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Der Luzerner Künstler Max von Moos (1903–1979) prägte die Kunstszene der Zentralschweiz während fast eines halben Jahrhunderts, dies sowohl als Künstler wie als engagierter und charismatischer Lehrer an der Luzerner Kunstgewerbeschule. Das Kunstmuseum Luzern würdigte sein Schaffen in mehreren Ausstellungen, zuletzt im Jahre 2001 mit einer von Roman Kurzmeyer kuratierten Präsentation. In der Sammlung des Hauses befinden sich rund 100 Werke. Diese bilden den Ausgangspunkt für eine Sammlungspräsentation der etwas anderen Art. Max von Moos soll weder monografisch gezeigt (wie in der Retrospektive von 1984) noch in einen kunsthistorischen Kontext gestellt werden (wie 2001). Vielmehr interessiert uns ein zeitgenössischer Blick auf das historische Werk.

Peter Roesch (1950), Christian Kathriner (1974) und Robert Estermann (*1970) wurden eingeladen, neue Arbeiten als künstlerische Kommentare zu Max von Moos zu realisieren. Obwohl sie mit ihrer Kunst ganz unterschiedliche Positionen vertreten, haben sie alle einen persönlichen Bezug zum Werk von Max von Moos. Ihre speziell auf die Ausstellung zugeschnittenen Interventionen eröffnen eine subjektiv-zeitgenössische Perspektive auf Max von Moos’ Œuvre und bieten so Gelegenheit, es neu und spannungsreich zu erleben. Gleichzeitig geben sie einen Einblick in das aktuelle Schaffen von drei interessanten, regional verankerten Künstlern.

Von Max von Moos sind rund 45 Werke zu sehen. Eröffnet wird die Ausstellung mit überraschenden, ungegenständlichen Grossformaten aus den 1960er Jahren. Von Moos experimentierte damals mit der gestischen Malerei des Tachismus, und obwohl es Bilder von hoher Qualität sind, blieben sie trotzdem ausserhalb des damaligen Kunst-Diskurses. Anschliessend an diesen Raum ist ein grafisches Kabinett mit Porträtstudien eingerichtet. Zu den seit den 1940er Jahren bis zu seinem Tod in geradezu manischem Drang gezeichneten Studien kommt hier eine Serie wenig beachteter Lithografien aus dem Jahr 1974, in denen der Künstler sozusagen sein Bildrepertoire mit den für ihn typischen Figuren, Konstellationen und Bildräumen Revue passieren lässt.

Im gleichen Raum befindet sich ein Diptychon mit einer hinterleuchteten Zeichnung von Robert Estermann. Diese erste Konfrontation mit einer zeitgenössischen Position verblüfft durch das gemeinsame Interesse an der Linie. Die formale Reduktion ist der Arbeit beider Künstler eigen und beide erreichen damit eine ebenso faszinierend verschlüsselte Wirkung wie eine Verdichtung zur signalhaften Chiffre. Eine weitere, direkte Gegenüberstellung von Max von Moos und Robert Estermann ist im nachfolgenden Ausstellungsraum zu sehen. Hier geben grosse Querformate mit Titeln wie „Brennende Stadt“, „Die Angst“, „Höllensturz“, „Inferno“, „Urformen“ oder „Blut und Eis“ den inhaltlichen Kanon des grossen Surrealisten vor. Robert Estermann reagiert auf diese thematische Schwerlast mit einer poetischen Installation: Mit „Un cheval passe“ liesse sich das auf einen grossen Papierbogen gezeichnete, engelhafte Pferd betiteln, das sich wie beiläufig über eine Treppe bewegt.

Im Herz der Ausstellung ist ein monografischer Raum mit typischen Hauptwerken von Max von Moos eingerichtet. Neben den Exponaten aus der Sammlung des Kunstmuseums Luizern sind Leihgaben der Max von Moos-Stiftung zu sehen, so zum Beispiel das erst kürzlich erworbene Bild „Toledo“, das formal mit den „Versteinerten Tänzerinnen“ aus Museumsbesitz in Zusammenhang steht. Hier zeigt sich ein Interesse des Künstlers, den Figuren, dem Leben, der Gegenwart eine andere Zeitlichkeit zu verleihen. Zudem verdeutlichen die zu Stein gewordenen Tänzerinnen beispielhaft sein mit dem Surrealismus korrespondierendes Vorgehen, real Wahrgenommenes in einem anderen Wesenszustand darzustellen. Den Besucherinnen und Besuchern bietet sich hier eine konzentrierte Werkübersicht mit einigen Highlights des Künstlers.

Peter Roesch gehört zu der Reihe von Exponenten der Luzerner Kunstszene, die bei Max von Moos den Unterricht an der Kunstgewerbeschule besuchten. Einen grossen Stellenwert legte der damalige Lehrer auf das „Aktzeichnen“, fokussiert auf die Anatomie. Für die Zeichnungsstunden bevorzugte von Moos korpulente, bisweilen auch körperlich entstellte Modelle, was bei den jungen Studenten bleibenden Eindruck hinterliess. Ausgangspunkt von Roeschs Beitrag ist eine sehr persönliche Recherche. Ausgehend von der prägenden Begegnung mit dem charismatischen von Moos in den späten 1960er Jahren und den Erfahrungen aus dessen heute fast kafkaesk anmutenden Anatomiestunden, fragt Roesch nach der Bedeutung des Körpers in der Entwicklung seines eigenen Œuvres. Unter dem Titel „Die Anatomiestunde“ ist eine Serie von Malereien entstanden, die in einer dichten Hängung präsentiert wird.

Im letzten Raum der Ausstellung steht der Besucher, die Besucherin vor einem verschlossenen, über drei Meter hohen Holzportal und wird vielleicht etwas irritiert über den Bruch zwischen White Cube und aus anderem Kontext stammendem Architekturzitat nachsinnen. Die nach allen Regeln der Tischlerkunst gebeizte und mit Wachs polierte Tür ist nicht nur geschlossen, das eingefräste, einem Ziegelmauerwerk ähnliche Muster schafft eine zusätzliche Hemmschwelle. Tritt man nun doch durch das Portal, sieht man nichts als einen leeren Raum sowie eine identische Türe in der gegenüberliegenden Wand: ein „Zwilling“, so auch der Titel der Arbeit. Mit dieser Installation führt uns der Obwaldner Künstler Christian Kathriner zu einem Kerngedanken der Kunst von Max von Moos. Verstörend wirken nicht in erster Linie die dargestellten Figuren, vielmehr ist es der Raum, den von Moos um seine Figuren baut, der beunruhigend ist. Wenn wir seine Bildwelt betreten wird es unangenehm, Verstehen stellt sich nicht ein, aber die Empfindungen sind übermächtig.

Christoph Lichtin, Kurator der Ausstellung, Sammlungskonservator Kunstmuseum Luzern

Publikationshinweis: Roman Kurzmeyer, „Schlangenlinien / Serpentine Lines: Max von Moos – André Thomkins – Aldo Walker – Max Ernst“, Deutsch/English, Zürich: Edition Voldemeer / Wien, New York: Springer, 2011 (Schriftenreihe der Max von Moos-Stiftung, Band 2), 96 Seiten, 32 Abbildungen, Klappenbroschur.

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Max von Moos
gesehen von Peter Roesch, Christian Kathriner & Robert Estermann
Kurator: Christoph Lichtin