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Gegenwartsgebundene Klassik

Über zwei Geschoßen von gedrückten Rundbögen springt eine Glasfront hervor. Wie bei einem in die Länge gezogenen Erker belebt der zierliche Bauteil die Fassade. Jeweils ein Fensterpaar wird von schmalen Lisenen unterbrochen. Das Gebäude, das wegen seiner Eisenarmierungen im Volksmund »Eisernes Haus« getauft wurde, zeigt die typischen Stil- und Stoffmerkmale des industriellen Zeitalters. Das Glas steht für Durchsichtigkeit und Funktionalität, seine schlanken Gusseisenfassungen für modernen Zweckbau. Allerdings werden die Metallteile zeittypisch mit antikischen Ornamenten verknüpft; – wie der Zahnschnitt am Gebälk des Gebäudes gut erkennen lässt. Das Neue erscheint im Zeitalter des Historismus im Stilgewand des Alten. Progressivität umgibt sich mit der Schale des Überlieferungskults, Fortschrittseifer verdankt sich einer konservativen Traditionsverpflichtung. Das Gebäude, in dem heute der Ausstellungsraum von Camera Austria untergebracht ist, war nach seiner Erbauung in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Café, später bis zu seiner jetzigen Nutzung ein Warenhaus. Margherita Spiluttini hat das Gebäude in seinem heutigen Zustand zweimal von der Murseite aus fotografiert. In diesen Aufnahmen ist die mächtige Blase gut zu sehen, die heute beliebte Sightseeing Attraktion (und auch Touristenmotiv) ist und der für Besucher zugängliche Korridor der Aussichtsplattform darüber. In den Fotografien von Spiluttini wird deutlich, wie die beiden Bauteile, die Cook und Fournier für das neue Kunsthaus planten, jeweils unterschiedlich auf das Vorhandene reagieren. Es ist nicht nur ihre konstruktive bzw. amorphe Gestalt, sondern auch die Interpretation des Bestehenden, die sie kontrapunktisch wirken lässt. Während der vorspringende Korridor auf die Glasfront und Fassadenrhythmik des »Eisernen Hauses« Bezug nimmt, scheint der Expansionsdruck der Blase darunter das alte Gebäude zu marginalisieren. Die filigrane Erkerfassade der historischen Eisen-Glas-Konstruktion wirkt vom geblähten Noppenbauch der Medienfassade wie erdrückt. Margherita Spiluttini stellt ihre Bilder nun in den Räumen von Camera Austria aus. Folglich haben wir es mit einer Doppelstruktur zu tun, indem diese Aufnahme das Gebäude zeigt, indem es sich befindet. Dennoch wäre es falsch, von einem »in-situ«-Werk zu sprechen. Vielmehr geht es um das »Zusammentreffen des Alten und Neuen« (Spiluttini). In verschiedenen Serien sind An-, Ein- und Zubauten zu sehen. Das Cartoon-Museum in Basel zum Beispiel, (Foto von 1996) errichtet von den Architekten Herzog & de Meuron zeigt unter einem Glaskubus einen bestehenden Lichthof, an dem das Wasser vom Dachsims in grafischen Drainagen Richtung Boden träufelt.

