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Die Ausstellung MY PRIVATE IDAHO vereint zeichnerische Werke von 12 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Sie alle verbindet neben der künstlerischen Technik das Thema der INSEL als gemeinsames Leitmotiv. Der Ausstellungstitel orientiert sich an einem Film von Gus Van Sant aus dem Jahr 1991. „My Own Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ thematisiert das Leben für den Moment, während die ganze Welt irreal wirkt, der Protagonist permanent gefangen im Niemandsland zwischen halb wachend und halb schlafend. Träume und Visionen als Inseln einer vermeintlich glücklichen Kindheit und der „Kartoffelstaat“ Idaho als Ausgangspunkt für eine Reise in die Vergangenheit. Die Suche nach den vermeintlich glücklicheren Kindheitstagen von einst endet im Elend, nur um erneut von der Alltäglichkeit der Gegenwart verdrängt zu werden. Vielmehr noch als der Inhalt dieses Filmes, der sich erst im nachhinein als gar nicht so weit vom Thema entfernt erwies, steht der Titel des Filmes für ein bestimmtes Gefühl, „Idaho“ als Sinnbild für einen realen oder fiktiven Rückzugsort. Im Zuge der weiteren Beschäftigung mit diesem Gedanken tauchte das Bild der INSEL als Metapher der Sehnsucht nach einer Gegenwelt zur alltäglichen Realität auf. Die Zeichnung als sehr unmittelbares Medium drückt diese manchmal unausgesprochene Sehnsucht vielleicht am besten aus.

Die Insel als Fläche bzw. Raum innerhalb einer andersartigen Umgebung nimmt im individuellen Empfinden des Einzelnen höchst unterschiedliche Bedeutungen an. Es stellt sich die Frage, was der einzelne Mensch als seine ganz persönliche „Insel“ begreift. Hierbei kann es sich um einen privaten Ort handeln, an dem man sich zurückzieht bzw. sich von der Außenwelt isoliert. Eine „Insel“ kann sich aber auch im öffentlichen Raum befinden, in dem man sich als imaginärer Inselbewohner bewegt. Man sucht sich fiktive Rückzugsorte, an denen man Zuflucht sucht vor der urbanen Enge, in die man unmittelbar integriert ist. Inseln können sich also in der Einsamkeit der Natur genauso finden lassen wie im Getöse der Großstadt: Überall, wo Mensch ist, entstehen private Flächen – INSELN. Die „Insel“ als Sinnbild idyllisch-utopischer Wunschvorstellungen von einer besseren Welt manifestierte sich in Literatur, Film und Bildender Kunst auf unterschiedliche Art und Weise. Im 21. Jahrhundert jedoch hat die Insel „Utopia“, dieser Nirgend-Ort, seinen Zauberklang weitgehend verloren. Der Bericht von einem unentdeckten Ort, der Insel „Utopia“ wie sie Thomas More im Jahr 1516 beschrieb, einem Ort mit idealer Gesellschaftsordnung, der ein besseres Leben verspricht, müsste heute aus dem Weltall zu uns dringen, um zumindest einen Hauch von Glaubwürdigkeit zu besitzen. Welchen Stellenwert haben Illusionen, Visionen und Utopien in einem Zeitalter technischer Allmacht und rationalem Kalkül? Die globalen Utopien im Sinne weltumspannender politischer und gesellschaftlicher Ideen sind obsolet geworden. Dennoch lassen sich zahlreiche Themenbereiche ausmachen, mit denen sich die Künste im Blick auf die Zukunft beschäftigen. Michel Houllebecq untersucht in seinem neuen Roman „Die Möglichkeit einer Insel“, und unter dem einfallsreichen Titel „Die Insel“ hat sich auch Hollywood jüngst dieses Themas angenommen. Sowohl Houllebecq als auch Regisseur Michael Bay thematisieren die möglichen Auswüchse der modernen Gentechnik und die damit verbundenen Heilsversprechungen einer fantastischen Zukunft. Stellvertretend für die Versprechungen einer gar nicht mehr so fernen Zukunft steht außerdem das Internet, jene Parallelwelt im Cyberspace, die zahlreiche Utopien verbirgt. Jedoch, das Cyberspace, ebenso wie Idylle und Utopie lassen sich eigentlich nicht visualisieren. Diese konstituieren sich aus subjektiven Konstruktionen, Sehnsuchts- und Idealvorstellungen, die aus Momentaufnahmen resultieren. Nicht der große Fernblick, nicht die hellsichtigen Prognosen haben Bestand, es sind die augenblicksbezogenen Wünsche und Ängste, welche die utopischen Vorstellungen vorantreiben. Eben auf diese individuellen Momentaufnahmen und Realitätserfahrungen konzentriert sich die Ausstellung im büro für kunst hauptsächlich. Sie stellt die vielschichtigen Assoziationen des Einzelnen zum Thema INSEL in den Mittelpunkt, sowie die Fragen, was der einzelne Mensch als sein persönliches „Utopia“ begreift und wie sich die Suche nach diesem Ort gestaltet, mit all den Möglichkeiten und Beschränkungen unserer modernen Zivilisationswirklichkeit.

