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„Mathilda is calling“, die programmatische Eröffnungsausstellung des neuen Direktors der Mathildenhöhe Ralf Beil, konfrontiert den aussergewöhnlichen Reichtum des einzigartigen Kulturortes mit künstlerischen Positionen der Gegenwart. Im berühmten Ausstellungsgebäude von Joseph Maria Olbrich entsteht so ein Laboratorium der Erinnerung, das Kunst, Kultur, Design und Architekturgeschichte gleichermaßen reflektiert und in Bewegung setzt. Nicht umsonst lautet der Untertitel der Ausstellung „Erinnerung als Zukunft“.

Zu den Protagonisten dieser ambitionierten Schau, die mit dem Wasserreservoir unter dem Ausstellungsgebäude sowie dem Sandterrain und Platanenhain auch das weitere Umfeld der Mathildenhöhe neu entdecken wird, gehören Arnold Böcklin, Martin Brüger, Ariane Epars, Joseph Grigely, San Keller/Su Yung Park, Julius Lange, Goshka Macuga, Rémy Markowitsch, Piero Steinle, Tobias Rehberger, Julian Rosefeldt, Henry van de Velde, Paul Weber und viele andere mehr.

Alle zeitgenössischen Künstlerinterventionen sind speziell für „Mathilda is calling“ und die Mathildenhöhe entwickelt oder weiterentwickelt worden: der persönliche Einsatz der beteiligten Künstlerinnen und Künstler ist aussergewöhnlich und verspricht ein einmaliges Ereignis von hoher Intensität.

„Meine Eröffnungsausstellung wird die Mathildenhöhe, diesen fulminanten, zuweilen noch unterschätzten Schauplatz der Künste in neuem Licht präsentieren“, so Ralf Beil. „Der Titel „Mathilda is calling“ signalisiert den Ruf und das Selbstbewusstsein eines sich unaufdringlich, aber zugleich unüberhörbar auf der Kunstlandkarte zurückmeldenden Ortes.“

Der Katalog Das im HatjeCantz Verlag erscheinende Katalogbuch zur Ausstellung, herausgegeben von Ralf Beil, vereint Texte von Ralf Beil, Gernot Böhme, Sonja Feßel, Esther Maria Jungo, Eva Meyer-Hermann, Friedrich Kittler, Joseph Maria Olbrich, Rudolf Schmitz, Reinhard Spieler u.a. sowie eine Chronik der Mathildenhöhe 1833-2006 von Sabine Welsch. Ca. 200 S., ca. 110 farbige Abb., 19 x 25,5 cm, gebunden mit beigelegter CD, ca. € 30,–.

Zehn Künstler – zehn Orte – zehn Erfahrungswelten Das Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe

Es ist eine kulturhistorische Sensation und Augenweide zugleich: das vollständig erhaltene Redaktionszimmer der Pariser Avantgardezeitschrift „Revue Blanche“ aus den Jahren 1899 bis 1903, geschaffen von Henry van de Velde. Bis anhin kaum bekannt, wird es von dem Amerikaner Joseph Grigely (*1956) erstmals gebührend in Szene gesetzt. Der seit seinem zehnten Lebensjahr taube Kommunikationskünstler erweckt das lang verstummte Mobiliar, an dem einst Künstler, Literaten und Musiker wie Pierre Bonnard, André Gide und Claude Debussy Platz nahmen, ebenso bildmächtig wie erzählerisch zu neuem Leben.

Lachen, weltweit: Der in München geborene und in Mailand lebende Video-Künstler Piero Steinle (*1959) holt es für uns auf die Mathildenhöhe. So wie er die zahlreichen, in Vergessenheit geratenen Büsten des 19. Jahrhunderts aus den Tiefen des hauseigenen Sammlungsdepots ins Licht rückt. Das Ergebnis ist eine auf alle Sinne wirkende Multi-Media-Installation, die das Kollektiv der in artifizieller Würde erstarrten Stadt- und Kulturprominenz von einst auf die Lachclubs der Gegenwart mit ihrer künstlich erzeugten Heiterkeit treffen lässt und Zwang wie Befreiung physisch-psychisch erlebbar macht.

„Mathilda meets Böcklin“: Im gigantischen Oberlichtsaal, den die in London lebende polnische Künstler-Kuratorin Goshka Macuga (*1967) bespielt, glühen rundum auf der schwarzem Wandbespannung die Schätze der städtischen Gemäldesammlung auf: allein elf Werke des Jahrhundertwendemalers Arnold Böcklin, eingebettet in die Landschaftsmalerei seiner Zeit. Im Raum selbst wandert der Besucher, von einer Stimme im Ohr geführt, zwischen Interieur-Inseln aus Stühlen, Tischen, Teppichen, Palmen und Regalen umher, die mit Kultur- und Designelementen aus allen Bereichen des kreativen Schaffens vom Jugendstil bis heute eine überwältigende Raumlandschaft entstehen lassen.

