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Die Ausstellung von Marthe Wéry bedeutet die posthume Wiederentdeckung einer außergewöhnlichen belgischen Malerpersönlichkeit. Bekannt wurde Marthe Wéry mit monochromer Malerei, ihre ungebrochene Aktualität beruht jedoch auf ihrem radikal experimentellen Umgang mit Farbe und der Erkundung neuer Möglichkeiten von architekturbezogener Installation von Bildern. MalerInnen wie Bernard Frize, Adrian Schiess oder Katharina Grosse haben ihre Arbeitsweise weiterentwickelt. Als Lehrerin war sie impulsgebend für eine jüngere Generation von Künstlerinnen wie Ann Veronica Janssen oder Joëlle Tuerlinckx.

Eine Farbpalette, changierend von Schwarz zu Weiß und Grau charakterisiert die frühen, konstruktivistischen Bilder von Marthe Wéry. Nicht-Farben also, die potentiell bereits jede erdenkliche Farbe in sich bergen. In ersten monochromen Arbeiten Anfang der Achtziger beginnt sie Vielfalt und Variantenreichtum einzelner Farben zu erforschen. Sie experimentiert mit Bildformaten, Bildträgern und Farbauftrag, entlockt der Farbe immer neue Wirkungen. Sie malt mit dem Pinsel zwanzig, manchmal dreißig lasierende Farbschichten übereinander, die sich unter einer perfekt geglätteten Farbdecke nur mehr durch leichte Farbnuancen erahnen lassen.

In den neunziger Jahren beginnt sie mit der Farbmaterie zu experimentieren. Sie taucht die Bildträger, meist Holzplatten oder Aluminiumtafeln, in große Farbwannen, überlässt die Farbe unkontrolliert sich selbst bis sie trocknet oder arbeitet mit breiten Schabern in den Trocknungsprozeß hinein. Die Farbe bildet unterschiedliche Häute, manchmal durchscheinend wie ein Schleier, manchmal voluminös opak. Jegliche Vorstellung von Komposition wird hier verworfen, das Bild bleibt offen, endlos, ohne Grenze. Resultat sind Bilder, die in der Beschränkung auf eine Farbe lebendig und voller Spannung sind.

Marthe Wéry versteht ihre Malerei als kontinuierlichen Prozess, der auch nach Fertigstellung des einzelnen Werks nicht abgeschlossen ist. In Auseinandersetzung mit Architektur und dem jeweiligen Kontext der Präsentation installiert sie ihre Bilder zum ortsspezifischen Ensemble. Sie nutzt vorhandene Lichtsituationen, komponiert unterschiedliche Bildformate zu großen Tableaus an der Wand, besetzt den Ausstellungsraum in ungewöhnlicher Weise, indem sie ihre Bilder z.T. überlappend an Wände lehnt oder auf fragilen Holzgestellen am Boden wie Skulpturen präsentiert. Die Situation im Atelier scheint auf den Ausstellungsort übertragen und verweist auf den radikal unabgeschlossenen Charakter ihrer Malerei.

Marthe Wéry, geboren 1930 in Brüssel, studierte an der Académie de la Grande Chaumière in Paris. Zu ihren wichtigsten Ausstellungen zählen 1975 Fundamental Painting im Stedelijk Museum Amsterdam, ihre Teilnahme an der Biennale in Venedig 1982 sowie 2001 eine große Retrospektive im Palais des Beaux Arts in Brüssel. 2004 widmete ihr das Musée des Beaux Arts Tournai (in der Art Nouveau Architektur von Victor Horta) eine große Einzelausstellung. Marthe Wéry verstarb 2005 in Brüssel. Das Musée des Beaux Arts de Rouen organisiert 2006 eine erste umfassende Retrospektive der Künstlerin.

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