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MARIANNE STROBL 1865-1917
Industrie-Fotografin in Wien
19.09.2019 - 08.03.2020

Marianne Strobl (1865-1917), die selbstbewusste Frau und Fotografin, die nicht wie viele ihrer Berufskolleginnen als Portraitfotografin im Atelier ihr Geld verdienen wollte, hat ein fotografisches Werk hinterlassen, das für die Fotografie-Geschichte ein Glücksfall darstellt. Sie war zwischen 1894 und 1917 auf Großbaustellen und in Industriebetrieben unterwegs und wird wohl nicht zu Unrecht als »erste Industriefotografin« der k.u.k. Monarchie bezeichnet.

Die Kenntnisse über ihr Leben sind nur sehr spärlich: Sehr wahrscheinlich hat sich Marianne Strobl im exklusiven »Club der Amateur-Photographen in Wien«, zu dem sie vermutlich über ihren Mann, den Vermessungstechniker Josef Strobl, Zugang hatte, die notwendigen Kenntnisse im Umgang mit dem Fotoapparat, den Fotoplatten und den Geheimnissen der Dunkelkammer angeeignet. Eine Ausbildung an der 1888 gegründeten »K.K. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproductionsverfahren in Wien« war ihr noch nicht möglich, weil Frauen erst 1908 Zugang zu der Wiener Ausbildungsstätte hatten.

Die Zeit war geprägt von Technik und Industrie, vom Ausbau des Eisenbahnnetzes und der Errichtung von Fabriken, vom Brückenbau, Kanalanlagen und Eisenkonstruktionen. Das war für Marianne Strobl der Anstoß, sich von Anfang an auf die Dokumentation derartiger großer Stadtbau- und Industrie-Anlagen zu spezialisieren. Das Fotografieren derartiger Großbaustellen bedeutete damals, eine hochkomplizierte Technik zu beherrschen: nicht zuletzt unterwegs in unwegsamem Gelände den Umgang mit der großformatigen Holz-Kamera, dem Stativ und den schwere Glasplatten zu handhaben und schließlich die langwierige, vom Tageslicht abhängige Entwicklung der Glasplatten zu beherrschen.

Mit schwerer Kameraausrüstung stieg Marianne Strobl um 1900 für ihre Auftraggeber in die Kanalisation, fotografierte mit ihrem Blitzlicht-Equipment und den großen Glasplatten auch die geologisch einmaligen Ötscherhöhlen in Niederösterreich und begleitete über Jahre die Errichtung des Gaswerks Wien-Leopoldau. Nicht zuletzt führte sie auch Regie über alle männlichen Mitarbeiter vor Ort.

Strobls Spezialisierung in diesem Metier war ihre persönliche Strategie, um auf dem extrem umkämpften Wiener Fotografie-Markt um 1900 konkurrieren zu können. Laut Firmenstempel nannte sie sich »Industrie-Photograph« und zeichnete ihre Fotografien im markanten roten Schriftzug »M. Strobl«.

Ihren ersten Großauftrag hat sie in einer Mappe präsentiert: »Typen der Landfuhrwerke der Österr.- Ungar. Monarchie aus der Internationalen Ausstellung für Volksernährung, Armeeverpflegung, Rettungswesen und Verkehrsmittel, Wien-Rotunde 1894«. Es sind 95 Albuminabzüge mit einem ausführlich erläuternden Begleitheft zu Nützlichkeit und Beschaffenheit der Fuhrwerke, wie z.B. die Achsenaufhängung, die Robustheit, den Wendekreis sowie die Korb- und Holz- Aufsätze. Dafür interessierte sich besonders die Militärbehörde für den Fall einer Mobilmachung. Sehr erstaunlich bleibt es, dass ein solcher Auftrag einer Fotografin angetragen wurde.

Strobl fotografierte 1895 die Angestellten des Nobelhotels Meißl & Schadn bei allen ihren Tätigkeiten im Auftrag der Belegschaft, die das Album mit 21 Aufnahmen dann dem Chef als Präsent überreicht hat.

Auch den Auftrag, das “Silbererschlössl“ im Semmering, eine Art Neuschwanstein in Kleinformat und Wohnsitz des Journalisten, Verlegers und Luftfahrtpioniers, Victor Silberer, zu fotografieren, ließ sie sich nicht entgehen.

Schließlich etablierte sie sich vor allem als Spezialistin für Blitzlicht-Fotografie: Sie begleitete 1901 eine Expedition in die Ötscherhöhlen in Niederösterreich, in denen sie sich mit schwerem Equipment aus Kamera- und Blitzlichtausrüstung durch enge Zugänge und Stollen zwängen musste. Aus ihrer Hand sind nie zuvor gesehene Aufnahmen von dem Berginneren entstanden.

Strobl hat in sachlicher, brillant ausgeführter Technik das fortschrittliche Bauwesen in Wien um 1900 dokumentiert: seien es die Betonanlagen der Wiener Kanalisation, die Stahlkonstruktionen der Gaswerke in Wien-Simmering und Leopoldau, die Wiener Schufabrik in der Kaiserstraße,der Neubau des Reichskriegsministeriums oder auch die Weinkellerei »Franz Leibenfrost & Co.«.

Verbreitung fanden ihre Aufnahmen in sogenannten Image-Katalogen der Firmen oder auch in den zahlreichen Fachzeitschriften der Zeit. Fotografien und Dokumente von ihr befinden sich, wie wir erst durch die Identifizierung des Schriftzugs als Marianne Strobl wissen, in mehreren österreichischen Archiven und Museen.

Für die Geschichte der frühen Industriefotografie bedeuten Leben und Schaffen dieser Fotografin eine Sensation. Anhand von 60 Schwarz-Weiß-Fotografien aus Österreichischen Sammlungen, von Alben und Dokumenten in Vitrinen, bietet die Ausstellung im Verborgenen Museum in Berlin die Gelegenheit, die Fotopionierin aus der Zeit um 1900 auch außerhalb Wiens kennenzulernen.

Die österreichische Fotografin Marianne Strobl wurde 2017 für das Photoinstitut Bonartes, Wien, wiederentdeckt und von der Kuratorin Ulrike Matzer in einer ersten Schau präsentiert.

Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Photoinstitut Bonartes, Wien