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Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen

25.–27.9.2020
Künstlerische Positionen im öffentlichen Raum in Engelskirchen

Ab 25.9.2020
Vorträge und Diskurs im Netz

Performances, Zeichnungen, Videos, Musik, Installationen, Geschichten, Gedenken, Essen, Vorträge, Gespräche und Diskussionen anlässlich des 200. Geburtstags von Friedrich Engels: Was bedeutete Arbeit heute?

Mit
Bini Adamczak, Ulf Aminde & Manuel Gogos, Dario Azzellini & Oliver Ressler, Dirk Baecker, Felicitas P. Berg, Antje Ehmann & Harun Farocki, Manfred Fischedick, Daniel Häni, Dagna Jakubowska, Brigitta Muntendorf, Sibylle Peters, Dan Perjovschi, Alexandra Pirici, Quarantine, Dries Verhoeven, Zorka Wollny u.a.

Kuratiert von Florian Malzacher

Die Beaufsichtigung der Maschinen, das Anknüpfen zerrissener Fäden ist keine Tätigkeit, die das Denken des Arbeiters in Anspruch nimmt, und auf der anderen Seite wieder derart, dass sie den Arbeiter hindert, seinen Geist mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Friedrich Engels, ‚Die Lage der arbeitenden Klasse in England‘ (1845)

Insbesondere in Europa und Nordamerika, aber auch zunehmend weltweit, werden junge Menschen psychologisch auf nutzlose Tätigkeiten vorbereitet; sie lernen, wie man so tut, als ob man arbeitet, und werden dann auf verschiedenen Wegen in Stellen bugsiert, von denen fast niemand glaubt, dass sie irgendeinem sinnvollen Zweck dienen.

David Graeber, ‚Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit‘ (2018)

Was kommt nach der Arbeit – nach jener stupiden Arbeit zumindest, die uns daran hindert, den „Geist mit anderen Dingen zu beschäftigen“?

Anlässlich des 200. Geburtstags von Friedrich Engels greifen zehn künstlerische Positionen im oberbergischen Engelskirchen das intellektuelle und gesellschaftliche Erbe des einflussreichen politischen Denkers und Aktivisten auf: Was bedeutet Arbeit heute, in einer Zeit gravierender Krisen und Veränderungen? Wie sehr ist unser Leben von Arbeit durchwoben – ist es gar selbst zu einer Form von Arbeit geworden? Wer steht im Licht, wer bleibt unsichtbar? Wie viele unserer Berufe sind Tätigkeiten, die keiner wirklich braucht, die aber oft weit besser bezahlt werden, als jene, die tatsächlich „systemrelevant“ sind? Was also ist das heute überhaupt: die „arbeitende Klasse“ – in einer Ära der globalen Märkte und Netze, digitaler Monopole und neuer Klassenkämpfe?

Die Geschichte der Gemeinde Engelskirchen ist eng mit jener der Familie Engels verbunden: 1844 nahm die Baumwollspinnerei Ermen & Engels die Produktion auf, eine Fabrik nach effizientem englischem Vorbild. Neben günstigen Verkehrswegen und der Agger, die sowohl Energie als auch Wasser zum Färben der Garne lieferte, gab es noch einen weiteren triftigen Grund für die Ortswahl: ausreichend billige Arbeitskräfte, darunter auch viele Kinder. Während Engelskirchen sich also anschickte, einer der Motoren der Industriellen Revolution zu werden, schrieb Friedrich Engels jun. sein wegweisendes Buch über ‚Die Lage der arbeitenden Klasse in England‘, das sich passagenweise wie eine Beschreibung dessen liest, was damals im Oberbergischen gerade erst begann.

Dieser historische Hintergrund ist Kontext und Kulisse für zehn künstlerische Auseinandersetzungen mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Arbeit:

Ulf Aminde und Manuel Gogos erinnern daran, wer die Straße, die seit Jahrhunderten Engelskirchen mit der Welt verbindet, eigentlich gebaut hat und welche Rolle die Arbeit von „Gastarbeitern“ in unserer Gesellschaft spielt. Entlang derselben Märkischen Straße bringt Dan Perjoschi mit seinen Zeichnungen die Paradoxien unserer Arbeitswelten auf den Punkt. Das Künstler-Ensemble Quarantine lässt in einer Audiotour einige derjenigen zu Wort kommen, die den Ort am Leben halten. An zwei ehemals wichtigen industriellen Umschlagplätzen, die heute eher beschaulich wirken, errichtet Alexandra Pirici ihr lebendes, sich immer veränderndes Monument der Arbeit. Am zu einer simplen Haltestelle geschrumpften Bahnhof verweist Dries Verhoeven auf jene Menschen, die durch alle Raster fallen und auf der Straße vom Betteln leben. In der evangelischen Kirche, deren Bau Engels‘ pietistischer Vater testamentarisch verfügt hatte, verdichtete Zorka Wollny gemeinsam mit Engelskirchener Sängerinnen Geräusche der Arbeit zu einem irritierenden Chorwerk. Im Gemeindesaal gleich nebenan feiert Dagna Jakubowska ein künstlerisch-kulinarisches Erntedankfest getaner Arbeit und spekuliert über die Zukunft des Brotes. In der ehemaligen Villa der Familie Engels widmet eine Initiative Engelskirchener Künstlerinnen der weitgehend vergessenen Künstlerin Felicitas P. Berg eine erste Retrospektive: Nicht nur in krisenhaften Zeiten brauchen Künstlerinnen die Fähigkeit, immer neue Formen des Zusammenarbeitens und der künstlerischen Produktion zu entwickeln. In der 1979 stillgelegten Fabrik Ermen & Engels, dem heutigen LVR-Industriemuseum, zeigen vier Videoarbeiten von Dario Azzellini und Oliver Ressler was passiert, wenn sich Arbeiter*innen solchen Abwicklungen mutig widersetzen und versuchen, die Produktionsmittel unter eigene Kontrolle zu bringen. Antje Ehmann und Harun Farocki haben Eindrücke des Arbeitens in aller Welt gesammelt, von denen sechs in der ehemaligen Zwirnerei gezeigt werden.

Ergänzt wird der Schauplatz in Engelskirchen um Vorträge und Diskurs im Netz, wo Künstlerinnen, Theoretikerinnen und Aktivist*innen mit verschiedenen Schwerpunkten über die Zukunft der Arbeit nachdenken – und dabei einen besonderen Fokus darauf legen, was sich von künstlerischen Prozessen über das Wesen von Produktion und Arbeit heute lernen lässt.

Florian Malzacher