Spiluttini ist unbestritten die Expertin gegenwärtiger Architekturfotografie. Die Anfänge der in Wien lebenden Fotografin datieren zurück auf Erfahrungen während der ersten Fotosymposien von Camera Austria, damals noch im Forum Stadtpark, einem Pavillon, der ebenfalls in Nachbarschaft zu einem historistischen Brunnen errichtet wurde. Spiluttini arbeitet im Auftrag. Ihren Namen machte sie sich durch Dokumentationen unter anderem von Hermann Czech, Rüdiger Lainer, Herzog & de Meuron, Heinz Tesar, Zaha Hadid ebenso wie Arbeiten der Teams von ARTEC, Eichinger oder Knechtl, henke und schreieck Architekten, lichtblau.wagner, Katzberger + Bily oder propeller z. Ihr Kennzeichen ist eine äußerst prä- zise Aufnahmetechnik. Tiefenschärfe, minutiöse Blickführungen und kühle Perspektiven wirken einprägsam. Nachhaltige Wirkung erzeugen die Bilder zudem durch die Gegenwart einer stillen Leere. Gefühle von Betriebsamkeit und Belebung kommen nie, von Benutzung und Gebrauchsfähigkeit selten auf. Es geht um das »pure Bauen« (Spiluttini). Und doch betont die Fotografin das Persönliche im Aufnahmeverfahren. Dies ist vor allem der Technik der Plattenkamera geschuldet, die den Ausschnitt nur lichtschwach, auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt zeigt. »Das schwarze Tuch über Kopf und Kamera, das die Sicht auf die Mattscheibe erleichtern soll, fördert eine Art Intimität zwischen mir und dem verkehrten Wirklichkeitsausschnitt, die die Konzentration auf die zweidimensionale Abbildhaftigkeit dessen, was vor mir ist, stark intensiviert.« Das Ergebnis dieses konzentrierten Sehens ist eine sichtbare Eleganz. Es ist, als könnten Altbestand und heutiges Bauen unter dem methodenstrengen Blick des Fotos zu einer Art gemeinsamer Zeitlosigkeit gefrieren, zu einer Art gegenwartsgebundener Klassik. Denn in den wohlproportionierten Aufnahmen schmelzen die Zeitebenen zu höchster Auflösungspräzision zusammen. Fortschritt und Fortbestand, Neuartiges und Überliefertes, Zweckbau und Denkmal werden zeitgleich gegenwärtig. Bauten und Räume werden in einer Verfasstheit festgehalten, die nur das Bild ermöglicht, das nicht altert, weil es nicht bewohnt und benutzt werden kann. Denn es ist das Foto, das einen bestimmten Moment der Gegenwart unbekümmert von seiner geschichtlichen Bewertung verzeichnet. Zugleich ist dieser Moment der Gegenwart ein dokumentarischer Zustandsbefund des Jetzt, ein Blick auf das Jetzt »as found«. Spiluttini zeigt sich in diesem Sinne als eine sensible Chronistin der Zeitverzahnung und agiert dafür – wie sie selbst betont – in Anlehnung an den Geist von Peter und Alison Smithson, die als Architekten gegen die Zurechtmachung des Alten plädierten, hingegen für eine »radikale Zurkenntnisnahme des Vorgefundenen« (Spiluttini).

Um das Bewusstsein von Fotografiertem und Fotografierenden, von architektonischer Raumbildung und fotografischem Sehakt zu vertiefen, lässt Spiluttini in den Räumen der Camera Austria ein verspiegeltes Wandelement errichten. Der Betrachter, der die Ausstellungsräume betritt, sieht im Inneren den Blick nach draußen wie in einer medialen Live-Übertragung wiederholt. Selbstreflexion wird buchstäblich. Zugleich ist der Einbau eine Referenz auf Bilder wie je- nes von »Helvetia Patria«, (2003) ein Foto eines Gebäudes in einem Garten in St. Gallen, ebenfalls von Herzog & de Meuron. Die Fassade ist von rechtwinkeligen Fenstern durchsetzt, die jeweils flache Verschiebungen aufweisen. Die umliegenden Gebäude und damit alter Baubestand spiegeln sich wie in einem riesenhaften Mosaik. Ei- nen ähnlichen Effekt erzielt die verspiegelte Wand, denn auch sie ist schräg zur Raumachse positioniert, Außenwelt und der Rhythmus der Fensterfront des »Eisernen Hauses« erscheinen in schräger, surrealer Verzerrung. Je nach Lichtsituation wird entweder das Außenbild, die gegenüberliegende Häuserfront, oder die Innenansicht, die sich spiegelnden Fensterscheiben auf dem inneren Wandelement wiederholt. Damit werden nicht nur die Auseinandersetzung mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft, sondern auch die wesentlichen Kriterien des fotografischen Prozesses im Raum sichtbar installiert: Ohne Licht und Dunkelheit gibt es keine fotografische Aufzeichnung. Ohne den schrägen Spiegel, der im Augenblick der Aufnahme in der Apparatur reflexartig kippt, gibt es kein überzeugendes fotografisches Bild.

Thomas D. Trummer

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Margherita Spiluttini
und dann (reframing architecture)