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Filmprogramm an drei Abenden Mach´s mit. zusammengestellt von Madeleine Bernstorff

Mach’s mit: mit vier Filmen an drei Abenden möchte Madeleine Bernstorff anhand dieser explizit fröhlichen Aufforderung die Teilnahme an vereinnahmenden Prozessen zur Diskussion stellen. Die Filme schweifen ein wenig ab, treffen aber umso mehr mitten in das strittige Projekt der Unvereinnahmbarkeit. Sie thematisieren außerdem auf sehr eigene Weise das Soziale und die immer skrupelloseren Angriffe darauf. Die reflexive, vom direct cinema abgeleitete Beobachtung der Model- und Werbeindustrie von Frederick Wisemans «Model» (1980) untersucht die Arbeit am «guten Aus sehen,» und die Intervention «Glückwünsche » der Gruppe MeineAkademie an der VW(=Volkswagen)-Bibliothek parodiert die affirmative Imagepolitik des Corporate-Umbaus der Universitäten im Jahr 2006. Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert erarbeiten mit ihrem Film «Schuldnerberichte» (2002) eine radikale Bestandsaufnahme privater Krisen in neoliberal durchwachsenen Sozialverhältnissen und mit «Malerei Heute» (2005) eine malerisch-filmisch vermittelte Zusammenschau von Werbesprache und Regierungspolitik.

16. April, 18.30 Uhr Model Frederick Wiseman, USA, 1980, 129 Min., DVD

Frederick Wiseman erlaubt seinen ZuschauerInnen den Prozess der mitdenkenden Gewahrwerdung falscher Verhältnisse, er lässt uns wachsam einsinken in die Dialektik von Institution und Individuum. Seine dokumentarische Methode behauptet keinen spekulativ-autoritären Authentizitätskitsch, seine durch sorgfältige Montage strukturierten «reality fictions» sind Sozialgeschichte und Alltagskritik der besonderen Art. Der Film «Model» entstand gleichzeitig mit der Konsolidierung des in Pinochets Chile getesteten neoliberalen Modells der Reagan-Zeit und ist am Beispiel der Werbeindustrie schon sehr frühzeitig dem Zwang zu kaufen und sich zu verkaufen, der Kommodifizierung von «Persönlichkeit», auf der Spur. Gleichzeitig ist Wiseman mit diesem Film selbstreflexiv wie selten und untersucht filmische und fotografische Methoden der Bedeutungsproduktion – seine eigenen genauso wie die der Kultur- und WerbeproduzentInnen, deren Arbeit er beobachtet.

Vorfilm: Glückwünsche MeineAkademie, D, 2006, 13 Min., DVD

Eine ungebetene Jubiläumsfeier zum ersten Geburtstag der «Volkswagen Universitätsbibliothek» in Berlin. Die agierende Gruppe schlüpft in die Identität einer imaginären Organisation und befragt Studierende zu den Investitionen des Autoherstellers in die Universität.

14. Mai, 18.30 Uhr Gast: Stefan Hayn Schuldnerberichte – Privatverschuldung in Berlin Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert Kamera: Bernadette Paassen Ton/Musik: Klaus Barm D, 2002, 35mm, 88 Min.

Schuldnerberater und Wissenschaftler, die sich mit dem Anstieg der Privatverschuldung befassen, erklären, dass am Anfang fast jeder «Verschuldungskarriere» eine persönliche Krise stehe.

Arbeitsplatzverlust, Krankheit und Scheidung werden immer wieder als Beispiele angeführt. Der Film untersucht die gesellschaftlichen Veränderungen, die den Rahmen für die privaten Krisen abgeben. Auf der Grundlage von anonymisierten Interviews werden sieben Verschuldungsgeschichten unterschiedlich filmisch inszeniert und ins Verhältnis gesetzt zu Gesprächen mit beruflich mit Privatverschuldung befassten Personen. Die Protagonisten der Schuldnerberichte sind: ein Journalist, eine allein erziehende Mutter, ein Rentner und ein Malermeister aus Westberlin, ein Computerfachmann und eine Wirtschaftskauffrau aus Ostberlin und ein Spielsüchtiger.

Zur Frage des Dokumentarischen: Der Film verweigert das Aufspüren und Ins-Bild-Setzen repräsentativer Authentizität genauso wie die Fiktionalisierung des dokumentarischen Materials. Er richtet sich in Form und Inhalt gegen den Neoliberalismus, d.h. gegen «die Metapher für die Tatsache, dass es einer relativ kleinen Gruppe von Kapitaleignern gelingt, zum Zwecke der persönlichen Profitmaximierung möglichst weite Teile des gesellschaftlichen Lebens zu kontrollieren.» (S.H. + A-CH.R.)

