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Lotte Maiwald
Das Gegenteil von Frieden ist die Waffe,
das Gegenteil der Waffe ist das Herz

31. März – 6. Mai, 2023 Sies + Höke, Düsseldorf

Ewige Themen anders gesehen

Es sind Fetzen der realen Welt, die da auf zusammengelegte, an die Wand befestigte, sich auf dem Boden ausbreitende oder zu Fahnen und Transparenten gestaltete Stoffe aufgemalt sind. So gesehen sind die Werke von Lotte Maiwald hybride Gebilde, die sich jeder klassischen Einordnung entziehen. Denn sie leben von der weichen Material- ausstrahlung der fließenden, oft an ihren Rändern zerfetzten und so Verletzlichkeit suggerierenden Stoffe. Das bringt sie in die Nähe der Stoffarbeiten etwa der Künstlerin Rosemary Mayer, jedoch nur in die Nähe, da Maiwalds Arbeiten sich nicht, wie die von Mayer, nur in der Materialwirkung erschöp- fen. Maiwalds Werke verbinden die Wirkung des Materials Stoff mit der Wirkung der auf sie aufgemalten Bilder. Sie gehen mit dem Stoff eine Einheit ein, die jedoch nicht frei von Widerspruch ist; auf der einen Seite das oft Ephemere, Unbeständige, Zerfranste der Stoffe, auf der anderen die oft harte Realität der gemalten Bilder. Diese von Widerspruch und Spannung geprägte Wirkung zeichnet die Werke Maiwalds aus, und wird weiter durch die Motive der aufgemalten Bilder gesteigert, so dass manchmal der Eindruck entsteht, unter ihrer Schwere werden die übereinander gelegten Stoffe gleich zusam- menfallen.

Doch was sind das für Bilder, die da die fließenden Stoffe malträtieren? Sie stehen stellvertretend für einen ganzen Kosmos, dem sie gnadenlos entrissen worden zu sein scheinen. Zum Beispiel das Bild der Hand. Sie kommt immer wieder vor. Sie schwebt, in einen Lederhandschuh gekleidet und zu einer Faust geformt, vor himmelblauem Hin- tergrund und zeigt einmal in die Tiefe, dann wieder nach unten (Handschuhgeste, 2022); sie erscheint hinter einer grün strahlenden Rasenfläche, als ob sie um Hilfe flehen wür- de, oder sie hält auf zwei elegant erhobenen Fingern eine Glasplatte, auf der zwei Box- handschuhe liegen (Wer verbirgt sich hinter der grünen Fläche? 2022).

Eine im leeren Raum, dem Kosmos, über dem dargestellten Geschehen schwebende Hand war ein fester Bestandteil der früh- christlichen Bilder. Sie war die Hand des Pantokrators, des Weltenherrschers. In Mai- walds Bildern ist es unmissverständlich die menschliche Hand. Doch was lenkt sie? Sie ist zur Faust geballt, dem Zeichen des Pro- testes, der in Gewalt umschlagen kann - wo- für die Boxhandschuhe stehen. Aber warum trägt sie Handschuhe? Und was bedeutet die flehende Hand? Als Aufforderung an den Menschen, in das Weltgeschehen einzu- greifen, wirken diese Bilder der einsamen menschlichen Hand vor einem grenzenlosen Hintergrund eher machtlos. Und wenn man an das Werk Hand gegen Handfeuerwaffe von 2022 denkt, das eine nach oben ge- richtete Faust im Lederhandschuh auf einem Sockel aus farbenfrohen Stoffresten von ebenfalls farbenfroh hängenden Fahnen um- rahmt zeigt, dann verfehlt dieses Bild einer Faust, die der Feuerwaffe trotzen will, nicht seine Wirkung; es provoziert wegen seiner Absurdität.

