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Während das Frauenbild in der Kunstgeschichte dank der feministischen und postfeministischen Theorien seit den 60er Jahren auch im Ausstellungswesen vielfach kritisch reflektiert worden ist, scheint die männliche Selbst- und Fremdwahrnehmung bei weitem weniger Gegenstand von Ausstellungsprojekten zu sein - gerade weil die Abbildungen männlicher Körper Jahrhunderte lang als die Verkörperung des menschlichen Ideals schlechthin galten. Katalysiert durch die Kulturwissenschaften, durch gender und queer studies und diverse poptheoretische Diskurse gerät Männlichkeit erst in den letzten Jahren verstärkt zum Thema aktueller Ausstellungsprojekte.

Das im westlichen gesellschaftlichen Kontext dominante Modell "hegemonialer Männlichkeit" (Robert W. Connel) ist in den letzten Jahren verstärkt in eine Krise geraten. Durch die Auswirkungen der Frauenbewegung und des Feminismus vergangener Jahrzehnte und Veränderungen in den Zuschreibungen weiblicher Rollen, durch eine tief greifende Erschütterung der Arbeitsmärkte und ihre Auswirkungen auf einen Identitätsgewinn als "männlicher Versorger" und schließlich durch die so genannte „multikulturelle Bewegung" und die damit verbundene Aufwertung von Differenz als positiver Qualität scheint diejenige Gruppe, die als herrschende Norm betrachtet wurde (junge bis mittelalte, einheimische, nicht behinderte, heterosexuelle Männer weißer Hautfarbe) zur immer kleiner werdenden Minderheit zu geraten.

Die Ausstellung Masculinities im NBK setzt - wie die meisten ihrer Vorläufer - ein heterogenes Männlichkeitsbild voraus. Eine Besonderheit liegt jedoch darin, dass sie den Komplex von Männlichkeit(en) und Migration ins Spiel bringt. Sie tut dies auch aus der Einschätzung heraus, dass sich in der öffentlichen Meinung im Zusammenhang mit 9/11 und den Ereignissen in Madrid und London bestimmte Sichtweisen auf männliche Migranten - vor allem aus dem Mittleren und Zentralen Osten und bestimmten Teilen des afrikanischen Kontinents - generieren, die diese als rückschrittlich, fundamentalistisch, chauvinistisch und gefährlich beurteilen, was durch ihre Zugehörigkeit zum islamischen Glauben gegeben sei.

Masculinities thematisiert den Aspekt von Männlichkeit(en) und Migration dabei jedoch nicht in einer fragwürdigen, separatistischen Ausschließlichkeit. Vielmehr betrachtet sie ihn - in einer Art gesellschaftlicher Momentaufnahme als ein Phänomen im Zusammenspiel von diversen Männlichkeitsentwürfen und deren Zusammenhang mit Themen wie männliche Sozialisation, Jugendkulturen und Mediatisierung.

Videoarbeiten von sieben internationalen Künstlerinnen und Künstlern sowie einer Künstlergruppe thematisieren divergierende Sichtweisen auf Männlichkeit(en), die als Symptome auf den derzeitigen Zustand der Gesellschaft und ihrer Geschlechterrollen - über ethnische und religiöse Zuschreibungen hinweg - verweisen.

Die schwedisch-äthiopische Künstlerin Loulou Cherinet reflektiert in ihrem Film White Women (2002) die Erfahrungen im Spiel von Liebe und Partnerschaft zwischen schwarzen Männern in der Diaspora und einheimischen weißen Frauen.

Um Liebe und die Einsamkeit in der Fremde geht es auch in der Arbeit Mille et un Jour (2003) der Künstlergruppe Cinema Suitcase. Erzählt wird die Odyssee des illegalen tunesischen Einwanderers Tarek, der in Paris um die Anerkennung seines Status, um Bildung und seine Beziehung zu Ilhem, einer tunesischen Immigrantin zweiter Generation, kämpft.

Chloe Piene, Rommelo Yu und Mike Sale betrachten in ihren Arbeiten Randgruppen und deren körperliche Rituale, Verhaltensmuster und Rollenspiele, die oft von extremer Gewaltbereitschaft beherrscht sind. In Little David (1999) läßt Chloe Piene einen Neunjährigen Gestik und Sprache eines aggressiven Macho imitieren. In Yu’s Arbeit Mike (2002) wird der Körper eines schwarzen Türstehers zu einem Porträt über Stärke und Schwäche. Sale läßt aus der Sicht eines schwarzen und homosexuellen Filmemachers die Köpfe von 33 Skinheads im Takt technoider Musik am Betrachter vorbei ziehen und evoziert eine befremdliche Unsicherheit in der Gegenüberstellung der Protagonisten mit dem Publikum.

Auch Bjørn Melhus thematisiert die Rituale von Sein und Schein der Identität in seiner Arbeit Auto Center Drive (2003). Der Künstler stellt hier die Frage nach dem Selbst zwischen Realität und Starkultfiktion in einer grellen Medienlandschaft.

Die Frage nach einer Gesellschaft im Wandel und der Rolle der Medien darin wird auf ganz andere Weise auch in den Arbeiten des chinesischen Künstlers Lu Chunsheng und des libanesischen Filmemachers und Mitbegründers der Arab Image Foundation Akram Zaatari gestellt, surreal in Lu’s Arbeit In Summertime, Somebody Killed Trotzky (2002) und dokumentarisch-erzählerisch bei Zaatari (Her + Him Van Leo, 2001).

Zur Ausstellung erscheint im Revolver-Verlag ein zweisprachiger Katalog (Deutsch/Englisch), hrsg. von Kathrin Becker/NBK, mit Essays von Ernst van Alphen, Kathrin Becker und Renate Berger, Kurztexten zu den KünstlerInnen und zahlreichen Abbildungen.

Pressetext

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Masculinities
Eine Ausstellung des Video-Forums
Kuratorin: Kathrin Becker

mit Loulou Chérinet, Lu Chunsheng, Cinema Suitcase, Bjørn Melhus,
Chloe Piene, Mike Sale, Rommelo Yu, Akram Zaatari