28. Mai, 18.30 Uhr Gast: Stefan Hayn Malerei Heute Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert Kamera: Bernadette Paassen Ton: Klaus Barm, Katja Neppert Musik: Klaus Barm D, 2005, 35mm, 61 Min.

156 Aquarelle von Werbe- und Wahlplakaten in der Berliner Stadtlandschaft von 1998 bis 2004, filmisch reproduziert, mit Texten (gesprochen von einer Frau und zwei Männern), Musik, Gesichtern und Orten.

«Malerei Heute» reagiert auf zarteste Weise (mit Aquarellen) auf die extrem rigorose Propaganda der Werbetafeln: rigoros weil all diese aufwändig und teuer produzierten Bilder nur aufs Verkaufen abzielen. Unser Film versucht im Gegensatz dazu auf so viele verschiedene Arten wie möglich, zu sehen, zu fühlen und zu denken, wie sich ein Bild produzieren oder sehen lässt. Der Film macht einen notwendigen Umweg, indem er das ‹in adäquate› Mittel der Aquarelle benutzt, die später auf der Zeitachse des Films reproduziert werden. Ein Kritiker hat geschrieben, dass die neoliberalen Transformationen, die von der Sozialdemokratie unter Schröder initiiert wurden, diese besondere Form der Dokumentation brauchen um den reaktionären Prozess in all seiner versteckten Langsamkeit und seinem überwältigenden Potential zu zeigen.» (Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert, Journal FIDMarseille 7/06)

«(Der Film) setzt das Private, den Arbeitsalltag des Filmemachers, die Geld arbeit in eine Beziehung zu den großen ökonomischen Entwicklungen, die Zufälligkeiten auf der Straße in einen gesellschaftlichen Zusammenhang, die Arbeit des Bildermachens zum allgegenwärtigen Terror des Visuellen ins Verhältnis.»

Texte: Madeleine Bernstorff, Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert, MeineAkademie

Anja-Christin Remmert geboren 1970 in Königs Wusterhausen. 1992–1997 Studium Dokumentarfilmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seit 2000 Zusammenarbeit mit Stefan Hayn. Filme: «Zwischenzeit» (1995), «Gesta» (1997/99), «Im Leben Bleiben» (1998).

Stefan Hayn geboren 1965 in Rothenburg ob der Tauber. Malerei- und Filmstudium and der HdK Berlin, Klasse Rebecca Horn. 1995-98 Projektstudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seit 1989 Veröffentlichung von Filmen, Texten, Malerei und Zeichnung. Filme u.a. «Schwulenfilm» (1989), «Tuntenfilm» (1990), «Pissen» (1990), «Klassenkampf in Amerika» (1993), «Ein Film über den Arbeiter» (1997/98), mit Anja-Christin Remmert: u.a. «Gespräche mit Schülern und Lehrern (2000), «Schuldnerberichte » (2002), «Das heiße Eisen» (2005), «Malerei Heute» (2005), «Als Landwirt» (2007).

Frederick Wiseman geboren 1935 in Boston, Massachussetts/USA. 1964 Produktion von «The Cool World» von Shirley Clarke, seit 1967 über 30 Dokumentarfilme über (amerikanische) Institutionen, darunter «Titicut Follies» (1967), «High School» (1967), «Welfare» (1975), «Sinai Field Mission» (1978), «Near Death» (1989), «Public Housing» (1997), «State Legislature» (2007).

MeineAkademie bildete sich als politische und künstlerische Gruppe in Reaktion auf die Eröffnung der Volkswagen Universitätsbibliothek der Technischen Universität und der Universität der Künste Berlin im Dezember 2004. Zu diesem Anlass sammelten wir Informationen und intervenierten als freundliche AufklärerInnen im Volkswagen-Look. Seitdem recherchierte Meine Akademie zu den ökonomischen und politischen Hintergründen, die zu dieser Public-Private - Partnership geführt haben. (www.jackie-inhalt.net/meineakademie/index.html)

Madeleine Bernstorff geboren 1956 in München. Arbeitet als Filmkuratorin, Super8-Filmerin, Rechercheurin. Lehrende an Kunsthochschulen und Universitäten u.a. in Berlin, Braunschweig und Wien. Einzel- und Gruppenprojekte in wechselnden Konstellationen.

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Mach’s mit.
Filmprogramm, 16. April, 18.30 Uhr
Kurator: Madeleine Bernstorff

Künstler: Frederick Wiseman, MeineAkademie , Stefan Hayn, Anja-Christin Remmert