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Diese Ausstellung fasst ein größeres Konvolut von Arbeiten Michael Pfrommers aus den vergangenen Jahren zusammen. Vielleicht zum ersten Mal wird die formal und inhaltliche Vielschichtigkeit der Arbeit von Michael Pfrommer transparent.

Der Titel der Ausstellung ist gleichzeitig derjenige aller Zeichnungen: „Leave my shoes and door unlocked – I might just slip away“ er stammt aus einem älteren Song von David Bowie. Wie zahlreiche andere Titel, die Pfrommer seinen Arbeiten gibt, deutet er eine narrativ zu lesende Situation an, die jedoch nicht eindeutig aufzulösen ist, denn beispielsweise bleibt die Frage nach dem Ausgangspunkt der Aussage offen und ebenso deutet die Möglichkeitsform auf ein unsicheres Ende. Ähnliches kann über die Zeichnungen gesagt werden. Inspiriert von japanischen Mangas, den amerikanischen Cartoonfiguren Ran und Stimpy bis zu kunsthistorisch abgesicherten Quellen wie den 1797/1798 entstandenen Caprichos Francisco de Goyas und Karikaturen von Honoré Daumier, sind jedoch aufgrund der reduzierten Farbigkeit und der meist überzeichneten Art der Darstellung keine Vorbilder genau zu eruieren, auch fehlen bezeichnende Titel. Sie entstehen meist spontan und in kurzer Zeit und erhalten so eine skizzenhafte Wirkung. Inhaltlich lassen sie selten über die reine Anschauung hinaus Assoziationen zu, denn sie fokussieren meist einen Moment und transportieren das, was jeweils dargestellt ist: zum Beispiel ein weinendes Schwein, triefende Schweißtropfen oder Beine, die im Schlamm zu stecken scheinen. Die Frage nach einem Vorher oder einem Nachher wird evoziert, sicher ist jedoch nur das: der im Hier und Jetzt verankerte Augenblick, den die Zeichnungen jeweils illustrieren. Insgesamt betrachtet können sie als Spiegel gelesen werden, der die Absurdität und die stellenweise grotesken und insofern verwirrenden Situationen, die sie charakterisiert, verdeutlicht.

“If a ball disappears in a bush – don’t look after him – he’s in another world and will come back tomorrow”, das dominant schwarze, diffus erscheinende Objekt trägt diesen Titel. Er ist inspiriert durch eine spontane Aussage eines Freundes Michael Pfrommers beim Baseballspielen, als der Ball in einen Busch gekickt wurde. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man auch die drei Bälle, die in ihm verschwunden sind. Über den Titel erhalten sie geradezu menschliche Züge, werden zu Wesen, die aus ihrer eigentlichen Umgebung kurzweilig entfliehen, um sich zeitweilig in anderen Welten aufzuhalten, jedoch am nächsten Tag in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren. Ob sie dieser Aufenthalt verändert hat oder nicht, bleibt offen, denn auch angesichts der Skulptur wird nur ein momentaner Zustand sichtbar: der Aufenthalt der Bälle im Busch.

In einer Ecke des Raums lehnt ein Brett – auf englisch „Plank“. Dieser neuesten Arbeit gab Michael Pfrommer den Titel „So I said, do you know Mr. Wall, and they looked the other way“. Das Objekt kann als Illustration einer es hinterfangenen Geschichte verstanden werden. Auf dem amerikanischen Fernsehkanal „Cartoon Network“ gibt es einen Cartoon namens „Ed, Edd & Eddy“, in der eine weitere Figur mit Namen Jonny erscheint. Jonny hat „Plank“, ein Brett, zum Freund mit dem er immer redet. Ihm kommt die Funktion eines Puppenspielzeugs zu, er hat hellseherische Kräfte und ist übernatürlich veranlagt. Dieser Hintergrund verleiht dem Objekt wiederum eine Form von Menschlichkeit, denn in Korrespondenz mit dem Titel. „So I said, do you know Mr. Wall, and they looked the other way” kann die Arbeit gleich einer Geste als Verweis auf etwas, das sich einer gerichteten Antwort bewusst entzieht, gedeutet werden.

