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Niemand in der Kunst setzt den Computer so ein wie Marsha Cottrell. Die in New York lebende Künstlerin zeigt in ihrer ersten Einzelausstellung in der Petra Rinck Galerie Zeichnungen in unterschiedlichen Formaten. Angefangen hat sie als Malerin, doch inspiriert durch die Arbeit, in der Produktionsabteilung einer Zeitschrift und den Umgang mit Typografie begann sie mit Punkten, Kommata, Klammern und anderen typografischen Kleinstzeichen zu arbeiten. Der reichhaltige, nonlineare Funktionenbestand eines Seitenlayoutprogramms, – seine Schichtungen, Gruppierungen und Hierarchien, seine „Cut-and-paste“-Vorgänge, seine Speicherzustände – sollte in Zukunft Cottrells rein visuelle Argumentationsweise den Gegeneinsatz liefern. Dieses Ursprungsprogramm trug den passenden Namen „Quark“: unbeabsichtigt, doch durchaus im Einklang mit seinem tieferen Wesen bot es Cottrell die Möglichkeit, Text in seine grafischen Grundelemente zu zertrümmern.

Um die Datenmengen in einem einzigen Ausdruck gipfeln zu lassen begann sie mit dem Feuereifer eines traditionellen Druckers den Desctop–Laserprinter zu erforschen. Dabei testete sie nicht nur verschiedene Papiersorten, sondern auch Mehrfachdrucke, ganz leicht verschobene Ausdrucke ein und derselben Ursprungsdatei, oder auch einer ganz leicht veränderten Datei, was zu kontrollierten Verwischungs- und Moiré-Effekten führen kann, ganz zu schweigen von den dichteren Schwarztönen, die möglich werden; zusammengeklebte Bildfelder aus Ausdrucken in Standardgrößen, mit deren Hilfe sich ihre Dateien auf Bildanordnungen in der Größe von Kinoleinwänden bringen lassen; bisweilen mit hinzugefügten, durchscheinenden Farbschichten; außerdem mit nach dem Druck geschaffenen Falzungen und Knitterungen, die beim Auftragen des Toners entlang der Falzungen weiße Linien in die schwarzen Felder einschreiben, was eine Art Negativzeichnung entstehen lässt.

Cottrells neue Werkgruppe fungiert als Testfläche für diese Techniken, im Laufe des Entwicklungsprozesses haben sich die Bilder verändert. Die neuen, im eigenen Atelier gedruckten Werke stehen nach Farbe und Temperament in einem Gegensatz. Unzählige, winzige weiße Flecken, Striche und sphärische Vibrationen, es könnten Sterne, Planeten oder auch Moleküle sein, treiben durch einen leeren schwarzen Raum.

Die neuen Bilder deuten eine gelassene Geometrie aus tiefer Kontemplation an, die entropische Verteilung der Punkte verfestigt sich an einem feinen Raster, das aus den Nahtstellen zwischen den einzelnen Druckbögen aus Maulbeerpapier entsteht. Noch größere geometrische Strenge entsteht durch die Überlagerung mit horizontalen, vertikalen und in der Mehrzahl dieser Arbeiten auch diagonalen weißen Linien, die wie das Fadenkreuz eines aus dem Himmel hinabschauenden Sehapparats wirken; ihre nüchterne Anordnung zeichnet an Sol LeWitt gemahnende Fluchtpunkte in eine unermesslich dichte Tiefe.

Bei näherer Betrachtung kann man jedoch sehen, dass es sich bei diesen weißen Linien eigentlich um Komplexe aus Ursache und Wirkung handelt: manchmal zeichnen sie Vektoren aus der Ursprungsdatei nach, die beim Ausdrucken weiß ausgespart bleiben; sie können auch das Ergebnis einer Falzung sein, ihr Weiß verdankt sich also einer Aussparung; oder sie sind nicht eigentlich Linien, eher eine Zusammenrottung von Punkten. In letzterem Fall gibt das Papier, wenn Cottrell das Punktefeld entlang seiner Rückenachse falzt, gibt das Papier, das durch die winzige Abweichung aufgrund der Dicke der Tonerschicht perforiert ist, willig nach – eine Art selbstgemachter Grenzfall einer lasergestützen Fräse.

Denkt man an die durchgängig typografische Ausgangsbasis bei einigen der von Cottrell verwendeten Markierungen, ihren Punkten und Strichen, so fühlt man sich versucht, sich diese bestirnten Werke als „Gutenberg-Galaxien“ vorzustellen, in Erinnerung an Marshall McLuhans 1962 erschienene Abhandlung über die Frage, warum „die Kultur des Buchdrucks dem Menschen eine Denksprache an die Hand gibt, die ihn jedoch angesichts der Sprache seiner eigenen elektromagnetischen Technologie weitgehend hilflos bleiben lässt”. Als er dies an der Schwelle des Computerzeitalters schrieb, erprobte McLuhan viele jener grandiosen Verdrehungen des Alltagsverstands, die seinen Erkenntnissen über Medien, Maschinen und Kultur eine so magnetische, ja scheinbar prophetische Anziehungskraft verlieh (wenn sie manchmal auch nicht ganz so klarsichtig waren). Die Gutenberg-Galaxis ist ein Widerhall von William Blakes Protest gegen den Verlust psychischer und wahrnehmungsbezogener Vollständigkeit, die er beim modernen, analytisch denkenden Menschen beklagte: „Erst mit der Erfahrung der exakt gleichförmigen und wiederholbaren Typisierung kam es zur Aufspaltung der Sinne, und die visuelle Dimension löste sich von den anderen Sinnen ab.“

Natürlich hatte Blake die Lettern seiner Dichtungen von Hand graviert, um so zur Einheit von Text und Bild zu gelangen. Und inzwischen sind ungefähr fünfzig Jahre jüngerer Kunst ins Land gegangen, bei der die vordergründige Bedeutung alphabetischen Texts in den Hintergrund gerückt, in ein Oszillationsverhältnis zu ihrer eigenen visuellen Gestalt gestellt wurde; von Jasper Johns und Lawrence Weiner bis hin zu Jack Pierson, Joe Amrhein und Fiona Banner haben Künstlerinnen und Künstler die Typografie auf sich selbst zurück gewendet. Doch Cottrells Ansatz steht einer Einlösung des ekstatischen Techno-Primitivismus eines Marshall McLuhan näher – setzt sie doch die machtvollsten heute verfügbaren Textgestaltungswerkzeuge ein, statt sich von einer Fonts-Nostalgie packen zu lassen, wobei sie gleichzeitig Text insgesamt zugunsten der Suche nach einem noch tieferen visuellen Code ablehnt. Ihr Werk führt uns, anders gesagt, in jenen prä-gutenbergianischen Gnadenzustand zurück, bevor die Augen nur noch Lesewerkzeuge, nur mehr ein weiteres Zahnrädchen in der Technologie der Worte wurden. Würde es nur von dieser Unterdrückung befreit, es könnte vielleicht wieder die mystische Ordnung des Kosmos begreifen lernen.

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Marsha Cottrell