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Die niederländische Künstlerin Manon de Boer arbeitet vorwiegend mit dem Medium Film. Das Medium selbst ist auch Gegenstand ihrer künstlerischen Auseinandersetzung, wenn de Boer beispielsweise das Verhältnis von Bild und Ton immer wieder neu auslotet und dabei die Macht der Bilder und deren Wahrheitsanspruch hinterfragt. Die persönliche Erzählung dient de Boer ebenso wie die musikalische Interpretation als Gegenstand und Methode ihrer filmischen Porträts. Diese sind als langsam fließende Bilderfolgen komponiert. Die Protagonisten ihrer Filme sind meist SchauspielerInnen, MusikerInnen, TänzerInnen und Intellektuelle. Die Figuren selbst nehmen erst im Lauf ihrer Erinnerungen Form an, kommen wie Fotoabzüge in der Dunkelkammer nur allmählich zum Vorschein, und auch dann bleibt mindestens so viel verborgen wie preisgegeben wird.

In einer Reihe von Arbeiten erkundet de Boer das Wesen der Erinnerung: Sie filmt Menschen, die von früheren Erlebnissen und Erfahrungen berichten. Dazu zeichnet sie oft mehrere Sitzungen über einen längeren Zeitraum hinweg auf. Dabei gibt es immer wieder Abweichungen, unterschiedlich erinnerte Versionen einer Geschichte. Diese Flexibilität des Erinnerungsvermögens – man könnte es auch als Brüchigkeit oder Inkonsistenz in der Narration bezeichnen – ist für die Künstlerin nicht nur ein Mittel, das die wandelbare Beziehung von Zeit und Sprache verdeutlicht. Sie rückt auch die jeweils situationsbedingte Wahrnehmung und deren Veränderlichkeit in den Mittelpunkt. Das Voice-over des Erzählers/der Erzählerin erzeugt zugleich eine eigene Ebene, die sich von der körperlichen Präsenz des oder der Dargestellten emanzipiert hat.

In der Secession wird Manon de Boer ihren neuen Film An Experiment in Leisure (2016) vorstellen. Die Schriften der britischen Psychoanalytikerin Marion Milner (1990–1998) und insbesondere das titelgebende, 1950 veröffentlichte Buch dienen als Ausgangspunkt für den Film wie auch für de Boers Künstlerbuch Trails and Traces, das begleitend zur Ausstellung erscheint. Für An Experiment in Leisure bat de Boer KünstlerInnen, TänzerInnen, SchauspielerInnen und KunsthistorikerInnen, sich mit Milners Ideen auseinanderzusetzen. Bruchstücke dieser Gespräche unterbrechen die Stille einer weiten leeren Landschaft, die als Hintergrund dient.

Das wachsende Interesse der Künstlerin an den Voraussetzungen von Kreativität spiegelt sich in ihren letzten Projekten wider, die sich auf die eine oder andere Weise mit Wiederholung, Rhythmus, Träumerei und der Wahrnehmung von (endloser) Zeit und (raumlosem) Raum auseinandersetzen – und mit der Vorstellung, sich den Kopf radikal freizumachen. In der Secession zu sehen ist eine kleine Auswahl von Filmen zu diesem Thema, darunter die kürzlich fertiggestellten und noch nie gezeigten ‚Filmskizzen‘ The Untroubled Mind (2013–2016) und die 16-mm-Filminstallation Maud Capturing the Light ‚On a Clear Day‘ (2015). Für diese Arbeit bat Manon de Boer eine Sammlerin, die in ihrem Besitz befindlichen Arbeiten von Agnes Martin jedes Mal zu filmen, wenn sie diese anschaute. Die Bilder, die in einem Flur hängen, erscheinen durch das vom gegenüberliegenden Fenster hereinströmende Licht immer wieder anders und das Licht- und Schattenspiel kreiert im Film einen eigenen Rhythmus.