir aus einem ursprünglichen Naturzustand, etwa dem biblischen Paradies, in unser heutiges irdisches Jammertal hineingeraten, also vom guten Tier zum schlechten Menschen mutiert? Ist das Paradies ein Ort, auf den, wer kein allzu sündiges Leben geführt hat, wieder hoffen darf? Oder ist es ein Zustand, der unsere biologische und organische Existenz hinter sich lässt? Thomas von Aquin war der Überzeugung, dass nach der Auferstehung auch alle körperlichen Bedürfnisse, die Mensch und Tier gemein haben, wie Essen, Trinken, Schlafen und Sichtfortpflanzen, fehlen werden. Der Mensch habe als rein vergeistigte Seinsform gleichsam zu sich selbst gefunden.

Solange er seine irdische Existenz nicht verlassen hat, bleibt er jedoch der Tierwelt verbunden, nicht nur biologisch, auch metaphorisch. Vergleiche des Menschen mit Tieren werden dort gezogen, wo diese ihm äußerlich oder vom Lebensraum her am nächsten zu stehen scheinen. Die Tierphysiognomik von Jurgis Baltrusaitis stellt aus äußeren Ähnlichkeiten Parallelen zwischen menschlichen Charakteren und denen bestimmter Tierarten her. Während Hunde oder Katzen bei vielen Menschen Gefühle der Zuneigung auslösen können, erwecken Insekten häufig Abscheu und Ekel und man setzt sich selten für ihren Schutz ein. Dabei spielen sie für das Leben auf der Erde eine zentrale Rolle. Mark Dion wies darauf hin, dass die Insekten die überwältigende Mehrheit der Tiere dieses Planeten bilden. „Es ist deshalb eigentlich nicht das Zeitalter der Tiere, in dem wir leben, sondern das Zeitalter der Insekten.“

Die Ausstellung Lost Paradise geht dieser Zeitdiagnose Mark Dions nach, fragt aber auch nach den physiognomischen Wurzeln der dem Menschen unähnlichen Tierwelt und nach deren wechselhaften Interaktionen.

Der amerikanische Bildhauer und Zeichner Mark Dion widmet sich einer besonderen Archivarbeit. Als obsessiver Sammler sucht und findet er Gegenstände und Objekte aus der Natur, um sie wie ein Wissenschaftler in fiktiven Laboratorien und Archiven zu klassifizieren. In seinen Forschungsstätten finden tierische und pflanzliche Elemente ihren Platz. Ursprünglich Restaurator schafft Dion mit ausgestopften Tieren wie Gänsen und anderen Vögeln, die teilweise mit Teer übergossen sind, einen Kommentar zur Bedrohung der Umwelt und übt zugleich Kritik an unserem utilitaristischen Naturverständnis.

Der deutsche Fotograf und Videokünstler Stefan Panhans inszeniert kurze Filme, in denen es weniger um das Narrative als um das Bildhafte geht. Zwar weisen seine teils aufwendig gestalteten filmischen Arbeiten nachvollziehbare Inhalte auf, lassen jedoch die bei einem Film zu erwartende, zusammenhängende Handlung vermissen. Man kann beim Betrachten dieser Videos an „lebende Bilder“ denken, die um 1900 in der Fotografie so beliebt waren. Daran, dass diese Inszenierungen eminent zeitgenössisch sind, lässt der Autor dennoch keinen Zweifel. Seine Akteure sind oft Berühmtheiten aus dem Pop-Geschäft, der Kunstszene und der Modebranche, aber auch anonyme Jugendliche in zeitgemäßer, oft ausgefallener Kleidung. Rätselhaft und geheimnisvoll erscheint das Video If A Store Clerk Gave Me too Much Change, eine an die Verwandlung von Franz Kafka erinnernde Projektion, in der es um die Metamorphose eines Menschen geht, der sich als eine Raupe im roten Schlafsack vorfindet.

Die beiden russischen, in den Niederlanden lebenden Künstler Marta Volkova und Slava Shevelenko erzählen uns die Fabel einer besonderen Käferart, des „Tunguska Scarabeus“, der in der Lage ist, sich äußerlich in verschiedene Gegenstände seiner Umgebung zu verwandeln. So können die Käfer auch die Form von Geldstücken annehmen. Ihre Fähigkeit zur Imitation verfeinert sich zunehmend, so dass sie von echten Münzen immer schwerer zu unterscheiden sind. Die raumgreifende, großformatige Bildtafeln und zahlreiche keramische Objekte umfassende Installation "Aus dem Leben der Käfer" erscheint wie eine Verbindung von wissenschaftlichem Labor, Wunderkammer und naturhistorischem Museum.

Bei dem in Köln lebenden Maler Andreas Schulze spielen die Tiermotive eine scheinbar untergeordnete Rolle. Doch bereits in den frühen Bildern tauchen vereinzelt Rehe, Zebras, Giraffen oder Pferde als Bestandteile eines Kosmos von Dingen und Lebewesen auf, in dem paradiesische Zustände herrschen und in dem der Mensch nur stellvertretend anwesend ist. Blumen, Bäumen und anderen Pflanzen wird eine ähnliche, Unschuld vermutende Rolle zugewiesen. In diesem Eden geht von den Tieren keine Gefahr aus, zumal sie in den Bildern eher als Spielzeuge hervortreten. Auch seine tanzenden Kraken vor der Küste Siziliens verwandeln die Landschaft in eine surreale Szenerie, in der Tiere eine beseelte, sich selbst befreiende Rolle spielen.

Bei dem peruanischen, in Deutschland lebenden Künstler David Zink Yi taucht das Thema des Tieres im Zusammenhang mit einem Interesse am verborgenen Wesen der unterseeischen Kalmare auf. Diese in großen Tiefen der Ozeane lebenden Molusken sind bisher nie von Menschen gesehen worden, es sei denn als tote, am Ufer liegende Körper. David Zink Yis Intention ist es, diesen „Abfall der Natur“, wie er sagt, künstlerisch aufzuwerten. In der Werkgruppe Archetheutis evoziert er die toten, mächtigen Tiere nicht nur als Naturphänomene sondern erhebt ihre Leichen zu großartigen, aus glasierter Keramik geschaffenen Skulpturen. Deren opaleszierende Oberfläche, ergänzt durch die schwarze Tinte, mit der sich die Tiere zur Wehr setzen, deutet gleichsam auf den Bereich zwischen Leben und Tod, diesen Dauerzustand in der Natur.