Laura Bruce thematisiert in ihren Arbeiten die Einzigartigkeit des Augenblicks, wobei gerade das Chaos alltäglicher Belanglosigkeiten für sie den größten Themenfundus bietet. In ihren Werken formuliert sich die INSEL-Thematik über die Konzentration auf das eigene Ich, über die „Verinselung“ des um-sich-selbst-kreisenden Individuums, das im Alltag gefangen zu sein scheint.

Simon Englishs Bilder stützen sich auf Fantasiewelten, auf Kindheitsträume, Geschichten und Erzählungen, die oftmals befriedigender sind als die reale Welt, in der wir leben. Konfliktsituationen zwischen Moral und Tradition einerseits, Sexualität und moderner Kunst andererseits versucht der Künstler zu entkommen, indem er sich in die Utopien seiner Bilder flüchtet, die als Referenzen für Ängste und Sehnsüchte, für persönliche Siege und Niederlagen fungieren.

Manuel Frattini ist ein Sammler von Erlebtem. Scheinbar marginale Motive unserer Umgebung erscheinen als detailliertes Netzwerk von Wahrgenommenem, aus denen sich narrative Sequenzen ergeben, die in ihrer Lesart undefiniert bleiben und unendlich erweiterbar sind. Ähnlich einem visualisierten, aber ungeordneten Tagebuch, das keiner Chronologie folgt, entsteht das Storyboard einer Reise an einen anderen, besseren Ort.

Bei Dirk Heerklotz tritt das Thema nicht so sehr über das Inhaltliche in Erscheinung, als vielmehr über die künstlerische Arbeitsweise an sich. Singuläre Wahrnehmungsfragmente werden in andere, fiktive Zusammenhänge übertragen und erscheinen als neu komponierte Geschichten.

Katharina Heilein untersucht in ihren Projekten Transformationsprozesse bestimmter, zivilisatorisch geprägter Räume, die im Immobilien-Fachjargon als SLOAP bezeichnet werden. In ihren Arbeiten für MY PRIVATE IDAHO thematisiert sie die zunehmende Ansiedlung von Füchsen innerhalb der Brachflächen Londons und streift damit aktuelle gesellschaftspolitische Zusammenhänge.

Matthew Houldings Arbeiten erwecken den Anschein architektonisch-utopischer Modelle. Inspiration gewinnt er durch seine Faszination für das Häusliche, die Gestaltung unserer Privatsphäre in den eigenen vier Wänden - unserer ganz persönlichen „Insel“.

Den direkten Verweis auf das kunsthistorische „Arkadia“ bieten die Zeichnungen von Markus Huemer. Dieser Topos dient dabei als Ausgangspunkt für dessen Übersetzung in die Abstraktion von Huemers medialer Malerei. Dass die Lokalisation dieser Idealvorstellung in den virtuellen Netzraum ihren artifiziellen Charakter mindern oder gar aufheben könnte, ist jedoch ein Trugschluss. Auch in der medialen Welt bietet Arkadien eine nur vermeintliche Idylle.

Steve Johnson setzt die Insel-Thematik ganz wortwörtlich in seinen Werken um. Seine Motive sind uns vertraut: Verkehrsinseln, U-Bahn-Eingänge, Straßenunterführungen, wie sie in jeder Großstadt zu finden sind. Dabei impliziert die eigentümliche Distanz seiner detailgetreuen Darstellungen die Metamorphose ihrer gewöhnlichen Funktion. Die künstlerische Idee fungiert als eine mögliche Interpretation unserer modernen Zivilisationswirklichkeit, in der man sich inmitten von Menschenmassen einsamer fühlen kann als auf einer verlassenen Insel. Neu sind seine Darstellungen von Pubs, deren Bedeutung als „Inseln“ sozialen Kontaktes und Zufluchtsstätten innerhalb einer urbanen Umwelt große Bedeutung haben. Traurigerweise führten dies zuletzt die jüngsten Terroranschläge in London vor Augen.

Die Werke von MK Kähne und Christoph Rodde basieren dagegen auf biographischen Bezügen, die im büro für kunst als „Erinnerungsinseln“ wieder auftauchen. Im Gegensatz zu MK Kähnes großformatigen Arbeiten erscheinen Christoph Roddes zarte Zeichnungen wie „Guckkästchen“, die den Blick auf eine faszinierende Zauberwelt freigeben.

