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In den nächsten Jahren wird auf dem Gelände des ehemaligen Böblinger Flughafens eine riesige Shopping-Mall mit Büro-Komplex und eventuell Oldtimer-Museum entstehen. Die Spuren der Vergangenheit werden dadurch weitestgehend beseitigt, und die Neugestaltung wird von Investoren bestimmt. Höchste Zeit für eine künstlerische Aufarbeitung der Flugfeld-Geschichte. Marinus van Aalst wird mit seiner Rauminstallation "Paletten" im Alten Maichinger Rathaus (Eröffnung: 2.4., 11:30 Uhr, Ausstellung bis 23.4., Sa, So 11-16 Uhr) an vergangene Zeiten erinnern.

Der in Böblingen lebende Künstler hat das Gelände bereits in den Jahren 2000 und 2001 intensiv nach Relikten abgesucht, die aufgrund ihrer sichtbaren Gebrauchsspuren individuelle Geschichten von der einstigen Nutzung, von Krieg und Frieden, von Herrschaft und Zwangsarbeit, von Lust und Leid erzählen. Für Maichingen verlassen diese Exponate erstmals das "Archiv A30" (Marinus van Aalst wohnt in der Achalmstraße 30).

Auf hölzerne, 13 mal 17 Zentimeter große Paletten im Alten Maichinger Rathaus aufgebahrt, changieren die Exponate zwischen transportablem Gemeingut, wissenschaftlicher Dokumentation und individueller Mythologie. Mit verrostetem Draht zum Päckchen gebundene, verwitterte Briefumschläge, Schreibmaschinen-Durchschlagpapiere, durchlöcherte Leinen-Säcke, Rosshaar-Decken und Bruchstücke von Munitionskisten und zerbro-chenen Ziegelsteinen gehen mit den präsentierten persönlichen Gedanken und Erinnerungen von Marinus van Aalst eine poetische Verbindung ein.

An jedem, auf Stahlstiften frei in den Raum ragenden Fundstück ist - wie an offiziellen Fundsachen oder auch an den Toten in der Leichenhalle - ein Schildchen mit den Angaben zum Fundort und dem Funddatum befestigt. Im Gang der Galerie hängen zwischen alte Fensterscheiben eingeschlossene Fotografien der inzwischen abgerissen Gebäude, teils mit Zahlen oder einem roten Kreuz markiert und somit als Todeskandidaten markiert, zum Abriss freigegeben.

Die "ärmlichen" Materialien, die ebenso morbide wie poetische Atmosphäre und die düstere Beleuchtung rufen Erinnerungen an Katakomben, aber auch an Installationen von Christian Boltanski und Joseph Beuys wach. "Ein Kunstwerk muss eine gewisse Undefiniertheit haben, damit jeder daran seine eigene Geschichten, seine eigenen Erinnerungen festmachen kann", steht auf einer Seite aus van Aalsts Notizblock, die vor einem der Exponate hängt. Die Offenheit der Exponate lässt bei den Besuchern eine Vielzahl an Gefühlen und Assozi-ationen zu - abhängig von deren Erfahrungen und momentanen Stimmungen.

Eine besondere, emotionale Aufladung bekommen die Exponate durch die Tatsache, dass Marinus van Aalsts heute 86-jähriger Vater in den Jahren 1942 bis 1945 als Zwangsarbeiter im Böblinger Flughafen arbeitete und somit einen Teil der Exponate theoretisch selbst in der Hand gehalten hat. Das Projekt "Paletten" ist mehrere Jahre im Kopf von Marinus van Aalst gereift. Ausgangspunkt war eine Fotodokumentation und ein vom Künstler bei der Stadt vorgelegtes Nutzungskonzept zur Erhaltung und kulturellen Nutzung der ehemaligen Lager-, Instandsetzungs- und Empfangshallen. "Mich interessiert das Liegengelassene, das Unerkannte, das in seiner Armut eine Schönheit erlangt", ist auf einer anderen Notizblock-Seite zu lesen. Marinus van Aalst Kunst regt nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Diskutieren an.

Marko Schacher

Pressetext

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Marinus van Aalst
Ort: Galerie der Stadt Sindelfingen im Alten Rathaus Maichingen