8000 leere Bordeauxflaschen, durchflutet vom Sonnenlicht, tauchen den einst offenen, weinumrankten Rosenhof erstmals wieder in vegetatives Grün. Die wechselvolle Geschichte des Ortes kommt damit ebenso ins Spiel wie der euphorisierende, doch allzu vergängliche Rausch der Lebensreformbewegung um 1900. Der in Berlin lebende Zürcher Multi-Media-Künstler Rémy Markowitsch (*1957) entfesselt in seinem betörend-irritierenden Grünraum gezielt Natur- und Kulturgewalten. Wächst in einer Ecke permanent eine schwarze Rose nach, so schlägt in einem raumhohen Brunnen immer wieder ein Wasserschlauch um sich: Sinnbild scheiternder Lebensreformen nach 1900 – oder auch Abbild heutiger Haltlosigkeiten?

Das Wasserreservoir

Erstmals seit 125 Jahren wird das 1000 Quadratmeter große Wasserreservoir zum öffentlich betretbaren Kunstort. Mit ihrer subtilen Leuchtschrift- und Toninstallation pointiert die Westschweizer Konzeptkünstlerin Ariane Epars (*1959) auf einmalige Art und Weise die grandiose Backsteinarchitektur des 1880 eingeweihten Bauwerks, auf dem sich das Ausstellungsgebäude erhebt. Die Spiegelungen der Leuchtschrift auf der Wasseroberfläche werden ebenso Teil ihrer Arbeit wie das Echo der Stimmen aus dem Off, die von Vergangenheit und Gegenwart des unterirdischen Speichers sprechen.

Das Dach des Ausstellungsgebäudes, der Platanenhain und das Sandterrain

„Mathilda goes Bollywood“: Aus Mumbai/Indien kommt das gigantische Gemälde im Cinemascope-Format (4 x 18 m), das der in München geborene und in Berlin lebende Videokünstler Julian Rosefeldt (*1965) im Bollywood-Plakatstudio Balkrishn in Auftrag gegeben hat. „Mathilda“ heißt der Film, in dem die kaum mehr bekannten Darmstädter Meister des 19. Jahrhunderts groß herauskommen: weithin sichtbar auf dem Dach des zum Filmpalast mutierten Ausstellungsgebäudes.

Auf Platane Nr.168 lässt der in Esslingen geborene und in Frankfurt lebende Tobias Rehberger (*1966), ein permanenter Grenzgänger zwischen Kunst, Design und Architektur, sein futuristisch zersplittertes Baumhaus bauen: halb verunglücktes Ufo, halb gelbe Blüte im grünen Blätterdach. Ein „Künstlerhaus“ anno 2006 inmitten des ältesten Kulturterrains der Mathildenhöhe, dem Platanenhain, angelegt 1833.

Vom bahnbrechenden Aufbruchsgeist der Künstlerkolonie um 1900 beflügelt, bereitet uns der im Odenwald geborene und in Darmstadt lebende Installationskünstler Martin Brüger (*1965) mit seinem unweit von Schwanentempel und Russischer Kapelle platzierten Infocontainer samt Werbetafelauf eine radikal neue Zukunft der Mathildenhöhe vor: „Abriss der historischen Substanz – neuer Freiraum für zeitgenössische Aktivität“, so lautet das von ihm initiierte Bauvorhaben für 2008.

Die Reiseperformance / Das Aktionsobjekt im Foyer des Ausstellungsgebäudes

„Mathilda is calling“: Der Schweizer Performancekünstler San Keller (1971) und die südkoreanische Performerin Su Yung Park (1972) nehmen es wörtlich und kommen. Mit einem alten Gepäckwagen. Über 500 Kilometer Wegstrecke. Tag und Nacht schieben sie sich in ihrer Reiseperformance „Come Together“ gegenseitig voran, bis sie die Mathildenhöhe erreichen. Der Gepäckwagen bleibt bis zu einer nächsten Reiseeinladung als „Aktionsobjekt“ im Foyer des Ausstellungsgebäudes.

Pressetext

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Mathilda is calling – Erinnerung als Zukunft
Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe
Kurator: Ralf Beil

mit Arnold Böcklin, Martin Brüger, Ariane Epars, Joseph Grigely, San Keller/Su Yung Park, Julius Lange, Goshka Macuga, Rémy Markowitsch, Ludwig Meidner, Piero Steinle, Tobias Rehberger, Julian Rosefeldt, Henry van de Velde, A. Paul Weber ...