“The Cave of Time” basiert auf dem gleichnamigen 1979 entstandenen Buch, das in den USA für Schüler geschrieben wurde. Es ist die Geschichte eines Jungen, der in eine Höhle gerät und diese immer an einem anderen Ende und damit in einer anderen historischen Zeit verlässt. Das Buch ist nicht linear konzipiert, sondern bietet dem Leser Möglichkeiten an, wie ein Autor zu verfahren, indem er individuell bestimmen kann, wie sie sich fortsetzt und wie sie enden soll. Inhaltlicher Hintergrund bildet die Geschichte der Menschheit, so dass es sich um eine Verbindung von Spiel und didaktisch konstruiertem Geschichtsunterricht handelt. Aus 42 Möglichkeiten kann variabel ausgewählt werden, der Leser muss nur an einer angegebenen Seite im Buch weiterlesen, bis ihm wiederum die Möglichkeit offeriert wird, die Geschichte fortzusetzen etc.. Michael Pfrommer ignoriert dieses Prinzip, indem er seinem Freund Trenton Duerkson die Anweisung gab, das Buch kontinuierlich zu lesen und dabei den Charakteren unterschiedliche Stimmen zu verleihen. Insofern legt das Video anhand der Geschichte eine unlogische Struktur offen und es entsteht Verwirrung, die dadurch gesteigert wird, dass der Vortrag zunehmend dadurch erschwert wird, dass Charaktere wiedererscheinen, an dessen Stimmen sich der Vortragende erinnern muss, was ihm nicht immer gelingt und dass er unvorhergesehenen Situationen plötzlich begegnet, die er stimmlich gestalten muss – der Film vermittelt zunehmend Diffusion, verbunden mit einer Metapher der Schwierigkeit des Prinzips Erinnerung.

Grundlage des Videos „Vampyr“ bildet der 1932 in Frankreich gedrehte Stummfilm des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer. Als Basis für seine Videoarbeit nutzte Michael Pfrommer die zwischen den einzelnen Szenen eingeblendeten Dialoge. Sie werden von der Japanerin Chie Nagaura in einer phonetisch vom Deutschen ins Japanische übersetzten Version gelesen. Der deutsche Text in lateinischer Schrift wurde in einen deutschen Text in der Schrift Katakana transkribiert. Katakana ist eine Schrift, die auf dem japanischen Silbenalphabet basiert, so dass es Chie Nagaura möglich ist, einen Text in einer ihr nicht geläufigen Sprache zu lesen. Sie fungiert insofern als Medium zwischen zwei einander fremden Elementen auf der Basis Sprache. Dieser Aspekt deckt sich inhaltlich mit dem Text, den sie liest und der das Genre des Horrorfilms repräsentiert. Auch hier bildet das Medium als Grundelement eine Verbindung zwischen der irdischen und überirdischen Sphäre.

Isamu Kenmochi war ein japanischer Architekt und Designer, der 1956 ein Hilfsgerät entwarf, um Sitzpositionen messen zu können. Zwischen zwei Metallgittern installierte er mal mehr, mal weniger Stangen, die sich im Profil betrachtet, zu fließend verlaufenden Sesseln verbinden. Michael Pfrommer portraitiert sich, indem er in die Rolle des Assistenten des Designers schlüpft in enger schwarzer Kleidung mit kurzem Haar. Die Sitz- und Lehnflächen aus Stangen sind zwar gänzlich unbequem, trotzdem ist aus dem Gesicht Pfrommers nie Schmerz oder Unbehagen abzulesen, meist lächelt er, scheint sich wohlzufühlen. Das Video thematisiert die Widersprüchlichkeit zwischen Behagen und Unbehagen als einem gleichzeitig erscheinenden Phänomen, gesteigert durch das Fenster des Rasters, das diese Ambivalenz sozusagen bereits als schematisiert darstellt.

Meike Behm

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