Und absurd, fast schon ein wenig bösartig, ist auch das Werk Hier Paintball, da tödliche Realität? von 2021. Diese auf eine Fahne gemalte Landschaft mit ockerfarbener Erde und einem blau strahlenden Himmel soll die tödliche Realität sein? Sie ist es so lange nicht, bis man genau an der Horizontlinie eine Schusswaffe entdeckt, die auf den Betrachtenden, die Betrachtende gerichtet ist. Und damit nicht genug, über der Waffe schwebt eine grüne Zielscheibe, die in der Mitte ein Schussloch hat. Wer schießt hier auf wen? Wer ist hier Opfer, wer Angreifer? Wer Angreiferin? Die liebenswerte Bös- artigkeit, mit der hier die Betrachtenden konfrontiert werden, ist genau kalkuliert und bringt Maiwald eher als in die Nähe der Surrealisten in die Nähe der Künstlerin Rosemarie Trockel, der es in ihren Werken immer wieder gelingt, ähnlich elegant und mit weiblicher Spitzfindigkeit einen Hauch von aufrüttelnder Bösartigkeit ins Spiel zu bringen.

Von ähnlicher Spitzfindigkeit sind auch die Bilder mit Tauben. Auch diese gehören zum eigenwilligen Kosmos der Künstlerin Mai- wald, die sich traut, dieses abgenutzte Zei- chen des Friedens wieder ins Bild zu brin- gen. Vor einem leuchtend roten Hintergrund hält eine Hand eine weiße Taube mit ausge- breiteten Flügeln. Die Taube scheint fliegen zu wollen, doch sie fliegt nicht weg. Taube im Griff heißt diese Arbeit von 2022. Und in einem weiteren Bild von 2020 mit dem Titel Taubenformation fliegen gleich fünf weiße Tauben vor dunkelblauem Hintergrund, der aus zusammengelegten blauen und schwar- zen Stofffetzen gebildet ist. Wegen der zer- fetzten Stoffstücke und ihrer dunklen Farben wirkt das so entstandene Gebilde eher bedrohlich, womit die Friedensbotschaft, die traditionell der weißen Taube zugeschrie- ben wird, wieder unterminiert wird und die Gesamtwirkung des Werkes ins Absurde abrutscht. Und genau dieser Augenblick des Umkippens ins Absurde rettet das an sich banale Werk, denn es verleiht ihm eine sich widersprechende Doppeldeutigkeit. Wobei dieses Vermögen, solch einen Augenblick geschickt zu inszenieren, von provozieren- dem Humor zeugt, der trotz der nicht immer angenehmen Botschaften ein Lächeln auf den Gesichtern der Betrachtenden herzau- bern und so eine kritische Distanz zu dem Dargestellten und schließlich auch zu sich selbst herstellen kann.

Um Frieden, Gewalt und um Hoffnung, aber auch um die Bedrohung der Erde, geht es in den Werken von Maiwald – ob durch Um- weltverschmutzung, auf welche die Darstel- lungen der Erde, umgeben von Weltraum- schrott, hindeuten, oder, wie in jüngster Zeit, durch den Krieg in Europa, auf den zum Beispiel das 2023 entstandene Bild ... am Strand entlang rennen... hinweist, das ein am Strand laufendes Mädchen zeigt, über dessen Kopf ein wie ein harmloses Insekt wirkender Helikopter vor einem kristallkla- ren Himmel fliegt. Also um ewige Themen, deren Darstellung leicht ins Plakative ab- rutschen kann. Doch gerade das zeichnet diese Künstlerin aus, ihre Bilder werden nie plakativ. Denn das Widersprüchliche und Doppeldeutige, das sich im Augenblick des Umkippens ins Absurde offenbart, verleiht den Werken etwas Provozierendes. Etwas, das sich immer wieder jedem Zugriff wie auch jedem Versuch entzieht, das Ge- sehene auf das Vertraute zurückzuführen. Dadurch werden die Werke von Maiwald zu einem Katalysator einer ein wenig anderen und doch wieder derselben Sichtweise auf diese ewigen Themen.

Noemi Smolik