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16. Juli – 3. September 2021
Eröffnung: 15. Juli 2021, 19 Uhr

Martin Mlecko – "...den Rest muss dann jeder selbst entscheiden"

Die Dorothée Nilsson Gallery präsentiert die Ausstellung "...den Rest muss dann jeder selbst entscheiden" von Martin Mlecko (1951 – 2016). Die Ausstellung zeigt Arbeiten aus verschiedenen Serien und Medien, wie Film und Fotografie.

Martin Mlecko (1951 -– 2016) begriff die Kunst als letzten utopischen Raum. Er hielt es für notwendig, dass Künstler*innen aktiv in gesellschaftliche und politische Prozesse eingreifen. Mit dieser Haltung realisierte er seit den späten 1980er Jahren eine Reihe kollaborativer Projekte, die sich gegen die Verödung des gemeinschaftlichen Lebens, den Verlust gewachsener sozialer Orte und die Gier nach Profit stellten. Zugleich entstand ein fotografisches und filmisches Werk, das dem Geist dieser Projekte folgte.
Nach Seereisen auf Fracht- und Forschungsschiffen, die ihn bis in die arktische See und den Pazifik führten, konzentrierte er sich zunehmend auf Bilder des Rückzugs. Das Private und seine Bedingungen wurden zum bestimmenden Thema. War es für viele Jahre der öffentliche Raum, der Mlecko interessierte, widmete er sich schließlich der Beobachtung des individuellen Lebens und dessen Ausgestaltung. Die Speicher persönlicher Erinnerungen, von Emotionen und des Selbstbewusstseins, das alltäglich in eine unendliche Anzahl von Entscheidungen einfließt – und dort sehr folgenreich sein kann – wurden zum Motiv.
Arbeiten aus diesem Kontext sind Bild gewordene Chiffren eines breiten sozialromantischen Oeuvres. Mlecko gab damit vielfältige Hinweise. „Den Rest“, so fand er, „muss dann jeder selber entscheiden.“

Martin Mlecko war ein deutscher investigativer Fotograf, Konzeptkünstler und Filmemacher. Sein fotografisches Oeuvre ist eine Sammlung von Serien, ohne selbst seriell zu sein. Er ist sowohl Reisender als auch Beobachter, dessen kreative Schöpfungen sich einer Einordnung in die klar definierten Schubladen des Kunstbetriebs entziehen. Zu seinen Kunstformen gehörten großformatige Installationen und Dokumentationen, sowohl gegenständlich als auch abstrakt. Er lehrte an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee inszenierte Fotografie.

von Wolfgang Schöddert

In der Serie Die Dinge des Lebens dokumentiert Martin Mlecko eine stille Gemeinschaft mit den Dingen. Auch wenn die Dinge, mit denen er uns - nacheinander und in einem einheitlichen Bildformat präsentiert - konfrontiert, zu seinem persönlichen Besitz gehören, hat er den Titel der Serie zu Recht mit einem Anspruch auf Verallgemeinerung formuliert. Denn jeder von uns besitzt Gegenstände, die ihn im Laufe eines Jahres oder gar eines ganzen Lebens begleitet haben; in manchen Fällen handelt es sich um eine kleine Anzahl liebgewonnener Dinge, in anderen Fällen um eine überraschende Vielzahl. Der ständige Kontakt mit einem bestimmten Objekt, die mit ihm "geteilten" Erfahrungen oder die Geschichte, die mit ihm verbunden ist oder gar zu ihm wird, bilden Ausgangspunkte für die Entwicklung einer emotionalen Beziehung zu einem eigentlich leblosen Ding.
Mit seinen Sequenzen von Schwarz-Weiß-Fotografien, die allerlei Dinge zeigen, die ihn in seinem Atelier oder zu Hause umgeben, hat Mlecko eine eindrucksvoll verdichtete Form der Bildsprache gefunden, um genau dieser Fragestellung nachzugehen und den Betrachter an der Erforschung der eigenen ästhetischen Verhältnisse teilhaben zu lassen.

Seine Fotomontagen von Privatbibliotheken thematisieren ein besonderes menschliches Verhältnis zu einem ganz spezifischen Typus von unbelebtem Objekt - einem Objekt, das ausdrücklich als Medium zur Bewahrung von Kommunikation und Erinnerung, von Information und Imagination, von Austausch und Dialog konzipiert ist und das intellektuelle Inventar von Individuen mehr oder weniger in materialisierter Form präsentiert. Eine Diskussion der dabei entstehenden Konnotationen und Assoziationen könnte natürlich mehrere Seiten füllen. Bemerkenswert ist jedoch, dass - selbst bei einem hoch abstrakten und komplex kodierten Objekt wie einem Buch - die ästhetisch-physische Präsenz des Objekts eine wichtige Rolle spielt. Abgesehen von einer etwaigen Präsenz symbolischer Motivationen oder eines kontinuierlichen professionellen Gebrauchs umgeben wir uns mit Büchern auch deshalb explizit sichtbar, weil sie offenbar in der Lage sind, Träger einer intensiv personalisierten Übertragung oder Bereicherung auf einer Ebene jenseits ihres eigentlichen, letztlich immateriellen Inhalts zu werden. Genau diesem Gedanken geht Martin Mlecko nach, wenn er verschiedene Menschen besucht, um deren stark divergierende Bücherregale zu fotografieren. Seine aus vielen einzelnen Farbfotografien zusammengesetzten Montagen zeigen nichts anderes als Reihen und Stapel von Druckerzeugnissen sowie einige andere "zusammenhängende" Objekte, allerdings ohne Einbeziehung des sie umgebenden Raumes - so als würde er den Betrachter mit einem rätselhaften Organismus konfrontieren.