Linda McCues Bildszenarien lassen sich trotz ihres Realismus nicht wirklich verorten, wirken eher wie eine fremdartige, aus Versatzstücken konstruierte Parallelwirklichkeit. Auch hier bilden gesellschaftspolitische Bezüge den Hintergrund ihrer Arbeiten für MY PRIVATE IDAHO. Konkret thematisiert die Künstlerin den Verfall von Plattenbauten in Vingh/Nordvietnam. Die Baupläne hierfür gingen einst als Geschenk der DDR an das vietnamesische Brudervolk. Diese insulären Bauten der Vergangenheit sind ebenso in Vergessenheit geraten, wie die Menschen, die einmal darin lebten.

Matthias Reinmuth hat eine ganz eigene Formensprache entwickelt, die das Bildgeschehen in einen ätherischen Schwebezustand taucht und über den Bildrand hinauszugleiten scheint. Einzelne Objekte werden wie Inseln auf die Fläche gesetzt, die Frage ergründend, wovon der Raum beherrscht wird. Teilweise intuitiv-spontan kreiert der Künstler poetische Halbwelten zwischen Traum und Realität, die den Bildraum zum Erzählraum werden lassen

Diese vielfältigen Positionen zum Thema INSEL zeigen, dass der „Geist der Utopie“ als Gedankenspiel und auch als Kritik des Bestehenden heute aktueller ist denn je. Jürgen Habermas hat dazu folgende Formulierung geprägt: „Wenn die utopischen Oasen austrocknen, breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus.“ In diesem Sinne möge das büro für kunst für die Dauer dieser Ausstellung und hoffentlich auch darüber hinaus als utopische Oase sprießen und gedeihen.

Text: Marlene Laube

Jürgen Habermas, Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, in: Jürgen Habermas, Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt/Main 1985, 161

ARTIST NEWS Martin Borowski Prague Biennale 2 - Between New Painting and Political Action, Karlin Hall, Prag, bis 18. Sept. 2005 Realism Reversed, Christian Dam Galleries, Kopenhagen ab 07. Okt. 2005, Oslo ab 18. Nov. 2005 Simon English Einzelausstellung, Galerie Volker Diehl, Berlin 3. Sept. - 12. Okt. 2005 Ulrike Gärtner Aliens unterwegs!, Kasseler KunstVerein e.V.; Eröffnung: Mi, 31. Aug. 2005, Ausstellung: 1. Sept. - 16. Okt. 2005 Dirk Heerklotz Mosaik, Present Future, Artissima, Turin, Italien, 11. – 13. Nov. 2005 Matthew Houlding Co-ordinates, West Yorkshire, 9. September - 18. September 2005 British Art Show 6, Baltic Gateshead, 24. Sept. 2005 – 8. Jan. 2006 Markus Huemer Prague Biennale 2 - Between New Painting and Political Action, Karlin Hall, Prag, bis 18. Sept. 2005 Soziales Interesse ist eigentlich auch vorhanden, Saarlandmuseum, Saarbrücken, 30. Juli - 25. Sept. 2005 What doesn´t fit, Bow Arts Trust, London, Eröffnung: 8. Sept. 2005, Ausstellung: 09. Sept. - 29. Okt. 2005 MK Kähne Shopped to Death, Tuteurhaus, Berlin, 30. September - 30. Okt. 2005 Internationale Grafikbiennale, Nowosibirsk, Rußland, 23. Sept. - 12. Okt. 2005 Peter Krauskopf Walter Storms Galerie, München, 9. Sept. - 22. Okt. 2005 Global Players, Einzelausstellung: Galerie Natsuka, Tokyo 12. - 26. Sept. 2005; Gruppenausstellung: bankart NYK, Yokohama 17. Sept. - 20. Okt. 2005 Linda McCue Book of Opposites, Galerie Hübner, Frankfurt/ Main, Eröffnung: 7. September 2005, Ausstellung: 8. September – 14. Oktober 2005 Pavel Mrkus Helden heute - Heros à jamais, Centre PasquArt, Biel, 2. Okt. - 27. Nov. 2005 Matthias Reinmuth Drüben, Galerie ASPN, Leipzig, 12. Nov. - 11. Dez. 2005 Christoph Rodde 12 x 1 = unendlich, Gästehaus der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn bis Mai 2006 Sophia Schama Prague Biennale 2 - Between New Painting and Political Action, Karlin Hall, Prag bis 18. Sept. 2005

SONDERVERANSTALTUNG: Gesprächsrunde zur Ausstellung Donnerstag, 13. Oktober 2005, 19:30 Uhr mit: Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg, Kultursoziologe, TU Dresden Holger Birkholz, Kunsthistoriker, HfBK Dresden Christiane Mennicke, Leiterin Kunsthaus Dresden Markus Huemer, Künstler

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