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Der Aargauer Künstler Max Matter (*1941), der zwischen 1967 und 1975 mit Heiner Kielholz, Markus Müller, Christian Rothacher und Hugo Suter zu den Protagonisten der legendären Aarauer Ateliergemeinschaft Ziegelrain gehörte, ist in allen Schaffensphasen mit innovativen Werken hervorgetreten; und bis heute hat sein Schaffen nichts von seiner Frische und Radikalität verloren. 14 Jahre nach seiner Übersichtsausstellung im Aargauer Kunsthaus widmet ihm das Kunstmuseum Solothurn nun erneut eine umfassende Schau mit Werken aus über 40 Jahren. Der retrospektive Anspruch der Ausstellung wird nicht durch eine herkömmliche Chronologie, sondern durch das Aufzeigen von inhaltlichen Feldern und Zusammenhängen erfüllt. In einem Spannungsbogen zwischen den Grundthemen Körper und Licht ermöglicht sich ein sinnlicher und anregender Parcours.

Die Ausstellung beginnt im Westflügel mit Werken zum Themenkreis von Zahl und (Zeit-)Messung. Darunter befinden sich einige mit dem eigenen Blut gezeichnete Arbeiten, etwa das Blutbild (1979), für das Max Matter 15 Stunden lang, im Rhythmus des eigenen Pulsschlages, einen grossen Papierbogen mit Blutpunkten bedeckt und hernach, in einem zweiten Prozess des Markierens mit Tinte, 83'664 Pulsschläge gezählt hat. Die Verbindung zwischen dem eigenen Körper, seiner Leistungsfähigkeit und der damit verbundenen Zeit und Zeitlichkeit ist ein Leitthema von Matters Schaffen. Die gigantischen Ausmasse, die sich beim blossen Zählen eröffnen, werden im selben Saal auch anhand einer aktuellen, kontinuierlich laufenden Computer-Animation deutlich: Ausgehend von seinen Faltbildern aus farbgetränkten Japan-Papieren und dem mathematischen Wissen, dass 9 quadratische Blätter in 4,7 Billionen Varianten kombiniert werden können, errechnet er uns, dass deren Visualisierung 50'000 Jahren beanspruchen würde. – Im nächsten Saal werden die Vermessungen und Abwicklungen von Matters eigenem Körper gezeigt, und im anschliessenden kleinen Ecksaal konzentriert sich die Ausstellung auf den für das Sehen, Denken und Fühlen zentralen Körperteil des Kopfes. Mit Zeichnungen und Modellen, die strenge Wissenschaftlichkeit suggerieren, wird Spekulatives wie die Ortung und Ausbreitung von Gedanken oder Schmerzen visualisiert. – Vom Kopf als Sehapparat führt der Weg im letzten Saal des Westflügels zum Thema Wahrnehmung und Imagination. Hier werden in Leuchtkästen Matters Injektionen (2000) präsentiert, die erwähnten Japanpapiere, deren zufällige, an Sternensysteme erinnernde Ordnung und Schönheit durch vielfache Faltung entsteht. Der Akt des „Malens“ erfolgt über das Einspritzen von Farbe mit Injektionsbesteck.

Das Licht wird zum verbindenden Glied zwischen den beiden Ausstellungsflügeln. Die im ersten Saal des Ostflügels ausgestellten Schnellen Landschaften (2005) werden ebenfalls in Leuchtkästen präsentiert. Wie die Faltbilder gehen diese Fotoarbeiten von Injektionen aus, die nun durch Einstiche in Filmrollen erfolgen. Das durch die Perforierung eindringende Licht erzeugt auf dem Farbfilm zufällige Bilder, landschaftliche Suggestionen. Die erleuchtete Landschaft wird bereits in Matters Frühwerken der siebziger Jahre zum Thema. Der von der damaligen Pop Art inspirierte Realismus zeigt das schweizerische Mittelland in strahlendem (Neon-)Licht und – dank der Verwendung gewölbter Cupolux-Schalen – in illusionistischer Tiefenwirkung (Mittelland, 1971). – Der lange Quersaal wird zum idealen Rahmen für die Platzierung einer riesigen doppelten Papierbahn, die im besagten Prinzip der Faltung und Farbtränkung entstanden ist. – Der letzte Saal schliesslich kann als Pendant zum gegenüberliegenden ersten Saal des Parcours verstanden werden, und damit schliesst sich der Kreis. Wie bei den Blutbildern wird nun mit Matters legendären Hängebildern nochmals der Körper zum Thema: An beiden Beinen von der Decke seines Ateliers hängend, hat der Künstler grosse Papierbogen bezeichnet (Gestrudelt, 1976) und sich damit – in Anlehnung an die Pendelzeichnungen von Emma Kunz – zum lebendigen Pendel gemacht.

Die Ausstellung zeigt mit einer präzisen Auswahl von Werken aus Privat- und Museumsbesitz sowie mit aktuellen, erstmals ausgestellten Arbeiten aus dem Atelier die eindrucksvolle Konsequenz von Matters eigenwilligem Schaffen. Ausstellung und Buch gehören zur angesehenen Reihe Binding Sélection d’Artistes der Sophie und Karl Binding-Stiftung. Die reich bebilderte Publikation mit Texten von Barbara Bleisch, Jacqueline Burckhardt, Stephan Kunz, Max Matter, Michel Mettler und Christoph Vögele erscheint im Verlag für moderne Kunst, Nürnberg.

Christoph Vögele

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Max Matter
Werke 1967–2009